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Griechenlands neuer Statistik-Skandal

Überraschend wird der ehemalige Chefstatistiker Griechenlands von einem Berufungsgericht in Athen verurteilt, ein weiterer Prozess könnte folgen. Zeugen berichten von einer feindlichen Atmosphäre im Gerichtssaal.

Griechenland Andreas Georgiou, Chef-Statistiker
Andreas Georgiou Bild: picture-alliance/AP Photo/P. Giannakouris

Zwei Jahre auf Bewährung bekommt Andreas Georgiou wegen Pflichtverletzung im Amt. Der ehemalige Chef der Athener Statistikbehörde (von 2010 bis 2015) soll in seinem ersten Amtsjahr ohne Zustimmung des Vorstands nach Brüssel gemeldet haben, dass der Schuldenstand in Hellas einen neuen Rekord erreicht und 15 Prozent der Wirtschaftsleistung übertroffen hat. Fast zeitgleich hatte der damalige sozialistische Regierungschef Jorgos Papandreou um internationale Kredithilfen für Griechenland gebeten und im Gegenzug schmerzhafte Sparauflagen in Kauf nehmen müssen. Der unausgesprochene Vorwurf an Georgiou: Er habe die Schuldenprobleme Griechenlands aufgebauscht; ohne seine Mitwirkung hätte es keine Sparprogramme gegeben.       

Nicht nur das Urteil an sich sorgt für Aufsehen. In einem Schreiben, das die Frankfurter Allgemeine Zeitung (FAZ) am Donnerstag veröffentlicht, moniert ein Mitarbeiter der EU-Statistikbehörde, der in Athen als Zeuge aufgetreten war, eine "schrecklich feindliche Atmosphäre" im Gerichtssaal. Mehrere Personen seien auf ihn zugekommen und hätten ihn beschimpft, berichtet der Mann, dessen Name nicht genannt wird. Von "ungewöhnlichen Vorgängen" berichtet auch Jannis Pitaras, Politik-Chefredakteur im griechischen TV-Sender Skai. Nach der Urteilsverkündung seien mehrere Prozess-Zuschauer aufgesprungen und in Jubel ausgebrochen. "Es lebe Griechenland", hieß es im Raum. "Ich kann nur sagen: Wehe, wenn Gerichtssäle in Zukunft zu politischen Schlachtfeldern umfunktioniert werden", mahnt der Politikjournalist. Doch ganz überraschend kommt die Verurteilung nicht, findet der konservative EU-Abgeordnete Jorgos Kyrtsos. Er gehört einer fraktionsübergreifenden Parlamentariergruppe an, die das griechische Hilfsprogramm kritisch begleitet. "In diesem Zusammenhang hatten wir vor sechs Monaten eine Schaltkonferenz mit Herrn Georgiou. Und er hat uns damals anvertraut, dass vermutlich irgendwas im Gang gegen ihn sei", erläutert der Ökonom im Gespräch mit der DW.  

"Glaubwürdigkeit als höchstes Gut"

Schon mehrmals wurde in der Vergangenheit gegen den ehemaligen Chefstatistiker Anklage erhoben, aber wenig später fallen gelassen. Bei der jüngsten Verhandlungsrunde mit den internationalen Geldgebern hat sich die linksgeführte Athener Regierung sogar verpflichtet, die bisher angefallenen Gerichtskosten im Wert von 100.000 Euro zu übernehmen. Damit schien die Angelegenheit zunächst erledigt. Dass Georgiou nun doch verurteilt wird, wirft die Frage auf, ob Athener Haushaltsdaten - wie so oft in der Vergangenheit - zum Gegenstand politischer Kungelei gemacht werden. Zumal allein gegen den Statistiker ermittelt wurde, der vermeintlich gefälschte Daten korrigierte - zu keinem Zeitpunkt aber gegen diejenigen, die für diese gefälschten Statistiken verantwortlich waren. Alexander Kritikos, Forschungsdirektor am Deutschen Institut für Wirtschaft in Berlin (DIW), will doch nicht so weit gehen, dass er die griechischen Wirtschaftsdaten von 2016 anzweifelt. Immerhin mache die Debatte um den ehemaligen Statistikchef eines deutlich, sagt der Ökonom im Gespräch mit der DW: "Glaubwürdigkeit ist für Griechenland derzeit das wichtigste Gut. Es bleibt von zentraler Bedeutung, dass Athen im Jahr 2017 verlässliche Zahlen liefert."

Griechenland Statistikbehörde ELSTAT
Die Statistikbehörde ELSTAT: Wurden Athener Haushaltsdaten zum Gegenstand politischer Kungelei? Bild: picture-alliance/Pacific Press/M. Debets

Nach Angaben der EU-Kommission sind die in den letzten Jahren nach Brüssel gemeldeten Daten zuverlässig. Auch Oppositionspolitiker Kyrtsos sieht keinen Grund, dies ernsthaft anzuzweifeln. Aber Grauzonen gebe es immer noch: "Zwar jubelt die Regierung über einen unerwartet hohen Primärüberschuss im Haushalt - bei dem Zinskosten ausgeklammert werden -, aber auf der anderen Seite bleiben viele Privatunternehmer auf unbezahlten Rechnungen des Staates sitzen." Diese Mängel müsse man korrigieren. Mit dem Statistik-Chaos der Jahre 2004 bis 2009 seien derlei Ungereimtheiten aber nicht zu vergleichen, sagt der konservative Politiker. Damit übt er indirekt auch Kritik an der eigenen Partei, die zu dieser Zeit an der Macht war und zum Aufbau der griechischen Schuldenberge beigetragen hat.

Neuer Prozess in Sicht

Nach Angaben des Politik-Journalisten Jannis Pitaras erwartet den ehemaligen Chefstatistiker womöglich ein weiterer Prozess in den nächsten Wochen. Dann könne es Georgiou noch härter treffen, da er bis dahin vermutlich als vorbestraft gelte. Unterdessen protestiert die griechische Richtervereinigung gegen Kritik aus dem Ausland: "Die Unabhängigkeit der nationalen Statistikbehörden mag ein wesentlicher Pfeiler der Wirtschafts- und Währungsunion sein, aber die Unabhängigkeit der Richter und Staatsanwälte in jedem Land ist der Eckpunkt des demokratischen Staates", hieß es am Donnerstag in einer eindeutigen Erklärung in Richtung Brüssel.

Und was ist, wenn Kritiker des ehemaligen Chefstatistikers doch Recht haben und die von Georgiou übermittelten Wirtschaftsdaten für die Schuldenmisere des Landes irgendwie mitverantwortlich sind? Allein schon aus Zeit- und Termingründen sei dies nicht möglich, sagt Europa-Politiker Kyrtsos. Denn: "Die Entscheidung, Griechenland unter EU-Aufsicht zu stellen, war längst gefallen, bevor Georgiou den Chefsessel bei ELSTAT übernehmen durfte." Sein linker Parlamentskollege Kostas Chryssogonos findet ebenfalls, dass Georgiou in dieser Hinsicht keine Schuld trifft. Selbst wenn der einstige Chefstatistiker die Neuverschuldung nicht nach oben korrigiert hätte, wäre Griechenland unter Aufsicht gestellt worden, sagt der Jurist in einem TV-Interview. In diesem Fall würde die Neuverschuldung nämlich nicht 15,5 Prozent, aber immerhin 13,5 Prozent der Wirtschaftsleistung beitragen - mehr als genug, um ein EU-Defizitverfahren gegen Griechenland einzuleiten.