Ukraine: Zerfall stabilisiert Autokraten
Er habe die größte Silvesterfeier seines Lebens auf dem Maidan erlebt. „Das hat uns alle begeistert“, so Holger Neuweger von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und damals Landesdirektor in der Ukraine rückblickend zu dem, was er vor einem Jahr in Kiew erlebt hatte. Niemand habe sich vorstellen können, was wenige Monate später geschehen würde: die Annektierung der Krim durch Russland.
Neuweger sprach vor rund 100 Gästen bei der GIZ-Geschäftsstelle in Bonn. Mit ihm auf dem Panel: Roman Goncharenko, Ukraine-Experte der DW, und Andreas Heidemann Grüder, Konfliktforscher beim Internationalen Konversionszentrum Bonn (BICC). Die GIZ hatte hierzu eingeladen. Andreas Mühl, Stellvertretender Chefredakteur des Bonner General-Anzeiger, leitete die Diskussion zum Thema „Ukraine: Die Krise, die Menschen und ein globaler Konflikt“.
Goncharenko widersprach der Einschätzung Neuwegers: Er habe bereits länger mit einem Krieg gerechnet, erklärte er. Für Russland sei die Unabhängigkeit der Ukraine nach dem Zerfall der Sowjetunion immer ein „Betriebsunfall“ gewesen, so Roman Goncharenko. Er halte den Einsatz von UN-Blauhelmen für einen klugen Weg. Er glaube aber eher nicht, dass es zu einem Einsatz komme.
Andreas Heidemann Grüder sieht Russlands Präsident Wladimir Putin unter Druck: „Putin hat sich in eine Situation manövriert, aus der er schwer wieder heraus kommt“. Er habe sicherlich nicht mit Sanktionen des Westens in dieser Härte gerechnet. Mit Blick auf Europa sagte Heidemann Grüder, in der Ukraine werde sich entscheiden, wie glaubwürdig die EU sei. Diese solle sich unbedingt stärker auf die Ukraine konzentrieren, empfahl der Konfliktforscher: „Wenn die Ukraine zerfällt, bleiben Investoren weg.“ Das stabilisiere Autokraten.
Holger Neuweger von der GIZ setzt auf die Kräfte der ukrainischen Gesellschaft: Es gebe dort eine immer stärker werdende Zivilgesellschaft. Diese lehne das derzeit korrupte System ab. Allerdings sei die Ukraine gesellschaftlich zerrissen. Die Lage sei ähnlich wie in Südafrika nach der Apartheid. So gelte es auch in der Ukraine zwischen den gesellschaftlichen Kräften zu vermitteln.
Die Veranstaltung in der Reihe „Bonn und die Welt“ ist eine Kooperation von GIZ und Bonner General-Anzeiger. Die Deutsche Welle ist Kooperationspartner.