Ägypten: Ausverkauf der Küste an Investoren aus Golfstaaten?
6. März 2024Die Nachricht wurde gefeiert als "Wendepunkt" für die ägyptische Wirtschaft: In der vergangenen Woche kündigte die ägyptische Führung an, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE) würden 35 Milliarden Dollar (32 Milliarden Euro) direkt in die ägyptische Wirtschaft investieren. Der Großteil der Gelder fließe in ein Bauprojekt auf Ras al-Hikma, einer Halbinsel im Mittelmeer nahe der Stadt Alexandria. Es soll sich um die größte Investition dieser Art in der Geschichte Ägyptens handeln.
Die erste Tranche des Geldes wurde bereits überwiesen. Ein Großteil davon stammte aus Barmitteln, die die VAE bereits in der ägyptischen Zentralbank deponiert hielten. Der Rest wird Angaben ägyptischer Beamter zufolge voraussichtlich innerhalb von zwei Monaten eintreffen.
Aus Sicht der Befürworter kommt die Nachricht mehr als gelegen: Ägypten ist hoch verschuldet und leidet unter Devisenknappheit. Das hat zu einer hohen Inflation und steigenden Preisen geführt, die für viele Ägypter schwer zu verkraften sind.
Die Vereinbarung wird es Ägypten unter anderem erleichtern, die vom Internationalen Währungsfonds (IWF) festgelegten Bedingungen zu erfüllen. Ägypten und der IWF befinden sich in der Endphase der Verhandlungen über ein weiteres milliardenschweres Rettungspaket in Höhe von über 10 Milliarden US-Dollar (9,2 Milliarden Euro). Die Summe soll helfen, die ägyptische Wirtschaft zu stabilisieren.
Als Voraussetzung für ein Zustandekommen des Paktes hat der IWF mehrere Bedingungen formuliert. So soll das ägyptische Pfund abgewertet und dadurch an den realen Wechselkurs angepasst werden - im Gegensatz zu dem offiziellen, von der Regierung vorgegebenen Kurs. Zudem soll weiteres Staatsvermögen privatisiert werden. Dieses soll vor allem dem allmächtigen ägyptischen Militär entzogen und an private Investoren verkauft werden.
Das Investment der VAE bleibt womöglich nicht das einzige. Derzeit kursieren Gerüchte, Saudi-Arabien wolle 15 Milliarden Dollar in ein Touristenziel am Roten Meer, Ras Gamila, investieren.
Ägyptische Wirtschaft braucht mehr als "schickes neues Strandresort"
Nicht alle sind von den Investitionen angetan. Das Projekt füge sich in ein Muster, sagt der ägyptische, derzeit in Deutschland lebende Journalist und Aktivist Hossam el-Hamalawy, der einen regelmäßigen Newsletter zur ägyptischen Politik herausgibt.
"Der ägyptische Präsident Abdel Fattah al-Sisi nimmt seit Jahren überall Kredite auf, um Megaprojekte zu verwirklichen, die seinen irrationalen wirtschaftlichen Entscheidungen entsprechen", so El-Hamalawy. "Er setzt wie immer darauf, dass regionale oder internationale Mächte ihn unterstützen - immer nach dem Motto: 'Ägypten ist zu groß, als dass es scheitern dürfte.'"
Die ägyptische Regierung habe frühere Finanzspritzen "mit außerordentlicher Geschwindigkeit vergeudet", sagt Timothy Kaldas, stellvertretender Direktor des in Washington ansässigen Tahrir Institute for Middle East Policy. "Eine Finanzspritze verschafft Ägypten zwar vorübergehend das Vertrauen der Investoren. Aber der Schlüssel für langfristiges Vertrauen sind ernsthafte Reformen und ein klares Zeichen der ägyptischen Führung, dass sie diese Gelegenheit nutzt, um den Kurs zu ändern. Es braucht mehr als einen Geldsegen und ein schickes neues Strandresort, um dieses Vertrauen wiederherzustellen", sagte er der DW.
El-Hamalawy und andere weisen zudem auf die Proteste der Bewohner von Ras al-Hikma hin. Ihnen droht nach Baubeginn Vertreibung. Der für das Projekt verantwortliche staatliche Investmentfonds der VAE, ADQ, hat bereits angekündigt, dass die Arbeiten Anfang 2025 beginnen würde. Kritiker des Plans sehen auch die Umweltstandards in diesem Küstengebiet als ein Problem.
Ägypten steht derzeit aufgrund des anhaltenden Konflikts in Gaza unter enormem politischen und wirtschaftlichen Druck. Die Kämpfe im Gazastreifen haben dazu geführt, dass wichtige Einnahmequellen Ägyptens, wie etwa der Tourismus und der Schiffsverkehr durch den Suezkanal, enorm geschrumpft sind.
"Angesichts des Gaza-Krieges und des Bürgerkriegs im Sudan ist die Stabilität von Al-Sisis Regime für seine Verbündeten zu einem vorrangigen Anliegen geworden. Das gilt selbst um den Preis, dass er versucht, dringend benötigte wirtschaftliche Reformen zu vermeiden", schrieb der politische Kommentator Maged Mandour vor einigen Tagen in einem Kommentar für das Online-Magazin Middle East Eye.
Golfstaaten betreiben "Rettungsdiplomatie"
Wie hängen also die eingehenden VAE-Milliarden mit dem Konflikt in Gaza und dem potenziellen IWF-Deal zusammen?
Das zeitliche Zusammentreffen zwischen den Investitionen und den Verhandlungen Ägyptens mit dem IWF sei "ein wenig auffällig", sagt Hasan Alhasan vom International Institute für Strategic Studies. Die USA, einer der Hauptgeldgeber des IWF, seien dafür bekannt, dass sie die Finanzagentur nutzen, um ausländische Verbündete zu bestrafen oder zu belohnen.
Sowohl die Chefs des IWF als auch hochrangige ägyptische und emiratische Beamte haben jedoch erklärt, dass der 35-Milliarden-Dollar-Deal und die Verhandlungen mit dem IWF nichts miteinander zu tun hätten, so der in Bahrain ansässige Analyst. Sehr wohl aber habe es mit der seit Jahrzehnten praktizierten so genannten "Rettungsdiplomatie" reicher Golfstaaten zu tun.
Der Begriff bezeichne "die Praxis der Auszahlung großer Pakete von Finanz- oder Sachleistungen zur Rettung von Staaten, die sich in einer Finanz- oder Wirtschaftskrise befinden", schrieben Hasan Alhasan und Camille Lons, Gastwissenschaftler beim European Council on Foreign Relations, in einem Forschungspapier aus dem Jahr 2023. Diese Praxis sei seit den frühen 1970er Jahren "ein Schlüsselinstrument der Außenpolitik der Golfstaaten".
"Die Golfstaaten haben die ägyptische Wirtschaft seit den 1960er Jahren wiederholt gerettet", so Lons gegenüber der DW. "Ägypten ist das Land, das den größten Anteil an direkter Budgethilfe erhalten hat - nämlich mindestens 108 Milliarden Dollar."
In jüngster Zeit, so sind sie und Alhasan sich einig, habe sich diese Praxis etwas geändert. "Wir beobachten eine größere Bereitschaft der Golfstaaten, ihren durch die Rettungsdiplomatie gewonnenen Einfluss zu nutzen, um sich einen bevorzugten Zugang zu staatlichen Vermögenswerten zu sichern, die privatisiert werden sollen", so Alhasan.
Intransparente Deals
Inzwischen besitzen die Golfstaaten ägyptische Unternehmen, die Häfen betreiben oder in der Petrochemie, im Finanz- und Einzelhandelssektor tätig sind. Zudem befindet sich auch eine Reihe historischer Hotels in ihrem Eigentum. Die neu angekündigten Geschäfte seien ein weiterer Aspekt dieser Entwicklung, so Lons.
Der jüngste Deal mit den VAE sowie der gerüchteweise angekündigte mit Saudi-Arabien dürfte auf eine Reihe von Überlegungen der Investoren zurückgehen, sagt Alhasan. Es handele sich aus Sicht der Golfstaaten um eine gute Investition, denn diese dürften sich bewusst sein, dass sie ihre Kredite womöglich nie zurückerhalten; insofern betrachteten sie die Summen als gute Investition, da sie zum Besitz weiterer ägyptischer Liegenschaften führen könnte. Zudem wisse man, dass Ägypten zu groß ist, um zu scheitern; und man sehe, dass der Gaza-Konflikt den Druck erhöhe.
Adaptiert aus dem Englischen von Kersten Knipp.