Bitcoins für alle - am Postschalter
15. Juli 2017Reden wir über Kryptogeld. Dazu vergessen wir zunächst alles, was wir über Geldscheine, Münzen, Banken, Dispokredite etc. wissen. Oder nein - vielleicht brauchen wir das später noch. Definitiv vergessen können wir aber, was wir bisher über Kryptogeld in Verbindung mit Drogenhandel, Erpressungstrojanern und dergleichen gedacht haben. Denn Theresa Sedlacek aus Wien-Ottakring, eine reizende ältere Dame, die wir extra für diesen Artikel erfunden haben, hat nun wirklich nichts mit Drogen oder Waffen zu tun. Und dennoch kann sie seit dieser Woche zu ihrer Post gehen und dort jederzeit Bitcoins oder anderes Kryptogeld kaufen. Michael Homola, Pressesprecher der Österreichischen Post AG, sagt im E-Mail-Interview mit der DW: "Das konkrete Angebot richtet sich an alle Kunden, die gerne auf neue, innovative Themen aufspringen möchten." Es sei für alle da, "von jung bis alt" - also auch (theoretisch) für Theresa Sedlacek.
Wenn alle 1800 Geschäftsstellen, die die Post in Österreich hat, schon zu haben, kann Frau Sedlacek übrigens auch zum Tabakwarenhändler um die Ecke ("Trafik" auf österreichisch) gehen - dort kann sie schon seit dem letzten Jahr Bitcoins erwerben. Wenn Frau Sedlacek Schweizerin wäre, bekäme sie Bitcoins sogar an Fahrkartenautomaten der Bahn.
Voraussetzung ist jedoch, dass Frau Sedlacek überhaupt weiß, was Kryptogeld ist, und wie es funktioniert. Helfen wir also Frau Sedlacek.
Kryptogeld ist keine Währung
Die erste Überraschung für Frau Sedlacek und andere: Kryptogeld ist keine Währung. Hinter Kryptogeld steht keine staatliche und auch keine private Bank. Der Wert eines Bitcoin oder jeder anderen Kryptogeldeinheit wird durch niemanden garantiert; es gibt keine Stützkäufe, wenn der Kurs in den Keller rauscht, aber auch die Gefahr einer Inflation ist durch die Protokolle, die hinter Bitcoin & Co. stehen, weitgehend gebannt. Es wird beispielsweise nie mehr als 21 Millionen Bitcoins geben - wenn diese Zahl erreicht ist, kann technisch bedingt niemand weitere Bitcoins erzeugen.
Im Grunde ist Kryptogeld auch kein Geld im herkömmlichen Sinne: Man kann es nicht anfassen, nicht lose in der Tasche mit sich herumtragen, aber auch nicht fälschen - dazu gleich mehr. Dadurch, dass Bitcoins, elektronisch erzeugte und gespeicherte Datenblöcke, an Bitcoin-Börsen gegen "echtes" Geld getauscht werden können, haben sie einen im Handel ermittelten und ständig aktualisierten Tauschwert und können so als Zahlungsmittel eingesetzt werden. Ein Anbieter von Waren und Dienstleistungen, der Kryptogeld akzeptiert, stimmt zu, mit virtuellen Werten bezahlt zu werden - in der nicht unberechtigten Hoffnung, diese virtuellen Werte wieder in herkömmliches Geld umtauschen zu können.
Kryptogeld ist - ganz allgemein gesagt - eine Anzahl von Datenblöcken, die nach einem komplizierten kryptografischen Verfahren (daher der Name) von einer beliebigen Anzahl von Computern errechnet werden. Die nötige Software - Open-Source-Software und daher für jeden zur Prüfung offen - stellt sicher, dass die Blöcke korrekt errechnet werden, also nicht gefälscht sind, und dass sie einmalig sind, also jeder Block nur einmal existiert. Die Software führt automatisch auf jedem beteiligten Rechner weltweit Buch über jeden jemals erzeugten Block. Dieses Buch - bei Bitcoin nennt man es "Blockchain" - wird alle paar Minuten aktualisiert und automatisch weltweit verteilt; derzeit ist die Blockchain fast 150 GB groß und wächst weiter.
Vorteile...
Das Bitcoin-Protokoll stellt sicher, dass Bitcoins anders als digitale Urlaubsfotos oder -videos nicht einfach kopiert werden können; ein Benutzer kann einen Bitcoin-Block nur einmal ausgeben, die Transaktion wird in der Blockchain verzeichnet und an alle anderen Teilnehmer weitergegeben, so dass der Benutzer den gleichen Block keinem zweiten andrehen kann - genauso wenig, wie er einen Zehn-Euro-Schein im Drogeriemarkt ausgeben und danach beim Bäcker gegenüber damit bezahlen kann.
Anders als gerne berichtet wird, hinterlassen Bitcoin-Transaktionen durchaus Spuren. Dass ausnahmslos jede Transaktion notiert wird und weltweit nachprüfbar ist, ist schließlich der einzige Schutz vor Betrug und Falschgeld in der virtuellen Welt. Kryptogeld ist trotzdem bei Dunkelmännern beliebt, weil es ohne jedes Bankkonto, ohne Ausweiskontrolle, ohne persönliche Daten des Nutzers auskommt. Wer sich auf seinem Smartphone oder PC eine Krypto-Geldbörse, eine so genannte "Wallet" anlegt, kann sich darin für jede Transaktion eine "Einmal-Kontonummer" anlegen und damit Geld empfangen. Wem die Nummer gehört, auf welchem Gerät sie geführt wird, wo das Kryptogeld landet - das weiß niemand.
...und Nachteile von Bitcoin & Co.
Erster - und größter - Nachteil von Kryptogeld ist, dass man ein gewisses technisches Verständnis und Interesse mitbringen muss. Kryptogeld existiert nur in digitaler Form: Ohne PC, Smartphone oder zumindest Internet-Zugang kann niemand Kryptogeld erwerben, besitzen oder ausgeben. Ein gewisses Grundwissen über Passwörter, Verschlüsselung und den Schutz der eigenen Daten sollte man mitbringen. Zu den Nachteilen gehört schließlich, dass das Geld nur so sicher ist wie das Gerät, auf dem es gespeichert ist. Ein verlorenes oder gestohlenes Smartphone nimmt seine Bitcoins mit sich. Es reicht aber schon, dass das Smartphone herunterfällt und der Speicher kaputt ist, um die Bitcoins auf Nimmerwiedersehen zu verlieren.
Aus der Sicht der Banken dieser Welt ist ein großer Nachteil, dass sie, die Banken, für die Abwicklung von Zahlungen in der virtuellen Welt nicht mehr gebraucht werden. So gesehen, ist es kein Wunder, dass Experten aus der etablierten Bankenwelt wiederholt vor Blasen bei der Spekulation mit Kryptogeld warnen. Die Kursentwicklung des letzten Jahres deutet ebenfalls darauf hin. Ängstliche Bitcoin-Nutzer sollten daher nur so viele Bitcoins besitzen, wie sie in nächster Zeit brauchen.
Ein ganz entscheidender Nachteil von Kryptogeld ist aber auch das, was manche als Vorteil ansehen - die fehlende staatliche Kontrolle. Ohne sie ist Kryptogeld komplett davon abhängig, dass seine Nutzer ihm einen Wert zumessen - der Kurs von Bitcoin & Co. kann im Nullkommanichts ins Bodenlose stürzen und ganze Bitcoin-Vermögen in Rauch aufgehen lassen. Und auch technische Probleme stellen für Kryptogeld eine Gefahr dar: bitcoin.org warnt im Netz davor, dass das Bitcoin-System am 1. August eine kritische Schwelle erreichen könnte und danach für unbestimmte Zeit unzuverlässig sein könne; man arbeite an einer Lösung, aber wer auf Nummer Sicher gehen wolle, solle ab Mittag des 31. Juli keine Bitcoins mehr annehmen, bis das Problem gelöst ist. Nichts für schwache Nerven.
Und so ein Angebot gibt es bei der soliden Post? Michael Homola: "Grundsätzlich handelt es sich hierbei um ein Thema, mit dem sich jeder, der in Kryptowährungen investieren möchte, vorab intensiv auseinandersetzen muss. Für alle jene, die das getan und ein Bewusstsein dafür entwickelt haben, ist der BitPanda-Voucher ein guter Einstieg." BitPanda ist die Partnerfirma der Post; da die Österreichische Post selbst keine Bitcoin-Börse betreibt, verkauft sie Gutscheine - Vouchers - von BitPanda. Mit dem Erfolg der ersten Tage ist die Post zufrieden: "Das Angebot findet bei unseren Kunden großen Zuspruch – und unsere Erwartungen wurden übertroffen." Genaue Zahlen will Homola jedoch noch nicht nennen.
Und was macht Theresa Sedlacek jetzt mit ihren Bitcoins?
Ihren Gutschein kann unsere Frau Sedlacek auf der Bitpanda-Plattform im Netz gegen "echte" Bitcoins eintauschen. Die sind dann bei Bitpanda gespeichert und können von dort aus ausgegeben werden; Frau Sedlacek kann aber auch ihre frischen Bitcoins auf das Smartphone ihres Vertrauens weiterschicken, auf das (hoffentlich) niemand Zugriff hat. Ob sie das braucht - anonyme Zahlungen, weltweit ungebremste Überweisungen, noch eine App auf dem Smartphone -, ist eine ganz andere Frage.
Schließlich gibt es seit Jahrtausenden einfachere Möglichkeiten zu bezahlen. Deshalb wird Frau Sedlacek aller Wahrscheinlichkeit nach das Angebot der Post eher nicht annehmen. Ihre Nichte Wanda dagegen (auch sie ist frei erfunden - d. Red.), Angehörige der Generation der Millennials, mit dem Smartphone fest verwachsen und immer auf der Suche nach neuen Inhalten im Netz, wird irgendwann einen Song oder einen Film im Netz mit Bitcoins bezahlen wollen - und stellen wir uns dann die Freude vor, wenn Wanda zum Geburtstag von ihrer Tante die dazu nötigen Bitcoins geschenkt bekommen hat!