100 Jahre Hennes Weisweiler
4. Dezember 2019Irgendwie lebt Hennes Weisweiler noch immer. In Mönchengladbach, wo die Borussia seit 2004 an der Hennes-Weisweiler-Allee 1 zu Hause ist. In Köln, wo der FC-Geißbock seit jeher Hennes heißt. Beim DFB, der seine Trainer-Talente an der Weisweiler-Akademie ausbildet. Und sogar im kleinen Erftstadt-Lechenich, wo die Germania im Hennes-Weisweiler-Sportpark ihre Gegner fordert.
Dort, vor den Toren von Köln, wurde Hennes Weisweiler am 5. Dezember 1919 geboren, und dort liegt er seit seinem plötzlichen Tod im Jahr 1983 auch begraben. Zwischen diesen Daten eroberte "de Boor", der Bauer aus der Voreifel, der am Donnerstag 100 Jahre alt geworden wäre, die weite Fußball-Welt, ob in Mönchengladbach, Köln, Barcelona, New York oder zuletzt Zürich. "Ein Leben dem Fußball", steht auf seinem Grabstein. Mehr Worte braucht es eigentlich nicht.
Oder vielleicht doch. Als Spieler blieb Weisweiler eher unauffällig, als Trainer erlangte er Weltruhm. Ganz am Anfang half Sepp Herberger: Als 1964 ein mäßig erfolgreicher Regionalligist namens Borussia Mönchengladbach einen Fußballlehrer suchte, empfahl der Noch-Bundestrainer den Mann aus Lechenich. Ein Jahr später stieg die Borussia in die Bundesliga auf.
"Weisweiler hat Borussia gemacht"
"Hennes Weisweiler war die Figur. Er hat Borussia Mönchengladbach gemacht", sagt Ex-Weltmeister Rainer Bonhof. Weisweiler und Günter Netzer - das sind bis heute die beiden berühmtesten Borussen, die nicht nur im vereinseigenen Museum "Fohlenwelt" immer wiederkehrend geradezu ikonenhaft verehrt werden. Auch Netzer hat eine klare Meinung, wenn es um den wichtigsten Borussen geht. "Ich habe ihm alles zu verdanken", sagt der heute 75-Jährige. "Er hat Borussia Mönchengladbach gemacht, und er hat mich gemacht."
Weisweiler stehe natürlich über allen anderen Trainern der Borussia, betont Bonhof, wenn es um irgendwelche Vergleiche geht. Aus heutiger Sicht mag dies verwundern, denn Weisweiler war nun einmal Ur-Kölner und 1948 gar Mitbegründer von Borussias heutigem Erzrivalen 1. FC Köln. Von dieser Rivalität war Mitte der 60er Jahre noch nichts zu spüren. Zu unbedeutend war die Borussia damals. "Ich würde behaupten: Er ist der eigentliche Vater dieses Derbys", sagt Bonhof über die heute größte Rivalität im deutschen Fußball neben der zwischen Schalke 04 und Borussia Dortmund.
Nachdem Weisweiler Gladbach 1965 in die Bundesliga geführt hatte, bläute er den Borussen zwei Dinge ein: Verlieren war verboten - und gegen Köln noch viel mehr. Aus Weisweilers Verbissenheit heraus entwickelte sich dieses besondere Verhältnis, das bis heute in der DNA beider Klubs gespeichert ist. Weisweiler ist der Einzige, der bei beiden Rivalen als Klub-Legende verehrt wird. Das Kölner Wappentier - der Geißbock - wurde schon 1950 nach ihm benannt. Zwischen 1976 und 1980 prägte er in Köln die erfolgreichste FC-Zeit mit dem Pokalsieg 1977 und dem Double 1978. "Ich bin überzeugt: Wenn Hennes Weisweiler früher zum FC gekommen oder länger geblieben wäre, hätten wir mehr Titel geholt", sagt Ex-Nationalkeeper Toni Schumacher heute.
Bedingungsloser Angriffsfußball
Noch größere Spuren hinterließ er aber eben in seinen elf Jahren am Niederrhein. Dort war er mit anarchisch anmutendem Angriffsfußball, drei deutschen Meistertiteln, einem Pokalsieg und einem UEFA-Cup-Triumph identitätsstiftend. Wegen des ungestümen Spiels wurde Borussia bald "Fohlen-Elf" genannt. "Der wollte immer nur rauf und runter, rauf und runter. Und nach 70 Minuten waren wir kaputt und die anderen haben gewonnen. Da habe ich mit ihm natürlich Auseinandersetzungen gehabt", sagt Netzer. Dennoch ließ Weisweiler seinen Starspieler immer gewähren.
Anders war es ab 1975 mit Johan Cruyff in Barcelona oder Wolfgang Overath beim 1. FC Köln. In Spanien blieb Weisweiler nur neun Monate, weil er den Machtkampf gegen Cruyff verlor. Also kehrte er zurück nach Köln, wo er erst Meister wurde, nachdem Overath, der Weltmeister von 1974, weg war. Weisweiler bekam dadurch seinen Ruf, nicht mit Stars zu können. "Ich denke, das ist ein Klischee", widerspricht Bonhof. "Er hat in Barcelona und in Köln wohl eher erkannt, dass der jeweilige Star über seinem Zenit war."
1980 ging Weisweiler zum schillernden US-Klub Cosmos New York, zwei Jahre später zu den Grasshoppers aus Zürich. Dort starb Weisweiler, nur zwei Wochen nach seiner Hochzeit, am 5. Juli 1983 mit erst 63 Jahren an den Folgen eines Herzinfarktes. Er hinterließ Ehefrau Gisela und den erst 22 Monate alten Sohn John. Die Trauerfeier glich einem Staatsbegräbnis. Mehr als 20.000 Gäste versammelten sich im und um den Kölner Dom. "Die Leute haben draußen auf der Domplatte gestanden", erinnert sich Bonhof. "Da waren dann alle da, all seine Mannschaften."
Sein Andenken lebt bis heute. Ab und an treffen sich noch Borussia Mönchengladbachs Altstars, um für einen guten Zweck gegen den Ball zu treten. Viele von ihnen haben nie unter dem legendären Trainer gespielt, doch der Name der Traditionsmannschaft ist Programm: Es ist die Weisweiler-Elf.