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Große Verunsicherung vor Olympia

15. April 2021

In 100 Tagen starten die Olympischen Sommerspiele in Tokio. Doch die Infektionszahlen steigen wieder, viele Schutzmaßnahmen funktionieren nicht. Athletinnen und Athleten fühlen sich und ihre Sorgen nicht ernst genommen.

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Japan Tokio | Olymympische Ringe
Bild: Koji Sasahara/AP/picture alliance

"Ich war total erleichtert und wollte unbedingt raus aus meiner Wohnung", sagt Säbelfechter Max Hartung. Der 31-Jährige durfte nach zehn Tagen und einem negativen Covid-19-Test seine Quarantäne beenden. Nach dem Fecht-Weltcup in Budapest im März - dem ersten internationalen Wettkampf nach einem Jahr - hatte er sich in "eine häusliche Absonderung" begeben müssen, nachdem vier Nationalteam-Kollegen positiv auf das Coronavirus getestet worden waren. "Ich hab mich ein bisschen wie im Käfig eingesperrt gefühlt."

Doch wie konnte es überhaupt soweit kommen? Der Veranstalter hatte nach eigenen Angaben ein funktionierendes Hygienekonzept auf die Beine gestellt. "Wir haben uns auf die Ausrichter verlassen", sagt Hartung im Interview mit der DW. "Umso bitterer war dann die Enttäuschung, dass auch die zusätzlichen Schutzmaßnahmen, die wir selbst noch getroffen hatten, um uns noch besser zu schützen, nicht gereicht haben."

Hartung: "Die Stimmung ist sehr angespannt"

Neben dem Fecht-Weltcup in Budapest sorgten auch andere Sport-Events für positive COVID-Tests. So gab es bei der Hallen-EM der Leichtathleten in Torun bei 700 Athletinnen und Athleten 50 positive Fälle. "Die Stimmung ist bei vielen sehr angespannt", berichtet Hartung, der sich seit 2017 als Athletensprecher für die Belange der Sportlerinnen und Sportler einsetzt.

Fechter Max Hartung Verein Athleten Deutschland
Max Hartung, Präsident von "Athleten für Deutschland"Bild: picture-alliance/dpa/T. Frey

In den vergangenen Monaten hatte der 31-Jährige viel zu tun. Das erneute Ansteigen der Infektionszahlen in Europa beunruhigt viele im deutschen Olympia-Team. "Wir hatten alle gehofft, dass der Frühling besser wird und die ersten Wettkämpfe anders ablaufen. Dass es jetzt wieder vermehrt Meldungen über Infektionen gibt, besorgt viele." In der aktuellen Situation ist es schwer, sichere Wettkämpfe zu garantieren. Und in 100 Tagen sollen die Olympischen Sommerspiele in Tokio beginnen. Allerdings wird das weiterhin diskutiert. Der Generalsekretär der Regierungspartei LDP, Toshihiro Nikai, sprach einen Tag nach der 100-Tage-Frist sogar davon, dass eine Absage der Sommerspiele wegen der Corona-Pandemie eine Option sei.

Thomas Bach: "Es existiert kein Plan B"

Von Vorfreude sei bei den meisten Athletinnen und Athleten bisher aber nicht viel zu spüren, berichtet Hartung. Auch er selbst weiß noch nicht so recht, was ihn in Tokio erwartet. Denn obwohl die Eröffnungsfeier am 23. Juli stattfinden soll, gibt es nach wie vor große Unsicherheiten, was das Hygienekonzept angeht.

"Tokio bleibt die am besten vorbereitete Olympiastadt überhaupt. Wir haben derzeit überhaupt keinen Grund daran zu glauben, dass die Olympischen Spiele in Tokio nicht eröffnet werden", sagte dagegen Thomas Bach, der gerade wiedergewählte Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) im japanischen Fernsehen. "Deshalb existiert auch kein Plan B. Und deshalb setzen wir uns voll und ganz dafür ein, dass die Spiele sicher und erfolgreich sind." Der 67-Jährige drängt auf die Durchführung der Wettkämpfe, wohl aber in erster Linie aus finanziellen Gründen, denn dem IOC winken Milliarden-Einnahmen.

Japan Olympia 2021 IOC Thomas Bach
IOC-Präsident Thomas Bach will an den Spielen festhaltenBild: /AP Photo/picture alliance

Ein, aus der Sicht des IOC, wichtiger Punkt, denn die Verschiebung um ein Jahr und die Kosten für die Corona-Schutzmaßnahmen allein treiben das Budget um mindestens 2,3 Milliarden Euro weiter in die Höhe. Das japanische Organisations-Komitee rechnet offiziell mit Ausgaben von rund 12,66 Milliarden Euro. Allein 760 Millionen Euro sollen in die Vermeidung von Infektionen investiert werden. Doch reicht das?

Norio Sugaya, Experte für Infektionskrankheiten am Keiyu-Krankenhaus in Yokohama plädiert trotz der angekündigten Maßnahmen offen für eine Absage der Spiele. "Die Risiken sind groß in Japan", sagt der Experte. Das Land sei "überhaupt nicht sicher."

Das Playbook sagt nicht viel aus

Steht der finanzielle Erfolg über der Gesundheit der Sportlerinnen und Sportler? Zumindest dürften Aussagen wie die von Sugaya wie Wasser auf die Mühlen der ohnehin verunsicherten Teilnehmenden sein. "Ich werde auf keinen Fall blind vertrauen. Ich möchte mir als Athlet und mit unserem Verein "Athleten für Deutschland" ein eigenes Bild machen und die Konzepte hinterfragen", erklärt Hartung. Doch das sei momentan nicht leicht, denn es gäbe fast keine Informationen, die den Athletinnen und Athleten zugänglich gemacht werden.

Japan Olympisches Feuer | Aiko Uemura in Hakuba in Nagano
Das Olympische Feuer ist unter strengen Hygiene-Auflagen auf dem Weg ins OlympiastadionBild: Kyodo/picture alliance

"Das erste Playbook [Hygiene-Leitfaden für die Teilnehmenden, Anm. d. Redaktion] sagt noch nicht viel darüber aus, wie es konkret vor Ort aussehen wird - was Trainingszeiten oder die Verpflegung angeht. Ich hätte mir knapp drei Monate vor den Spielen schon gewünscht, dass wir mehr Details haben und auch mehr mitbestimmen können, doch diese Chance gab es bisher nicht", kritisiert der Athletensprecher im Interview mit der DW. "Ich hoffe, dass wir noch mehr Informationen bekommen und wir uns ein besseres Bild von der Lage machen können, so dass wir dann hoffentlich nach Japan reisen können."

Ein Mitwirken der Athletinnen und Athleten am Hygienekonzept hält der Säbelfechter für unbedingt erforderlich. Hartung sagt, es müssten Experten für Viruserkrankungen am Konzept mitarbeiten, aber auf der anderen Seite auch die Sportlerinnen und Sportler, denn können Auskunft darüber geben, was aus notwendig ist, um annähernd faire Wettkämpfe garantieren zu können.

Hartung: "Es wird auf jeden Fall unfair"

Faire Wettkämpfe? Das scheint ohnehin ausgeschlossen zu sein. Alleine die aktuell unterschiedlichen Trainingsmöglichkeiten machen einen fairen Wettkampf in Tokio nahezu unmöglich. Hinzu kommt, dass einige Sportlerinnen und Sportler bereits geimpft sind, andere aber nicht. "Es ist ein riesiger Vorteil, wenn man geimpft ist. Doch die Zeit, das rechtzeitig durchzuführen, wird immer knapper", sagt Hartung.

Fechten Max Hartung
Säbel-Fechter Max Hartung (l.) und seine Teamkollegen hoffen auf sichere Spiele in TokioBild: Marius Becker/dpa/picture alliance

Dennoch muss die Frage nach der Chancengleichheit gestellt werden. Denn Sportlerinnen und Sportler, die bereits geimpft sind, können normal trainieren und sich auf die Wettkämpfe in Tokio ganz anders vorbereiten, andere haben wesentliche höhere Hürden zu überspringen. "Es wird auf jeden Fall unfair", sagt Hartung. "Nicht jeder hat das Glück so wie ich als Kontakt einer Person mit hoher Priorität bereits geimpft zu sein. Darüber ob man in Tokio seine Leistung bringen kann und geschützt ist, sollte nicht dem Zufall überlassen werden. Ich hoffe, dass die vulnerablen Gruppen schnell durchgeimpft sind und meine Teamkollegen dann auch geimpft werden können."

Es bleiben viele Fragezeichen

In den folgenden knapp drei Monaten werden Max Hartung und seine Fecht-Kollegen versuchen, die Stimmung im Team hochzuhalten und sich bestmöglich auf die Wettkämpfe in Tokio vorzubereiten. "Wir wollen das Beste aus der Situation machen. Mit den Jungs und den Trainern, mit denen ich seit 21 Jahren zusammen trainiere, möchten wir noch einmal ein paar gute Ideen und vor allem gute Stimmung mit ins Training tragen", beschreibt der 31-Jährige die anstehende Zeit bis zu den Spielen in Tokio.

Für das beste deutsche Säbelfechter-Team sollen die Olympischen Spiele der krönende Abschluss einer langen gemeinsamen Karriere werden. Ob das gelingt, ist momentan allerdings nicht abzusehen, dafür stehen hinter zu vielen Faktoren immer noch zu viele, sehr große Fragezeichen.