Die Erfolgsstory des BKM
24. August 2021Wenn Monika Grütters Gäste in ihren Amtsräumen im siebten Stock des Kanzleramts empfängt, zeigt sie ihnen schon mal die prächtige Aussicht über den Berliner Tiergarten. Über ihr residiert nur noch Angela Merkel. Und obwohl die Beauftragte des Bundes für Kultur und Medien keine richtige Ministerin mit eigenem Hofstaat ist, sitzt Grütters (CDU) mit am Kabinettstisch. Das Parlament verabschiedet ihr Kulturbudget - zusammen mit dem Kanzleretat - traditionell als erstes. "Die Anbindung ans Kanzleramt", freute sich Monika Grütters 2018 in der Zeitung "Das Parlament", "hat die Kultur quasi an die Pole Position der Politik gesetzt."
Gemessen am Geld, mit dem Grütters die deutsche Kulturlandschaft versorgen kann, ist das nicht übertrieben: Erstmals übersprang der Etat der Staatsministerin 2021 die Zwei-Milliarden-Euro-Marke, ergänzt um eine Milliarde für das - wegen der Corona-Pandemie im Wahljahr aufgelegte - Konjunktur- und Rettungsprogramm "Neustart Kultur".
Nie zuvor hat der Bund so viel Geld für Kultur ausgegeben. Nie vorher gab es in Berlin eine einflussreichere Kulturverwalterin als Monika Grütters. Kein Wunder, wenn da selbst ihr Amtskollege im zentralistisch verfassten Frankreich vor Neid erblasst.
Kritische Bilanzen zum 20. BKM-Geburtstag 2018
Spätestens 2018, als das Amt des Beauftragten für Kultur und Medien (BKM) seinen 20. Geburtstag feierte, wurde klar, dass dieser Erfolg nicht von ungefähr kam, sondern im Gegenteil viele Väter und Mütter hat. Die deutschen Feuilletons zogen kritische Bilanzen. "Mit einem Sturm der Entrüstung fing alles an", titelte der Bonner General-Anzeiger. Voll des Lobes war die Berliner Zeitung, sie sprach von einer "Erfolgsgeschichte".
Als Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) 1998 mit dem früheren Rowohlt-Verleger Michael Naumann den ersten Kulturbeauftragten des Bundes installierte, löste das noch zwiespältige Reaktionen aus. "Der SPD-Kanzler, selbst Künstlerfreund, wollte an die Zeiten vor der Ära Kohl anknüpfen, als Günter Grass noch Reden für Willy Brandt schrieb", erinnert die Süddeutsche Zeitung. Die einen belächelten das Amt, andere beäugten es eifersüchtig: Denn seit 1949 der Parlamentarische Rat das Grundgesetz aus der Taufe gehoben hat, gilt die darin verankerte Kulturhoheit der Länder als tragende Säule des deutschen Föderalismus. Was, bitteschön, will da der Bund?
Noch im März des Jahres 1998 hatte Olaf Zimmerman (SPD), heute Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, mit seinem Plädoyer für die Berufung eines Bundeskulturbeauftragten einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Nach dem Wahlsieg von Rot-Grün wurde sein Wunsch aber zügig Wirklichkeit. Nachzulesen ist all das, inklusive der kulturpolitischen Vorgeschichte, in dem Buch "Wachgeküsst. 20 Jahre neue Kulturpolitik des Bundes".
Kulturhoheit der Länder nur Verfassungsfolklore?
Die Kanzlerschaft Helmut Kohls (CDU) mit seinem Versprechen einer geistig-moralischen Wende war vorbei. Es begann, wie ein Feuilletonist damals schrieb, die Geschichte des "spät erwachten Geltungs- und Gestaltungswillens bundesrepublikanischer Kulturpolitik". Gerade mal zwei Laptops habe er bei seinem Amtsantritt im Kanzleramt vorgefunden, heißt es über den ersten Kulturstaatsminister, den Hamburger Verleger und Journalisten Michael Naumann (SPD). Die föderale Kulturhoheit der Länder, an deren Grenzen er bisweilen stieß, nannte der politische Quereinsteiger gelegentlich "Verfassungsfolklore".
Naumann war erklärter Gegner des Berliner Denkmals für die ermordeten Juden Deutschlands, er empfand es als ästhetische Anmaßung. Doch der Deutsche Bundestag beschloss 1999 die Errichtung des unter anderem von der Fernsehjournalistin Lea Rosh initiierten Mahnmals. An Naumann war es, den Entwurf des US-Architekten Peter Eisenmann umzusetzen - ein wellenförmiges Feld aus 2711 Betonstelen. Naumanns Hartnäckigkeit aber verdankt das Mahnmal, dass es um einen unterirdischen "Ort der Information" ergänzt wurde, der bis heute in Themenräumen die Verbrechen der Nazizeit dokumentiert.
Nach nur zwei Jahren trat Michael Naumann zurück und bewarb sich - vergeblich - um das Amt des Hamburger Bürgermeisters. In die siebte Etage des Kanzleramtes zog Julian Nida-Rümelin ein, seines Zeichens Philosoph und bis dato Kulturreferent in München. Nida-Rümelin erwies sich als Mann mit ordnungspolitischen Ideen: Die Errichtung der Kulturstiftung des Bundes mit Sitz in Halle war "sein Baby" – und gilt zugleich als seine wichtigste Hinterlassenschaft: Wenn manche Kulturvorhaben und -Institutionen Bedeutung für ganz Deutschland haben, sollte man ihre Förderung dann nicht auch dem Bund überlassen?
Wie sein Vorgänger blieb Nida-Rümelin nur zwei Jahre, ihn drängte es zurück in die Wissenschaft. Die parteilose Literaturwissenschaftlerin Christina Weiss übernahm 2002, als erste Frau im Amt, und blieb bis zum Ende der zweiten rot-grünen Kanzlerschaft Schröders. Weiss wird heute vor allem die Reform der Filmförderung hoch angerechnet, das helle Leuchten des roten Berlinale-Teppichs ist also auch ihr Werk.
Nach dem Machtwechsel im Kanzleramt 2005 war es Bundeskanzlerin Angela Merkel, die an dieser Konstellation festhielt: Nicht nur, dass das BKM in Konkurrenz zur Kulturhoheit der Länder stand. Auch war - und ist bis heute - ein gewichtiger Teil der Kulturpolitik im Auswärtigen Amt angesiedelt: Mit dem Goethe-Institut wacht es über eine riesige, weltweit tätige Kultur-und Mittlerorganisation. Die Zeit für ein eigenständiges Kulturministerium, das die Kulturpolitik des Bundes unter einem Dach gebündelt hätte, war offenbar noch nicht reif.
BKM im politischen Betrieb etabliert
Merkel entschied sich für den Bremer Landespolitiker Bernd Neumann (CDU) als neuen Kulturstaatsminister. Als sein größtes Verdienst würdigten die Bilanzierer in den Feuilletons, dass Neumann für einen steten Anstieg des BKM-Etats sorgte, dass er die Provenienzforschung zur Herkunft von Museumsbeständen ebenso auf die Agenda setzte wie eine Reform des Urheberrechts. Bernd Neumann und seine Nachfolgerin Monika Grütters (CDU), die 2013 antrat, hätten das BKM "fest im politischen Betrieb verankert", notierte die Berliner Zeitung rückblickend - "und es von der zwanghaften Vorstellung befreit, der Kulturstaatsminister müsse der kulturelle Klassensprecher sein".
Heute ist Grütters Chefin von rund 300 Mitarbeitenden und tanzt auf vielen Hochzeiten: Ihre Behörde fördert Kultureinrichtungen und -Projekte von nationaler Bedeutung. Das Spektrum reicht von der Stiftung Preußischer Kulturbesitz bis zum Deutschen Zentrum Kulturgutverluste, vomBerliner Humboldtforum bis zur Filmförderung, von der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur über das Bundesarchiv bis zum Deutschen Auslandssender Deutschen Welle.
Und auch in den Kulturdebatten des Landes mischt Grütters an prominenter Stelle mit, sei es über die NS-Raubkunst, das koloniale Erbe Deutschlands oder die Pandemieschäden in der Kulturlandschaft. Eine Debatte kreist um sogar ihr eigenes Amt: Linke und Grüne fordern ein eigenständiges Bundeskulturministerium, auch FDP- und CDU-Politiker und mit ihnen Monika Grütters. Olaf Zimmermann vom Deutschen Kulturrat fand dafür die poetischsten Worte: "Der Bund wurde vor 23 Jahren kulturpolitisch wachgeküsst." Das BKM habe sich in zwei Jahrzehnten sehr gut entwickelt und viel Reputation erworben. "Nach der Bundestagswahl wird sich zeigen, ob die neue Bundesregierung bereit ist, den nächsten, längst überfälligen, Schritt zur Stärkung der Bundeskulturpolitik zu gehen." Kommt also 2021 das eigenständige Bundeskulturministerium?