In der Warteschleife
1. März 2012Serbien ist beim EU-Gipfel in Brüssel zum Kandidaten für einen Beitritt zur Gemeinschaft der 27 EU-Staaten erhoben worden. In letzter Minute vor dem Gipfel hatte Serbien noch ein Abkommen mit dem Kosovo geschlossen, um den Streit um den völkerrechtlichen Status des Kosovo auszuklammern. Für Serbien ist der Titel "Kandidat" ein wichtiger Schritt auf dem langen Weg zur Mitgliedschaft, der 2009 mit dem offiziellen Antrag begonnen hatte. Jetzt wird die EU-Kommission in Brüssel dem frisch gebackenen Kandidaten die Bedingungen nennen, die zur Aufnahme offizieller Beitrittsverhandlungen erfüllt werden müssen. "Wir wollen auf keinen Fall neue Konflikte in die EU importieren", sagte EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle.
Auf den offiziellen Start von Verhandlungen wartet nach Angaben der EU-Kommission immer noch Beitrittskandidat Mazedonien, und zwar schon seit 2005. Die ehemalige jugoslawische Republik hat praktisch alle Bedingungen erfüllt, aber der Streit um den Staatsnamen mit dem EU-Mitglied Griechenland ist noch nicht beigelegt. Ein weiterer Kandidat, der noch auf die Eröffnung von formalen Beitrittsverhandlungen wartet, ist Montenegro. Der Kleinstaat, der sich 2006 aus der staatlichen Gemeinschaft mit Serbien gelöst hat, ist in der Warteschlange 2010 auf den Kandidatenstatus vorgerückt.
Island und die Türkei verhandeln
Die nächste Gruppe von Beitrittskandidaten ist schon einen Schritt weiter: Island und die Türkei verhandeln mit den übrigen EU-Mitgliedsstaaten. Island, der Inselstaat im Nordatlantik, macht schnelle Fortschritte. Das Land drängt seit seiner Pleite während der Finanzkrise in die EU. Als Mitglied in der europäischen Freihandelsunion (EFTA) hatte es bereits viele EU-Gesetze übernommen. Im Moment haken die Verhandlungen, die 2010 begonnen haben, noch am Walfangverbot der EU und an den Rückzahlungen von Krediten an Großbritannien. Island könnte diesen Prozeß aber wohl relativ zügig abschließen, um 2013 beizutreten. Unklar ist aber, ob die 300 000 Isländer einem EU-Beitritt in einer Volksabstimmung am Ende zustimmen würden.
Die Türkei hat den bisher längsten Beitrittsweg hinter sich. Bereits 1987 stellte das Land den Mitgliedsantrag. 1999 erhielt es den Kandidatenstatus und seit 2005 finden formelle Beitrittsverhandlungen statt. Da einige Regierungen in der EU, darunter die deutsche und französische, schwere Bedenken gegen eine Aufnahme der Türkei in die Europäische Union haben, finden die Verhandlungen "ergebnisoffen" statt. Ob es einen Beitritt geben könnte, entscheidet sich wahrscheinlich erst am Ende des Jahrzehnts. Seit 2006 stocken die Verhandlungen ohnehin, da die Türkei das EU-Mitglied Zypern nicht anerkennt. Türkische Truppen halten den Nordteil Zyperns besetzt. In der Türkei selbst nimmt die Zustimmung für einen Europa-Kurs immer weiter ab. Zum derzeitigen Stand sagte der EU-Kommissar für Erweiterung, Stefan Füle: "Es gibt auf beiden Seiten Frustrationen."
Kroatien darf 2013 hinein
Kroatien hat es geschafft. Das Land auf dem westlichen Balkan, das auch aus dem ehemaligen Jugoslawien hervorgegangen ist, wird am 01. Juli 2013 das 28. Mitglied der Europäischen Union. Der Beitrittsvertrag wurde von den Staats- und Regierungschefs der EU im Dezember 2011 unterschrieben und wird jetzt noch von den Parlamenten ratifiziert. Kroatien hatte bereits 2003 einen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt. Zehn Jahre hat der Beitrittsprozess also insgesamt gedauert. Als erste ehemalige jugoslawische Teilrepublik war Slowenien 2004 der Union beigetreten. Die EU hat allen Staaten des westlichen Balkans mehrfach zugesagt, sie in die Gemeinschaft aufzunehmen, sobald die Kriterien für die Eröffnung eines Beitrittsverfahrens erfüllt sind. Den Status eines "potenziellen" Beitrittskandidaten haben derzeit Bosnien-Herzegowina, Kosovo und Albanien.
Drei Länder in der Warteschlange
Bosnien-Herzegowina konnte noch keinen Antrag auf Mitgliedschaft in der Europäischen Union stellen. Das Land, in dem die Aussöhnung der ehemaligen Kriegsparteien noch nicht gelungen ist, gilt als zu instabil für formelle Beitrittsgespräche. 2008 wurde ein Stabilisierungs- und Assoziierungsabkommen mit der EU geschlossen, das darauf zielt, Bosnien-Herzegowina näher an europäische Standards heranzuführen und irgendwann fit für eine spätere Mitgliedschaft zu machen. Kosovo, das seine Unabhängigkeit von Serbien erklärt hat, wird nicht von allen EU-Mitgliedern als eigenständiger Staat anerkannt. Deshalb sind formelle Beitrittsgespräche erst einmal nicht möglich. 2008 hat die EU aber festgelegt, dass auch das Kosovo-Gebiet eine "europäische Perspektive" hat, wenn die Statusfragen und das Verhältnis zu Serbien geklärt sein werden. Albanien hat 2009 seinen Aufnahmeantrag gestellt. Zur Zeit laufen noch Verhandlungen zwischen der albanischen Regierung und der EU-Kommission in Brüssel, um herauszufinden, ob Albanien ausreichende Reformen zum Beispiel im Justizwesen und bei der Eindämmung organisierter Kriminalität vorantreibt. Über die Anerkennung als Kandidat wurde noch nicht entschieden.
Weitere potenzielle Beitrittskandidaten sind die osteuropäischen Staaten, die in der "Östlichen Partnerschaft" mit der EU verbunden sind. Die Ukraine, Georgien und Moldawien haben zeitweise Interesse an einer Mitgliedschaft in der Europäischen Union bekundet, echte Chance auf eine Aufnahme haben sie in absehbarer Zeit aber kaum. Armenien und Aserbaidschan sind vor allem durch wirtschaftliche Abkommen mit der EU verbunden. Da in Minsk Präsident Lukaschenko diktatorisch regiert, sind die Beziehungen der EU zu Belarus im Moment so gut wie nicht vorhanden.
Ein Austritt und ein Verbot
Die Europäische Union kennt sich mit Beitritten übrigens aus, denn immerhin sind 21 der heute 27 Mitglieder erst nach der Gründung durch sechs Staaten im Jahr 1957 aufgenommen worden. Am schnellsten klappte der Beitritt für Finnland. 1992 stellten die Finnen den Aufnahmeantrag. Drei Jahre später waren sie bereits Mitglieder im europäischen Klub.
Den ungewöhnlichsten Beitritt erlebten die Bürger der ehemaligen DDR. Sie wurden über Nacht Bürger der Europäischen Union, weil die DDR der Bundesrepublik Deutschland am 01. Oktober 1990 beitrat. Es gab keine formellen Verhandlungen, aber die Bundesregierung leistete mit freiwilligen Finanzierungszusagen Überzeugungsarbeit bei skeptischen Mitgliedern wie Großbritannien.
Bisher hatte die Europäische Union auch einen - zumindest halben - Austritt zu verzeichnen. 1985 verließ Grönland die damalige Europäische Gemeinschaft, weil es von Dänemark 1979 in eine weitgehende Selbstverwaltung entlassen wurde. 1982 votierten die Grönländer für einen Austritt aus der EG, der drei Jahre später vollzogen wurde. Norwegen, die Schweiz und zahlreiche Zwergstaaten in Europa und überseeische Besitzungen der EU-Staaten sind ebenfalls nicht Teil der Europäischen Union. Ein Zwergstaat, nämlich der Vatikan, dürfte der EU nicht beitreten, weil er völkerrechtlich gesehen eine absolutistischer, theokratischer Staat ohne Parlament und unabhängige Gerichte ist.
Autor: Bernd Riegert
Redaktion: Johanna Schmeller