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40 Jahre "Emma" - Emanzipation auf Papier

Laura Döing
26. Januar 2017

Beschimpft, verachtet und gefürchtet: 1977 erschien erstmalig die Zeitschrift "für Frauen von Frauen". Heute kämpfen Gründerin Alice Schwarzer und ihre Redaktion weiterhin für Frauenrechte - das passt nicht jedem.

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Journalistin und Herausgeberin Alice Schwarzer
Bild: picture-alliance/ZB/T. Schulze

Hunderttausende zieht es auf die Straßen. Sie tragen Schilder, pinke Mützen und Abscheu gegen Frauenfeindlichkeit, Homophobie, Rassismus und Intoleranz hinaus in die Welt. Einen Tag nach der Amtseinführung des neu gewählten US-Präsidenten Donald Trumps wird beim "Women's March" nicht nur in Washington, Seattle und New York protestiert. Von London über Berlin, Nairobi und Tokio bis nach Sydney formiert sich solidarischer Protest.

Die Bilder erinnern an die Anfangszeit der Frauenbewegung zu Beginn der 1970er-Jahre in Deutschland. Was Frauen damals auf die Straßen trieb: eine Gesetzgebung, die Frauen gegenüber Männern stark benachteiligte. Frauen waren in der Ehe verpflichtet, den Haushalt zu führen. Sie durften nur dann berufstätig sein, wenn sie ihre Pflichten als Ehefrau und Mutter nicht vernachlässigten. Die Ehemänner hingegen konnten gegen den Willen ihrer Ehefrauen deren Arbeitsverträge kündigen. Und all das, obwohl es in der deutschen Verfassung seit 1949 heißt: "Männer und Frauen sind gleichberechtigt."

Cover der ersten EMMA-Ausgabe (Foto: picture-alliance/dpa/EMMA)
Männerjustiz, Hausfrauen, Vietnam - Cover der ersten "Emma" vom 26. Januar 1977Bild: picture-alliance/dpa/EMMA

Alice Schwarzer - "Verächterin der Männer"

Damals regte sich schließlich Widerstand, Frauen in Deutschland begannen, gegen diese Ungerechtigkeiten zu rebellieren. Eines ihrer Sprachrohre: die Zeitschrift "Emma". Sie wird zu einem Symbol des feministischen Widerstandes. Der Name: eine Anlehnung an das Wort "Emanzipation", mit dem Beisatz "Zeitschrift für Frauen von Frauen". Am 26. Januar 1977 erschien sie zum ersten Mal. Alice Schwarzer hob Emma aus der Taufe - und wurde dafür in den Medien gegeißelt: "Verächterin der Männer" nannte sie die überregionale Tageszeitung "Die Welt". Die Herausgeberin hätte bereits zur Gründung "ihr Pulver längst verschossen". 40 Jahre nach dem Zerriss gibt es die Zeitschrift immer noch. "Heute ist 'Emma', soweit ich blicken kann, das letzte professionelle Blatt am Kiosk in Feministinnen-Hand", sagte Schwarzer der DW.

Ungefähr zeitgleich wird in West-Berlin die "Courage", eine weitere feministische Frauenzeitschrift, gegründet. "Courage" wird lediglich bis 1984 gedruckt, Emma hingegen heute noch rund 30.000-mal pro Ausgabe. Fast zwei Drittel davon landen in den Briefkästen der Abonnenten. Eine von ihnen ist Ilse Lenz. Sie ist Professorin im Ruhestand der Universität Bochum und forscht zu Geschlechter- und Sozialstrukturen. Auf rund 1200 Seiten hat sie Quellen zusammengetragen, die die Entwicklung der Frauenbewegung von 1968 bis heute dokumentieren. "Die 'Emma' hat immer wieder harte Missstände aufgedeckt und Ausbeutung und Unterordnung von Frauen kritisiert. Sie hat viele Frauen dazu in Bewegung gebracht und war durchaus im Stande, in der Gesellschaft machtvoll das Wort zu ergreifen. Dadurch hat sich viel in der Bundesrepublik geändert", so Lenz.

Tabus ansprechen: Machtverhältnisse im Bett

Köln Anschlag die Redaktionsräume der "Emma"-Redaktion (Foto: picture-alliance/dpa)
"Emma es reicht" - Anschläge auf die feministische Redaktion in Köln 1994Bild: picture-alliance/dpa

Alice Schwarzer war bereits vor Gründung der "Emma" keine Unbekannte. 1971 initiierte sie die Kampagne "Wir haben abgetrieben!" nach französischem Vorbild in Deutschland. Ein bundesweiter Skandal: Auf dem Titel der Zeitschrift "Stern" waren Frauen zu sehen, die erklärten, eine Schwangerschaft abgebrochen zu haben - und die damit öffentlich gegen den Paragrafen 218 des Strafgesetzbuchs ankämpften, der eben dies verbot. 1975 löste Schwarzer erneut eine Welle der Empörung aus. Für ihr Buch "Der kleine Unterschied - und seine großen Folgen" interviewte Schwarzer Frauen - nicht nur zu Alltag, Ehe und Kindern sondern auch über Machtverhältnisse im Bett, sexuellen Erwartungsdruck und Unterdrückung von Frauen als Lustobjekte.

In 40 Jahren hat "Emma" viele Themen gesetzt: 1978 verklagte sie die damals auflagenstärkste deutsche Illustrierte "Stern" wegen frauenfeindlicher Titelbilder, später startete sie Kampagnen gegen Pornografie, Genitalverstümmlung von Frauen und Diskriminierung junger Musliminnen. "'Emma' ist keine Dialogzeitschrift. Es gibt immer wieder Kontroversen um die 'Emma'. Sie hat selber Kontroversen aufgebracht und dadurch Debatten gestartet und das ist vielleicht ihr größtes Verdienst", ordnet Lenz ein. Auch Porträts starker Frauen und praktische Do-it-yourself-Tipps beispielsweise zum Reifenwechsel sind immer wieder im Heft, das es mittlerweile auch online gibt.

 Alice Schwarzer (2. v. l.) und die Emma-Frauen 1977 in der Redaktion (Foto: G. Jakobi)
Gründungsjahr: "Emma"-Frauen rund um Chefin Alice Schwarzer (2. v. l.) beim Blattmachen 1977Bild: G. Jakobi

4000 Jahre Patriarchat

Kritik an "Emma" gab es nicht nur in der Anfangszeit. So kündigte die junge deutsche Feministin Margarete Stokowski ihr Abo, weil sie die Zeitschrift "unerträglich" fand,wie sie im November 2015 schrieb. "'Emma' hat die Frauenbewegung 40 Jahre lang begleitet und nun haben wir die Auseinandersetzung mit der neueren Generation der Netz-Feministinnen. Und da schenken sich beide Seiten nichts. Die Hauptstreitpunkte sind derzeit Antirassismus und die Initiative von 'Emma' im Bezug auf Regulierung der Prostitution. Ich sehe auch problematische Positionen bei der 'Emma', die eher nicht zwischen dem Islam und fundamentalistischem Islamismus differenziert und dadurch auch zu problematischen Frauenbildern von migrantischen Frauen beiträgt. Aber ich denke, diese Auseinandersetzung sollte nicht ignorieren, was 'Emma' über 40 Jahre geleistet und eröffnet hat", meint Lenz. Auch Schwarzer selbst bleibt weiterhin umstritten: Kritisiert wird ihr autokratischer Führungsziel, ihre Teilnahme an einer Werbekampagne der größten deutschen Boulevardzeitung und die Steuerhinterziehung, zu der sich Schwarzer 2014 bekannte.

Zwischenzeitlich wollte Schwarzer die Chefredaktion der "Emma" abgeben, doch davon ist sie mittlerweile abgerückt. Eine Nachfolgerin sei nicht in Sicht. Leserbriefe, von denen einige auch in der Jubiläumsausgabe veröffentlicht sind, würden sie antreiben: "Diese Briefe sind sehr selbstbewusst, aber auch herzzerreißend. Sie zeigen, wie 'Emma' ganz konkret diesen Frauen Mut macht und ihr Leben verändert", so Schwarzer. "Und sie zeigen, dass feministisches Denken und Handeln weiterhin lebensnotwendig sind. Man schafft 4000 Jahre Patriarchat eben nicht in 40 Jahren ab."

Wo bleiben die weiblichen Führungskräfte?

Alice Schwarzer 2016 mit der Jubiläumsausgabe "40 Jahre EMMA" in der Hand  (Foto: Bettina Flitner)
Seit 40 Jahren Herausgeberin: Alice Schwarzer, Gründerin der EmmaBild: Bettina Flitner

Als die erste Emma erschien, saßen 38 Frauen im deutschen Bundestag - nicht einmal zehn Prozent der Abgeordneten. Heute sind es 232 weibliche Abgeordnete, sie machen 37 Prozent der Delegierten aus. Die große Mehrheit der Menschen in Deutschland wolle zwar die Gleichheit zwischen den Geschlechtern, so Ilse Lenz. Aber die ist noch lange nicht erreicht: Bei gleicher Qualifikation und Tätigkeit verdienen Frauen laut Statistischem Bundesamt im Durchschnitt rund sieben Prozent weniger als Männer. Zwar attestiert das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) den 200 umsatzstärksten Unternehmen in Deutschland leichte Fortschritte hinsichtlich des Frauenanteils in Aufsichtsräten. Dennoch sind die Zahlen mager: Zu 23 Prozent sind die Aufsichtsräte der Top-Unternehmen durch Frauen besetzt, die Vorstände gerade einmal zu acht Prozent. Wenn das so weitergehe, dauere es noch 60 Jahre bis die Vorstände zu gleichen Teilen mit Frauen und Männern besetzt seien, so das DIW. Und das sei noch eine optimistische Prognose.

AfD: Rückschrittliches Frauenbild

"Die Herrschaft der alten Männer und der Ehemänner, wie sie weit bis ins 20. Jahrhundert in Westdeutschland markant war, ist aufgebrochen, aber wir haben neue Probleme: Im Beruf durch die Flexibilisierung, in der Gesellschaft durch die Ungleichheit von Klasse, Migration und Geschlecht, in Beziehungen durch die weiterhin ungleiche Arbeitsteilung", ergänzt Professorin Lenz. "In der Familienarbeit hat sich wenig geändert: Die Kinderversorgung und die Versorgung von Älteren bleibt überwiegend bei den Frauen."

Nicht nur in den USA auch in Deutschland gebe es Herausforderungen für den Feminismus: durch die AfD, die rechtspopulistische Partei Alternative für Deutschland. "Deren Leitbild ist eine Frau, die für Familie und Nation da ist. Migrantische Frauen und Männer werden von führenden AfD-Sprecherinnen und Sprechern abgewertet und ausgeschlossen. Ein Flügel der AfD will offensichtlich die Möglichkeit der Abtreibung im Rahmen der jetzigen Gesetze abschaffen", so Lenz. Klingt so, als hätte die "Emma" auch noch Stoff für die nächsten Jahrzehnte.