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PolitikLuxemburg

40 Jahre Schengen: Kontrollen auf unbestimmte Zeit

14. Dezember 2024

Mit Rumänien und Bulgarien wird die Schengenzone erweitert. In vielen Staaten bleiben Personenkontrollen trotz aller Sonntagsreden in Kraft - allerdings nur als Stichproben. Ein Überblick.

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Uferpromenade mit europäischen Flaggen, im Hintergrund die Moselbrücke in Schengen
Moselbrücke in Schengen, Luxemburg: Auf der anderen Seite liegt Deutschland. Hier wurde die Schengenzone 1985 erfundenBild: Harald Tittel/dpa/picture alliance

Im Juni 2025 steigt in Schengen eine große Party. Das Dorf Schengen liegt im südwestlichen Zipfel des kleinen EU-Staates Luxemburg. Der Fluss Mosel bildet hier die Grenze zu Deutschland und Frankreich. An diesem Dreiländereck unterschrieben am 14. Juni 1985 auf dem Schiff "Marie-Astrid 2"  Minister aus den Niederlanden, Belgien, Luxemburg, Frankreich und Deutschland das Abkommen über freien Grenzübertritt ohne Personenkontrollen. Dies war die Keimzelle der heutigen "Schengenzone", der mittlerweile 25 EU-Staaten sowie Norwegen, die Schweiz, Island und Liechtenstein angehören. Der kontrollfreie Reiseverkehr für die meisten Europäer wird von der EU-Kommission heute gerne als eine der "Kronjuwelen" der europäischen Einigung bezeichnet.

Doch die Juwelen haben erheblich an Glanz verloren und die Party im Juni könnte getrübt werden. Der Luxemburger Innenminister Leon Gloden schimpft auf die Nachbarstaaten, die wegen hoher Migrantenzahlen wieder stichprobenartige Grenzkontrollen eingeführt haben. "Das ist für Luxemburg nicht akzeptabel", sagte Gloden beim Treffen der Innenministerinnen und -minister am Donnerstag. "Schengen ist eine der größten Errungenschaften der EU. Wir dürfen nicht zulassen, dass sich Grenzen wieder in den Köpfen der Menschen festsetzen."

So viele Kontrollen wie noch nie

Das ablaufende Jahr 2024 ist das Jahr mit den meisten Grenzkontrollen an Binnengrenzen, seit der Schengenraum vor fast 40 Jahren begründet wurde. Das wichtigste Transitland in der EU, Deutschland, hat an allen Landgrenzen zu seinen neun Nachbarstaaten wieder Kontrollen eingeführt. Das gab es noch nie. Schon seit 2015 bestanden Kontrollen an der südlichen deutschen Grenze nach Österreich, um Migranten, die über die Balkanroute anreisen, abzuschrecken. Frankreich hat ebenfalls seit 2015 wieder Grenzkontrollen eingeführt, auch wegen Terrorgefahr, aber nur selten flächendeckend umgesetzt. Die meisten kontrollierenden Staaten haben nur einen Teil ihrer Grenzen für Personenkontrollen ausgewiesen.

Europa ohne Grenzen- das Schengen-Abkommen

An den Binnengrenzen zurückgewiesen werden Ausländer, die keine gültigen Papiere haben oder mit einer Einreisesperre wegen zurückliegender Verstöße belegt sind. Wer unmittelbar an der Grenze einen Asylantrag stellt, darf vorläufig einreisen und wird in eine Unterkunft für die Erstaufnahme gebracht. Eine direkte Zurückweisungen aller Menschen, die Asyl begehren, ist nach europäischem Recht nicht möglich.

Am vergangenen Montag haben auch die Niederlande Grenzkontrollen für Einreisende aus Deutschland und Belgien eingeführt. Fast gleichzeitig haben die Innenminister beschlossen, Rumänien und Bulgarien von Januar an vollständig in die Schengenzone aufzunehmen. Kontrollen an den Landgrenzen fallen dann in den südöstlichen Mitgliedsstaaten der EU weg. Die Kontrollen an Flughäfen wurden schon im vergangenen Jahr abgeschafft.

Ausnahme fast schon die Regel

Das Europaparlament und die EU-Kommission weisen immer wieder darauf hin, dass systematische Personenkontrollen an den Binnengrenzen des Schengenraumes die "absolute Ausnahme" und nur das "letzte Mittel" sein dürfen, wie es im Schengen-Grenzkodex heißt. Allerdings kann jedes Mitgliedsland Grenzkontrollen für sechs Monate einführen und muss die EU-Kommission davon mit einer stichhaltigen Begründung unterrichten. Die Kontrollen können dann auf maximal zwei oder im Extremfall auch drei Jahre verlängert werden. Danach muss die Begründung - oft mit einiger Fantasie - geändert werden. Die Kontrollen können dann erneut bis zu zwei Jahre weitergehen. Bislang hat die EU-Kommission keine förmlichen Verfahren wegen Verletzung des Grenzkodexes eingeführt, obwohl einige Staaten die Kontrollen seit zehn Jahren aufrechterhalten.

Nancy Faeser und Leon Gloden inmitten weitere Personen
Luxemburgs Innenminister Golden (3. v. r.) beschwert sich regelmäßig bei Deutschlands Innenministerin Faeser über ungerechtfertigte Hürden für Pendler Bild: Omar Havana/AP Photo/picture alliance

Die deutsche Innenministerin Nancy Faeser kündigte an, die umfassenden Kontrollen an allen deutschen Grenzen sollten auf unbestimmte Zeit weitergehen, bis die Zahl der ankommenden Migranten auf ein nicht genanntes Maß zurückgehen. "Solange die Zahlen in Deutschland so hoch sind, wie sie sind, werden die Kontrollen beibehalten.  Für die Bundesrepublik hat der Schengenraum große Bedeutung, aber dann muss es auch zu einer besseren Verteilung der Flüchtlinge kommen."

Unerlaubte Einreisen an den Außengrenzen verhindern

Faeser bezieht sich auf die Asylverfahrensregeln der EU. Nach denen sollen Asylbewerber und Flüchtlinge in den Staaten der ersten Einreise, also unmittelbar an den Außengrenzen des gesamten Schengenraumes aufgenommen werden. De facto geschieht dies nicht, viele Migranten reisen von Griechenland, Italien, Kroatien oder Spanien in nördliche EU-Staaten wie Deutschland weiter. Diese Menschen sollen durch die Binnenkontrollen an den Schengen-Grenzen aufgehalten, möglichst abgewiesen oder in das Land der EU zurückgebracht werden, in das sie zuerst eingereist sind. Um dieses Ziel zu erreichen, hat die EU neue Asylverfahrensgesetze beschlossen, die aber erst in zwei Jahren umgesetzt werden sollen. So lange wird es also mindestens noch Grenzkontrollen an den deutschen Grenzen geben.

Was bringen die Kontrollen?

Wie sich die Personenkontrollen im Schengenraum tatsächlich auswirken, ist umstritten. Die Bundespolizei, die mit bis zu 11.000 Beamten im Einsatz ist, verweist in ihren Statistiken auf Zehntausende Menschen, die unerlaubt einreisen wollten. Etwa die Hälfte von ihnen wird unmittelbar abgewiesen. Die andere Hälfte stellt einen Asylantrag. Schleuser konnten verhaftet werden und Tausende von offenen Haftbefehlen vollstreckt werden. Die Gewerkschaft der Polizei (GDP) setzt die Zahlen von unerlaubt Einreisenden und Zurückgewiesenen viel niedriger an. Die Kontrollen seien auch nur an großen Straßen punktuell möglich. Deutschland habe schließlich eine Grenzlinie von 7000 Kilometern mit unzähligen Straßenverbindungen, so der Chef der Gewerkschaft der Polizei Andreas Roßkopf.

Deutschland Migranten in Forst an der deutsch-polischen Grenze
Polizisten an der deutsch-polnischen Grenze spüren ab und zu Schleuser auf, die Migranten in Kleinlaster pferchenBild: Lisi Niesner/REUTERS

Die Polizei kontrolliert nur einen Bruchteil der Autofahrer oder Bahnreisenden. Man beschränkt sich auf Stichproben, um keine riesigen Staus zu verursachen. Das ist die klare Anweisung aus dem Bundesinnenministerium. Medien in den Niederlanden berichteten aber, dass es zu Staus an der deutschen Grenze gekommen sei, bei denen es sogar Autounfälle mit Todesopfern gegeben hätte. Ab und zu werden Reisebusse  aus Südeuropa von den Autobahnen gewinkt, sagte der Gewerkschaftsvorsitzende Roßkopf dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Viele Busfahrer würden inzwischen aber die möglichen Kontrollpunkte kennen und auf kleinere Straßen ausweichen.

"Gefühl der Sicherheit"

Magnus Brunner aus Österreich ist als neuer EU-Kommissar für Inneres und Migration auch für den Schengenraum zuständig. Er hat Verständnis für die um sich greifenden Grenzkontrollen. "Wir müssen die Sicherheit im europäischen Raum verbessern.  Aber man muss sich an die rechtlichen Vorgaben halten. Wir müssen daran arbeiten, dass wir die Außengrenzen besser schützen, damit wir den Menschen das Gefühl geben, dass wir wieder die Kontrolle haben, wer hineinkommt."

Michel Gloden vor einem Ortsschild von Schengen
Michel Gloden ist Bürgermeister von Schengen: Er ärgert sich über Grenzkontrollen an der "Wiege"Bild: Harald Tittel/dpa/picture alliance

Ob das bis zum 40. Schengen-Jubiläum im kommenden Jahr passiert, ist sehr fraglich. Luxemburg will seine "Wiege des grenzenlosen Europas" (Schengens Eigenwerbung) dennoch im kommenden Juni gebührend feiern, kündigte der Schengener Gemeinderat Tom Bellion an.

 

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