40 Tonnen Giftgasgemisch - Der Chemieunfall Bhopal
2. Dezember 2009Mit seiner dreirädrigen Rikscha fährt Irshad Ali seine Kunden durch die staubigen, kurvigen Straßen Bhopals. Neben seinem Fahrersitz hängt ein kleines, blau-weißes Gerät: ein Atemgerät, sein ständiger Begleiter. Irshad Ali war elf, als die Gaskatastrophe in Bhopal passierte und er leidet heute noch unter Atembeschwerden. Sechs Mitglieder seiner Familie sind wegen des Unfalls gestorben.
Heute ist Ali verheiratet und hat sechs Kinder. Oft kriegt er Atemnot und kann abends nicht so gut sehen. Durch den Staub und Rauch der verschmutzten Straßen wird es noch schlimmer. "Der Arzt hat mir deswegen das Rikschafahren verboten. Aber wie soll ich sonst meine Familie ernähren?“ fragt Ali.
"Giftfabrik" in der Nachbarschaft
Das verheerende Unglück hat seine Spuren hinterlassen, nicht nur durch die Spätfolgen der Gaswolke. Selbst die heruntergekommene Pestizidfabrik der US-amerikanischen Firma “Union Carbide Corporation“ steht immer noch am selben Ort. Das Unternehmen ließ die Ruine zurück. Hier sind in der Nacht zum 3. Dezember 1984 bei einem Unfall hochgiftige Gase ausgetreten. Das Giftgasgemisch verätzte die Haut, die Augen, die Lungen und die Schleimhäute. Bis heute kennt keiner genaue Opferzahlen. Zwischen 10.000 und 25.000 Menschen starben in den ersten Tagen nach der Katastrophe. Für die Menschen in den umliegenden Siedlungen bleibt der Anblick der Fabrik und ihre hohen Türme eine ständige Erinnerung an die furchtbare Nacht vor 25 Jahren.
Das Unternehmen ließ die Fabrik zurück
Kurz nach der Katatstrophe zahlte die Union Carbide Corporation 470 Millionen Dollar an Entschädigung für die Opfer. Die Verantwortlichen des Unternehmens behaupten, dass sie damals alle Chemikalien aus der Fabrik entfernt hätten. Trotzdem befinden sich auf dem Gelände noch immer Tausende Tonnen giftiger Überreste, die das Grundwasser verseuchen. Bei einer aktuellen Untersuchung fand die indische Umweltorganisation "Centre for Science and Environment" eine 40 mal höhere Konzentration an Chemikalien. Auch drei Kilometer von der Fabrik entfernt finden sich im Wasser Spuren von Pestiziden und Metallsubstanzen wie Quecksilber.
Katastrophe geht weiter
Wie Irshad Ali leiden rund 100.000 Menschen in Bhopal unter den Spätfolgen der Tragödie. Chronische Atem – oder Augenbeschwerden, Leber und Nierenkrankheiten und sogar Krebserkrankungen kommen sehr häufig vor. Die Krankheiten bleiben über Generationen. Viele Kinder in der Region werden mit körperlichen oder geistigen Behinderungen geboren.
Die medizinische Behandlung der Patienten hat sich nicht geändert, sagt Abdul Jabbar, Vorsitzender einer Selbsthilfeorganisation für betroffene Frauen in Bhopal. "Bis jetzt werden die Menschen sehr willkürlich und symptomatisch wegen verschiedener Beschwerden behandelt. So, wie man das auch in anderen Teilen des Landes macht. Es gibt aber bisher keine Bemühungen, die Wurzeln der Krankheiten zu erforschen, um die spezifischen Probleme der Gasbetroffenen besser zu verstehen", sagt Jabbar.
Verseuchter Boden und verschmutztes Grundwasser
Diejenigen, die mit dem schmutzigen Wasser leben müssen, leiden an Folgeschäden. Wie zum Beispiel Ram Bai. Sie wohnt in Prem Nagar, einer Siedlung in der Nähe der Fabrik. Sie spricht von brennenden Augen, Bauchschmerzen und Verdauungsproblemen: "Es gibt hier ständig Krankheiten. Deswegen wollen wir endlich sauberes Wasser. Wir sind ja schon alt geworden, aber zumindest für unsere kleinen Kinder wollen wir ein besseres Leben sichern", sagt Ram Bai.
Ohne saubere Wasserquellen
2004 hat das Oberste Gericht in Indien den Staat aufgefordert, den Siedlungen in der Nähe der Fabrik sauberes Trinkwasser zur Verfügung zu stellen. Der Staat hat daraufhin ein Trinkwassernetz aufgebaut, aber es erreicht nur 9 von 14 Siedlungen, erklärt Abdul Jabbar. "Das Trinkwassernetz wird auch noch mit einem Krankenhaus geteilt, sodass die Einwohner in diesen Siedlungen nur an jedem zweiten Tag das Wasser kriegen. Außerdem wird den Menschen gesagt, sie sollen dafür bezahlen, weil es eine private Verbindung ist. Das sind arme Leute, die in Slums wohnen. Die haben keine Mittel, um diese Gebühren zu bezahlen", beschwert sich Jabbar.
Autorin: Pia Chandavarkar
Redaktion: Silke Ballweg