5237 Minuten Film
2. März 2009"Wir essen Seele auf" - so wirbt der Anbieter "Kinowelt" derzeit für sein Label "Arthaus" und die dort erschienene "Filmverlag der Autoren Edition". Rund 50 Werke aus der großen Zeit des Neuen Deutschen Films sind versammelt, Bekanntes und weniger Bekanntes, oft Gesehenes, aber auch viele Entdeckungen und DVD-Premieren. 1971 wurde der "Filmverlag der Autoren" gegründet, man wollte damals den Verleih der Filme nicht aus der Hand geben. Der "Verlag der Autoren" sollte - ganz im Geist der 70er Jahre - die Kontrolle haben über die Produkte, die die Autoren/Filmemacher herstellten. Sechs Jahre später begann das Filmkollektiv zu bröckeln. Streit unter den Mitgliedern, aber auch fehlende langfristige Konzepte und finanzieller Misserfolg sorgten dafür, dass sich die Eigentumsverhältnisse änderten.
1999 kaufte das Unternehmen "Kinowelt" die Rechte des verblichenen "Filmverlags" und wertet sie seither aus. Nun also als groß angelegte Rückschau ein Filmpaket auf DVD, dazu ein opulentes Begleitbuch. Deutsche Regiegrößen wie Edgar Reitz und Reinhard Hauff, Volker Schlöndorff und Werner Herzog sind dabei, aber auch heute beim Publikum vergessene Namen wie Uwe Brandner und Thomas Schamoni oder Quereinsteiger wie Luc Bondy und Peter Handke. Sie alle trugen mit ihren Filmen zur Blüte des deutschen Kinos bei, ein Kino, dass sich Anfang der 1960er Jahre gegen das Einerlei der Unterhaltungsware abgesetzt hatte, aber erst rund zehn Jahre später Erfolge feierte, die dann im Oscar für "Die Blechtrommel" ihren sichtbarsten Ausdruck fanden. In der Edition dabei natürlich auch das pulsierende Herz der Bewegung: Rainer Werner Fassbinder, auf dessen "Angst essen Seele auf" die Werbung der DVD-Edition anspielt. Als Appetithappen fünf Film kurz und knapp vorgestellt:
"Ich liebe dich, ich töte dich" von Uwe Brandner (1970)
Eines der Werke, die es wiederzuentdecken gilt. Uwe Brandner hat nur wenige Filme realisieren können, sein Kinodebüt "Ich liebe dich, ich töte dich" dürfte sein bekanntester sein. Darüber hinaus war er eines der bemerkenswertesten Werke des damals populären "neuen, kritischen Heimatfilms". Die Geschichte eines Jägers und eines Lehrers in einem abgelegenen Dorf im Altmühltal ist eine Mischung aus Heimatfilm und Science-Fiction-Parabel, aus Schwulendrama und Gesellschaftsstück. Der Film beeindruckt heute noch mit seinen strahlenden, satten Farben, seinen eindringlichen Bildtableaus, die die Bundesrepublik der 60er Jahre als Land zeigen, das noch nicht von Schlecker-Märkten und Aldi-Filialen durchzogen ist. Die Menschen werden mit bunten Pillen für gute Laune versorgt, das hält sie still. Ein Film aus der Zeit zwischen `68er-Aufbruch und deutschem Herbst.
"Die Verrohung des Franz Blum" von Reinhard Hauff (1973/74)
Reinhard Hauff steht zu Unrecht ein wenig im Schatten heute berühmterer Regisseure. Dabei hat er einige der wichtigsten Werke zum Neuen Deutschen Film beigesteuert. "Die Verrohung des Franz Blum " gehört dazu. Basierend auf dem Roman von Burkhard Driest, der selbst im Knast saß und im Film mitspielt, hat Hauff ein packendes Gefängnisdrama inszeniert, das durchaus die Kraft amerikanischer Vorbilder besitzt. Jürgen Prochnow und Burkhard Driest und die im Film mitwirkenden Insassen einer Haftanstalt zeigen uns den Überlebenskampf hinter bundesrepublikanischen Gefängnismauern: hart und roh, von Hauff ohne Sozialromantik und Kitsch inszeniert.
"Im Laufe der Zeit" von Wim Wenders (1976)
Es gibt wohl kaum einen deutschen Regisseur der vergangenen Jahrzehnte, dessen Früh- und Spätwerk so auseinanderdriften. Wenders wird heute vor allem im Ausland geschätzt, gilt als Aushängeschild des deutschen Kinos, wird auf Festivals und in Jurys eingeladen. Zu Hause jedoch werden seine Filme von der Kritik regelmäßig verrissen und verspottet. Umso wichtiger wieder einmal eines seiner frühen Werke anzusehen. "Im Laufe der Zeit" zeigt uns, warum auch wir Deutsche einmal Wenders geliebt haben: für seine Wortlosigkeit, seinen Mut zur Stille im Kino, für seine berückend-schönen Einstellungen, seine phantastischen Schwarz-Weiß-Bilder, seine klug ausgewählte Musik, seine originellen Geschichten von Sonderlingen und Einzelgängern. Kurzum für ein damals wie heute untypisches deutsches Kino.
"Aguirre, der Zorn Gottes" (1972) und "Fitzcarraldo" (1982) von Werner Herzog
Zwei Reisen Herzogs auf Zelluloid nach Südamerika. Zwei Reisen auch mit seinem Filmpartner Klaus Kinski in die Innenwelten seiner Helden. In "Aguirre" ist Kinski ein wahnwitziger Goldsucher, der meint die Welt sich untertan machen zu können: "Wenn ich, Aguirre, will, dass die Vögel tot von den Bäumen fallen, dann fallen die Vögel tot von den Bäumen herunter!". Zehn Jahre später brach Herzog noch einmal in die tropischen Wälder Lateinamerikas auf. Diesmal sollten keine Vögel von den Bäumen fallen, jetzt ging es darum ein ganzes Schiff über einen Berghang zu ziehen. Dass Herzog und seine Crew das tatsächlich schafften, ganz ohne Special-effects und technische Hilfsmittel, machte den Münchner unsterblich und verhalf ihm auch international zu einem Ruf, der heute noch gilt: Deutschlands wahnsinnigster und mutigster Filmemacher zu sein, tatsächlich ein bisschen verrückt, visuell oft ungeheuer aufregend und mit Ideen, die andere Regisseure nicht einmal zu träumen wagen.
Die Edition mit weiteren 45 Filmen ist beim Anbieter "Kinowelt/Arthaus" erschienen, 50 DVD´s in einem Filmbuch, dazu ein 160-seitiger Bildband mit einem Vorwort von Wim Wenders.