60 Jahre Zeitschrift "Kulturaustausch"
1. Mai 2011Wenn Sie jemand ein Bison nennt, ärgern Sie sich nicht. Es muss nicht heißen, dass Sie unangenehm riechen oder rustikal aussehen. "Du Bison" kann durchaus schmeichelhaft gemeint sein. Vor allem, wenn Sie gerade in Weißrussland sind. Da heißt das nämlich, dass Sie ein besonders starker Typ sind.
Wie "schwingt" eine fremde Kultur?
Solch überraschende Einsichten findet man in der Zeitschrift "Kulturaustausch" alle drei Monate – so oft nämlich erscheint das Blatt, das in Berlin entsteht. Seit sechs Jahren ist Jenny Friedrich-Freksa Chefredakteurin. Für die Jubiläumsausgabe hat sie das Thema "Übersetzen" ins Zentrum gestellt – ein Herzensanliegen der Journalistin, die sich leidenschaftlich zwischen den Kulturen bewegt: "Übersetzen heißt Nähe zwischen zwei Sprachen herzustellen jenseits des Findens von richtigen Worten", sagt sie. "Ich muss das Denk- und Fühlsystem einer fremden Sprache kennen, um wirklich zu verstehen, wie diese fremde Kultur schwingt!"
Abgründe des Nichtverstehens
Darum ist im Jubiläumsheft etwa eine gekürzte Rede des 2010 verstorbenen portugiesischen Literatur-Nobelpreisträgers José Saramago übers Übersetzen zu lesen. Er stellte fest, dass er seinen eigenen Übersetzern Dinge erklären musste, die er selbst für völlig klar hielt. Dabei, so Saramago, bemerke man mitunter, dass sich "in der Idee, dass wir alles sagen können, ein Abgrund auftut". Und der ukrainische Schriftsteller Juri Andruchowytsch philosophiert darüber, warum es viele Russen empört, wenn Tschechow ins Ukrainische übersetzt wird.
Überhaupt ist die Liste der international renommierten Autoren eindrucksvoll, die in "Kulturaustausch" schreiben, darunter der kosmopolitische Ilja Trojanow, der mit seinem "Weltensammler" weltberühmt wurde, oder die südafrikanische Nobelpreisträgerin Nadine Gordimer. Aber Jenny Friedrich-Freksa ist es ebenso wichtig, ganz normale Menschen zu Wort kommen zu lassen: "Den Bauer aus Zimbabwe, der aus seinem Alltag erzählt, oder die Fremdenführerin in Nepal." Sie will Kulturen zusammenbringen, "indem wir ganz unterschiedliche Leute in dem Heft als Autoren versammeln."
Neustart nach der Nazi-Zeit
Das war nicht immer so in der Geschichte der Zeitschrift, die vom Institut für Auslandsbeziehungen (ifa) herausgegeben wird. Als sie aus der Taufe gehoben wurde, war die Bundesrepublik noch jung: Das ifa, das unter dem Namen "Deutsches Auslandsinstitut" in der Zeit des Nationalsozialismus eine unrühmliche Geschichte gespielt hatte, wurde nach dem Zweiten Weltkrieg neu gegründet. Ziel war es, den Umgang mit dem Ausland auf eine neue Grundlage zu stellen. Seit 1951 gab es dann die erste Zeitschrift, die "Mitteilungen" des Instituts. Vieles, was damals "gut gemeint" war, ist 60 Jahre später mit kritischer Distanz zu sehen: "Man sieht, wie stark damals noch der Gedanke war, den Anderen beizubringen, wie toll die deutsche Kultur ist oder wie es in der 'zivilisierten Welt' zugeht", sagt Jenny Friedrich-Freksa.
Dennoch gab es redliche Bemühungen, aus dem Schatten der nationalsozialistischen Verbrechen herauszutreten und eine neue Kulturpolitik zu entwickeln: "Wir gaben uns in der schamlosesten Prahlerei als Herrenrasse", heißt es in einem Artikel von 1966, "und rutschten dafür unsererseits in den Augen der Welt an das untere Ende der Beliebtheitsskala". Die Einsicht lautete: "Kulturpolitik besteht nicht darin, dass man auf dem Gebiet der Kultur Propaganda macht."
Diskurse und Debatten
Theoretische Debatten prägen dagegen die 1970er Jahre. Das Heft erscheint in neuer, sachlicher Aufmachung. Die Artikel werden immer komplizierter, die Fußnoten immer länger –man wendet sich an ein soziologisch gebildetes Fachpublikum. Man analysiert "Auswärtige Kulturpolitik als Kommunikationsprozess" – und da erscheint die Theorie mitunter noch schwieriger, als die Wirklichkeit ohnehin ist. Doch diese Debatten sind eine wichtige Selbstreflexion.
Bis allerdings das Wort von der Globalisierung Allgemeingut und die Zeitschrift – dann unter dem heutigen Titel "Kulturaustausch" - zu einer Publikumszeitschrift für alle geworden ist, dauert es noch lange. "Es gab natürlich immer schon Menschen, die kosmopolitisch und international interessiert waren", sagt Jenny Friedrich-Freksa, "aber dass Leute so viel reisen, dass jeder jemand kennt, der im Ausland arbeitet, dass die Kinder auswärts studieren, ist eine relativ neue Entwicklung, die auch durch historische Ereignisse wie den Mauerfall geprägt ist. Inzwischen funktioniert es natürlich viel besser, so ein international orientiertes Heft zu machen".
Bildungsangebot gratis
Spätestens seit den neunziger Jahren greift die Redaktion die ganz großen Themen auf, die auch heute noch nicht abgearbeitet sind: "Kulturenkonflikte", "Kultur und Gewalt", Migration. Analysen und Debatten gibt es noch immer. Aber auf eine Weise, die nicht nur Fachleute anspricht. Ein Heft hat kürzlich erforscht, wie 17-Jährige auf der ganzen Welt leben, es wurden Fernbeziehungen getestet oder gefragt, wie man weltweit mit der freien Zeit umgeht.
Das alles erscheint in einer Auflage von rund 10 000 Stück und interessiert Menschen in 146 Ländern. Die meisten Hefte gehen natürlich an Botschaften und Goethe-Institute, wo die Zeitschrift dann im Lesesaal landet. Für Jenny Friedrich-Freksa kein Grund, sich zu grämen – im Gegenteil: "In Äthiopien beispielsweise kann man sich am Kiosk eine Zeitschrift mieten für 1/35 des Kaufpreises und darf sie dann zwanzig Minuten lesen", erzählt sie. "In solchen Ländern ist es wirklich ein Bildungsangebot, wenn man eine deutschsprachige Zeitschrift in eine Bibliothek stellt und sie dann da umsonst gelesen werden kann."
Autorin: Aya Bach
Redaktion: Sabine Damaschke