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Abbas Khider: "Die Erde gehört uns allen"

27. Juli 2011

Weil er Flugblätter in Bagdad verteilt hat, musste Abbas Khider für zwei Jahre ins Gefängnis. Seit 2000 lebt er in Deutschland. Im DW-Interview spricht der irakische Schriftsteller über sein Schicksal.

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Abbas Khider (Foto: Jacob Steden)
Der gebürtige Iraker Abbas KhiderBild: Jacob Steden

DW-WORLD.DE: Was bedeutet für Sie Heimat?

Khider: Geschichte. Wenn man etwas erlebt, wenn man etwas lernt, dann entsteht dadurch eine Geschichte. Und diese Geschichte wird zu einer persönlichen Heimat. Ich glaube, es gibt zwei Arten von Heimat: eine persönliche und eine, in der man wirklich geboren ist. Für mich ist die persönliche Heimat wichtiger geworden. Das ist meine Geschichte, die ich selbst geschrieben habe. Und das ist auch die Geschichte, die ich mir wünsche. Die persönliche Heimat ist aber nicht nur ein Land, sondern auch eine Idee. Es könnte auch Poesie sein, es können andere Menschen sein. Liebe ist für mich auch eine Art Heimat, genauso wie Literatur. Das ist für mich Heimat.

In ihrem ersten Buch "Der falsche Inder" haben sie eine Geschichte erzählt, die sich heute millionenfach vor unseren Augen abspielt – die Geschichte über die Flucht und die Suche nach Freiheit. Sie sind aus dem Irak geflüchtet, vier Jahre haben sie sich in verschiedenen Ländern illegal aufgehalten. Welche Träume hatten sie in dieser Zeit?

Auf der Flucht träumt man, wie man sein Ziel erreicht, wie man alle traurigen Momente überlebt und versucht, etwas Neues zu machen, wie man Menschen findet, die bereit sind, jemandem zu helfen, ohne etwas dafür zu verlangen, wie man Polizisten findet, die menschlich sind. Auf der Flucht gibt es unendliche Träume – aber der größte Traum ist das nächste Ziel, immer die nächste Station.

Wir erfahren von ihrem Protagonisten im Buch Rasul was Flucht bedeutet – nämlich Hunger, Kälte und Leere. Sie haben das auch selber erlebt. Gab es Momente, in denen Sie aufgeben wollten?

Es gab eine Zeit, in der ich auf der Flucht eine Stufe erreicht hatte, die ich die Stufe der Gleichgültigkeit nenne. Es ist wirklich sehr hart, wenn man nichts mehr fühlt. Egal, was morgen kommt. Man will nur weiter, ob schön oder schlecht. Es ist einfach egal. Man hat kein Vertrauen mehr, man akzeptiert die Dinge, wie sie sind. Und das ist schade, wenn man so denkt. Diese Stufe habe ich einmal in meinem Leben erreicht. Jetzt lebe ich in Freiheit und Frieden. Ich schreibe, ich lese und ich genieße das Leben intensiv. Ich hatte aber zuerst immer ein Schuldgefühl. Ich habe das Gefühl, ich habe alles überlebt, viele haben das aber noch nicht. Es gibt Leute, die gerade unterwegs sind, sie brauchen Hilfe. Und wenn ich etwas machen kann, dann muss ich es auch. Ich kann es aber nur literarisch.

Sie sind 2000 in Deutschland angekommen. Eigentlich wollten Sie nach Schweden, doch seit elf Jahren leben Sie nun hier. Haben Sie sich damit abgefunden?

Ja, das kann ich schon sagen. Und das hat mit der Hauptstadt zu tun. Jedes Mal wenn ich in Berlin ankomme, dann denke ich: "Endlich wieder zuhause." Diesen Satz hatte ich seit Ewigkeiten nicht ausgesprochen. Aber das hat auch was damit zu tun, dass ich in Deutschland eine Geschichte habe, ich habe in Deutschland studiert, ich habe deutsche Freunde, Geschichten ohne Ende, Liebe.

Sind Sie in Deutschland bereits eingebürgert?

Ja, ich bin ein deutscher Mutant. Ich habe eine deutsche Staatsbürgerschaft. (lacht)

Wie haben Sie diesen bürokratischen Prozess von der Aufnahme bis zur Einbürgerung erlebt? Haben sie sich als Ausländer zweiter Klasse gefühlt oder wurden sie gut behandelt?

Zweiter Klasse? Untermensch am Anfang. Aber bevor wir darüber reden, müssen wir auch sagen, dass die Deutschen auch viel geschafft haben, was Ausländer und Migration angeht. Man muss nur weiter daran arbeiten. Die Deutschen und die Mutanten, also Migranten, müssen zusammenarbeiten, um Vieles zu erreichen. Am Anfang gibt es aber Schwierigkeiten für die Leute, die hier in Deutschland anfangen wollen. Man wird nicht wirklich als Mensch behandelt. Sie sind nur Zahlen, sie sind Flüchtlinge, Asylbewerber, Ausländer oder Migranten, mehr nicht. Und sie müssen Menschen sein, weil sie Menschen sind.

Laut einem Bericht des UN-Flüchtlingshilfswerks nehmen die ärmsten Länder die meisten Flüchtlinge auf. Europa bleibt für viele Flüchtlinge eine unüberbrückbare Festung. Regt sie die EU-Flüchtlingspolitik nicht auf?

Ja, oftmals. Ich versuche es zu vermeiden, die Nachrichten zu lesen, weil ich mich jedes Mal ärgere, ich bin wütend. Ich finde, jeder Mensch hat das Recht zu leben, wo er wirklich will. Die Erde gehört uns allen. Sie gehört weder Europäern, noch Arabern, noch Afrikanern. Sie gehört uns allen. Warum verlässt ein Flüchtling sein Kind und seine Frau, seine Geliebte oder seine Arbeit und geht ins Ausland, ohne Geld. Wer will das eigentlich? Es gibt Leute, die es schaffen, zu uns zu kommen. Man sollte denen mindestens Herzlich Willkommen sagen. Denn sie waren unterwegs, und man weiß überhaupt nicht, was es bedeutet, unterwegs zu sein. Auf der Flucht zu sein, das bedeutet täglich den Tod umarmen, es ist so gefährlich, es ist so unmenschlich. Und dann kommen sie hier an und plötzlich sind sie die Anderen, sie sind die Flüchtlinge, sie sind fast keine Menschen. Das ist schade, besonders in einer so wunderbaren Kultur wie der deutschen - von Goethe und Schiller und Feuerbach, von Rilke, von Thomas Mann. Das ist echt schade.

Vor 60 Jahren wurde die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet – einige Kritiker sagen jedoch, dass sie nicht zeitgemäß ist. Es wird vor allem kritisiert, dass die Gründe für die Verfolgung, die zu einem Schutz der Person führen, sehr eng gefasst sind. Menschen, die aus wirtschaftlicher Not flüchten, werden nicht als Flüchtlinge anerkannt. Ist diese Definition ihrer Meinung nach gerecht?

Ernsthaft: Wenn man kein Brot hat, was heißt das? Man könnte sterben. Ganz einfach. Ist das nicht ein Grund genug? Ich finde es komisch, wenn man denkt, dass wirtschaftliche Gründe keine echten Gründe für Asyl sind. Ja, verdammt nochmal! Unsere Probleme mit allen Ländern sind eigentlich wirtschaftliche, es geht ständig um Wirtschaft. Warum ist hier Wirtschaft so wichtig, aber wenn die Leute aus wirtschaftlichen Gründen zu uns kommen, sind diese auf einmal unwichtig. Es gibt Leute, die sterben, weil sie kein Brot haben, ihre Kinder sterben vor ihren Augen. Ich habe das selber in Tschad, in Afrika, gesehen. Es ist unmenschlich, wie sie leben. Und einige von Tausenden schaffen es, zu uns zu kommen und trotzdem sagen wir Nein. Es hat mit Menschenrechten nichts zu tun. Es hat mit unserer Kultur nichts zu tun und mit unserer Religion, mit Christentum, Judentum Islam, auch nichts. Das ist lächerlich und unmenschlich. Wirtschaftliche Gründe sind auch Gründe, weil wenn man kein Brot hat, dann kann man auch nichts tun, man kann nicht arbeiten, man kann nicht denken, man kann nicht Musik machen, man kann nicht schreiben, man kann nicht tanzen, man kann nicht das Leben genießen. Das heißt, man ist tot. Seelisch.

Das Gespräch führte Rayna Breuer.

Redaktion: Michael Borgers

Abbas Khider ist 1973 in Bagdad geboren. Er studierte Literatur und Philosophie in München und Potsdam. Nach seiner Amnestierung 1996 verließ er den Irak und kam über den Nahen Osten und Afrika nach Europa. Zurzeit lebt Abbas Khider in Berlin. Sein erster Roman „Der falsche Inder“ erschien 2008. Sein zweiter Roman "Die Orangen des Präsidenten" erschien 2011 im Nautilus Verlag.