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Abschied aus Afghanistan

Dennis Stute10. September 2007

Mit Kanada und den Niederlanden könnten schon bald zwei wichtige ISAF-Mitglieder ihren Einsatz in Afghanistan zurückfahren oder gar beenden. Experten befürchten einen Domino-Effekt.

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Ein niederländischer Soldat fotografiert in Kabul kanadische Kameraden (Archivbild), Quelle: AP
Ein niederländischer Soldat fotografiert in Kabul kanadische Kameraden (Archivbild)Bild: AP
Ein kanadischer Soldat verteilt in Kandahar Hilfsgüter, Quelle: AP
Ein kanadischer Soldat verteilt in Kandahar HilfsgüterBild: AP

In der Afghanistan-Politik vertritt die große Koalition in den Niederlanden derzeit zwei Positionen. Die offizielle lautet, dass die Regierung einen Abzug der rund 2000 vorwiegend in der umkämpften Provinz Orusgan stationierten Soldaten nicht ausschließt. Inoffiziell dagegen haben Regierung und Armee klargestellt, dass sie sich weiter an der ISAF-Mission beteiligen wollen - allerdings mit einer geringeren Truppenstärke.

Die Ankündigung kommt in einer Zeit, in der sich die NATO wachsendem Widerstand durch die Taliban gegenübersieht, während der Einsatz nach Einschätzung der NATO-Führung durch fehlende Truppen erschwert wird. So warnte Ray Henault, der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, erst am Donnerstag (7.9.07), es habe Fälle gegeben, in denen es in bestimmten Regionen an Soldaten fehlte, um die Ziele des Bündnisses durchzusetzen.

Mehrheit gegen den Einsatz

Kanadas Premier Stephen Harper mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai im Mai in Kabul, Quelle: AP
Kanadas Premier Stephen Harper (r.) mit dem afghanischen Präsidenten Hamid Karsai im Mai in KabulBild: AP

In den Niederlanden, die seit Jahresbeginn von einer großen Koalition regiert werden, ist der Zeitung "De Volkskrant" zufolge eine Mehrheit der sozialdemokratischen Abgeordneten gegen eine Verlängerung des Mandats, das im August 2008 endet. Eine knappe Mehrheit der Niederländer sieht dies genauso.

Während das holländische Engagement trotz aller Vorbehalte weitergehen dürfte, scheint fraglich, ob sich Kanada weiter an der ISAF-Mission beteiligen wird. Das Land hat 2500 Soldaten in Afghanistan stationiert, die sich in der Provinz Kandahar, die als Taliban-Hochburg gilt, auch an Kampfeinsätzen beteiligen. Über eine Verlängerung über den Februar 2009 hinaus will die Minderheitsregierung von Premierminister Stephen Harper das Parlament abstimmen lassen - da die drei Oppositionsparteien gegen den Einsatz sind, scheint das Ergebnis festzustehen.

"Signalwirkung für andere Länder"

"Das würde zum einen eine große Lücke reißen - denn die Kanadier kämpfen ja an vorderster Front - und hätte zum anderen eine Signalwirkung für andere Länder", glaubt Conrad Schetter, Afghanistan-Experte am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) in Bonn. Eine solche Wirkung hatte bereits die niederländische Debatte: So kündigte der australische Verteidigungsminister an, sollten die Niederländer tatsächlich abziehen, müsse Australien, das eng mit den Holländern zusammenarbeitet, sein Engagement "überdenken".

Afghanische Polizeirekruten bei der Vereidigung, Quelle: AP
Afghanische Polizeirekruten bei der VereidigungBild: AP

Die NATO ist entschlossen, so lange in Afghanistan zu bleiben, bis die nationalen Sicherheitskräfte selbst für Ordnung sorgen können - doch bis dahin ist es noch ein weiter Weg. Zwar habe der Aufbau von Armee und Polizei in den vergangenen zwei Jahren Fortschritte gemacht, doch er werde noch mindestens zehn bis 15 Jahre in Anspruch nehmen, sagt Conrad Schetter vom ZEF.

Wachsender Unmut

Falls sich dies bewahrheitet, müsste das Afghanistan-Engagement in den beteiligten Ländern also drei bis vier Legislaturperioden überstehen - während der Unmut der Wähler wächst. In Deutschland etwa sind Umfragen zufolge fast zwei Drittel der Bürger für einen Abzug der Bundeswehr. Da mit Ausnahme der Linken bislang keine Partei diese Forderung unterstützt, gilt dennoch als sicher, dass der Bundestag die drei Afghanistan-Mandate im November verlängern wird.

Allerdings steht der Einsatz der Bundeswehr unter dem Vorbehalt, dass sich die Soldaten nicht an Kampfeinsätzen beteiligen - sehr zum Ärger der Verbündeten. "Außer den USA, Großbritannien und Kanada beteiligt sich kaum ein Land an Kampfeinsätzen", sagt Michael Pohly, Terror-Experte an der Freien Universität Berlin. Die NATO-Präsenz sei nicht zu klein, sondern die Truppen seien falsch strukturiert, glaubt Pohly. "Man braucht flexible Kampfverbände von 40 bis 60 Mann, um gegen die Taliban vorzugehen." Doch um Verluste zu vermeiden, setze die Allianz stattdessen vielfach auf Luftangriffe - mit der Folge häufiger ziviler Opfer.

Keine Einigkeit

Italiens Ministerpräsident Romano Prodi, Quelle: AP
Italiens Ministerpräsident Romano ProdiBild: AP

"Das Hauptproblem des westlichen Engagements in Afghanistan besteht darin, dass im Moment keine Einigkeit über die strategischen Ziele herrscht", sagt indessen Sibylle Scheipers, Expertin für internationale Sicherheitspolitik am Königlichen Institut für Außenpolitik in London. Während die USA und Großbritannien den Einsatz vor allem als Anti-Terror-Operation verstünden, hätten Länder wie Deutschland und Italien die Stabilisierung und den Wiederaufbau in den Vordergrund gestellt. Sollte keine Einigkeit erzielt werden, sei nicht ausgeschlossen, dass dies zu Abzugsdiskussionen in den einzelnen Ländern führe, glaubt Scheipers.

Erst im Juli wurden die Spannungen offenkundig, als der italienische Außenminister Massimo D'Alema die US-Kampfeinsätze in Afghanistan scharf kritisierte. D'Alema steht unter Druck, denn in Italien, das mit knapp 2000 Soldaten zu den größten Truppenstellern gehört, gibt es auch innerhalb der Regierungskoalition Widerstand gegen den Einsatz: Ministerpräsident Romano Prodi stürzte im Februar fast über eine Parlamentsabstimmung über die Außenpolitik, bei der es vor allem um den ISAF-Mission ging.

"Der gute Krieg"

Britisch-afghanische Patrouille in Kabul, Quelle: AP
Britisch-afghanische Patrouille in KabulBild: AP

"Mit jedem einzelnen Land, das sich zurückzieht, kann ein Dominoeffekt ausgelöst werden", sagt die Londoner Sicherheits-Expertin Scheipers. In Großbritannien aber stelle derzeit noch keine der relevanten Parteien den Afghanistan-Einsatz ernsthaft infrage. "Afghanistan gilt als 'der gute Krieg'", sagt Scheipers. Sie könne sich sogar vorstellen dass Großbritannien das Kontingent von derzeit 6000 Soldaten verstärke, wenn durch den Teilabzug aus dem Irak Kapazitäten frei würden.

Fast die Hälfte der 33.000 in Afghanistan stationierten Soldaten stellen die USA. Dort ist der Einsatz ebenfalls unumstritten. "In der öffentlichen Wahrnehmung wird er völlig von dem Irakkrieg in den Hintergrund gedrängt", sagt Marina S. Ottaway von dem Washingtoner Thinktank Carnegie Endowment for International Peace. Nach den Anschlägen des 11. September habe es einen breiten Konsens gegeben, dass es keine Alternative zu der Intervention gebe - und dieser bestehe fort.