Abschied von Amerikas Präsidentinnen
19. November 2017Was waren das noch für schöne Zeiten: Beim Welt-Frauengipfel 2015 in New York genoss die damalige US-Außenministerin Hillary Clinton das Bad in der Menge, umringt von Frauenrechtlerinnen, Geschäftsfrauen und Politikerinnen.
Damals durchlebte das politische Establishment der Neuen Welt einen emanzipatorischen Aufbruch. In Brasilien war Dilma Rousseff als erste Präsidentin im Amt bestätigt worden. In Argentinien regierte seit acht Jahren Cristina Fernández de Kirchner. Und in Chile zog die ehemalige Widerstandskämpferin Michelle Bachelet zum zweiten Mal in den Regierungspalast ein.
Das Klischee vom Macholand Lateinamerika schien sich verflüchtigt zu haben. Der jahrzehntelange Kampf gegen Militärdiktatur schien sich endlich auch für Frauen auszuzahlen: Die Zahl der weiblichen Führungskräfte in Politik und Wirtschaft stieg, und die Gesetzgebung für Gleichberechtigung und gegen gegen häusliche Gewalt kamen voran.
Zwei Schritte vor, drei zurück
Auch in den USA herrschte Aufbruchsstimmung. Die Zeit schien reif zu sein für eine Frau im Weißen Haus. Hillary Clinton wollte als erste Präsidentin der Vereinigten Staaten Geschichte schreiben: Sie kandidierte als Nachfolgerin von Barack Obama.
Doch der emanzipatorische Höhenflug wurde zur Bruchlandung. Im August 2016 wurde Brasiliens Präsidentin Dilma Rousseff ihres Amtes enthoben. Argentiniens Ex-Präsidentin Cristina Kirchner muss sich vor Gericht wegen Korruptionsvorwürfen verantworten. Und Hillary Clinton steckte bekanntlich am 8. November 2016 eine bittere Niederlage ein.
Auch die Tage von Michelle Bachelet als Präsidentin sind gezählt. Bei den bevorstehenden Wahlen am 19. November tritt sie nicht mehr an. Als Favorit gilt ihr konservativer Amtsvorgänger Sebastián Piñera vom Mitte-rechts-Bündnis "Chile Vamos", der das Land bereits von 2010 bis 2014 regierte.
Zurück an den Herd?
"Der Region droht eine Rolle rückwärts", warnt Farida Jalalzai, Politikwissenschaftlerin an der University of Missouri-St. Louis, in der New York Times. "Es geht darum, die Macht nicht zu verlieren. Wenn Frauen sich über Diskriminierung beklagen, kontern Männer mit der Gender-Karte."
Fest steht: Nach dem Ende der Amtszeit von Michelle Bachelet im März 2018 wird es auf dem amerikanischen Kontinent bis auf weiteres keine einzige Frau mehr im Präsidentenamt geben.
Und auch erste Anzeichen einer zurückgehenden Vertretung von Frauen in politischen Ämtern sind nicht zu übersehen: Unter den 28 Mitgliedern im Kabinett des brasilianischen Präsidenten Michel Temer befinden sich gerade einmal zwei Frauen.
Frauenfeindlich und verletzend
Brasiliens Ex-Präsidentin Dilma Rousseff, die in der kommenden Woche in Berlin auf Einladung der Friedrich-Ebert-Stiftung die politische Krise in Brasilien aus ihrer Sicht erklären wird, macht auch Frauenhass und Sexismus für ihre Amtsenthebung mit verantwortlich.
"Sie haben mir vorgeworfen, ich sei zu hart und zu barsch. Bei Männern würden diese Eigenschaften positiv bewertet, nämlich als stark und standfest", erklärte Rousseff gegenüber der New York Times. Wenn Frauen Gefühle zeigten, würde dies als Schwäche interpretiert, bei Männern hingegen spreche man von Sensibilität.
Auch die gescheiterte US-Präsidentschaftskandidatin Hillary Clinton fühlt sich als Frau diskriminiert. In ihrem im September veröffentlichten Buch "What happened" (Was passiert ist) schreibt sie: "Ich habe den Verdacht, dass es für viele noch immer abseitig erscheint, sich eine Frau im Weißen Haus vorzustellen. Eine schrille Frauenstimme sticht im politischen Wettrennen halt heraus."
Emanzipation im Schneckentempo
Auch wenn die politische Mitbestimmung von Frauen in Amerika einen Dämpfer erhält – aufzuhalten ist sie nicht. Weltweit ist der Anteil von Frauen im Parlament zwischen 1997 und 2017 von elf auf 23 Prozent gestiegen. Amerika liegt damit sogar über dem internationalen Durchschnitt (siehe Grafik).
Doch die Emanzipation zieht sich im Schneckentempo durch die Jahrzehnte. Experten rechnen damit, dass noch weitere 50 Jahre vergehen könnten, bis Frauen ihrem Bevölkerungsanteil gemäß adäquat in allen Parlamenten vertreten sein werden.
Chiles Präsidentin Michelle Bachelet erinnert sich an die großen Erwartungen vor allem von Frauen, als sie 2006 als erste Frau in Chile zur Präsidentin gewählt wurde. "Nach einer Wahlkampfveranstaltung kam eine Frau auf mich zu und sagte: Wenn Du gewählt wirst, wird mich mein Mann nie mehr schlagen."