Ukraine-Experte: "Abspaltung immer wahrscheinlicher"
1. März 2014DW: Der russische Föderationsrat hat nun einem Militäteinsatz auf der Krim zugestimmt. Warum spitzt sich der Konflikt auf der Krim gerade so zu?
Andreas Umland: Die Krim ist sicherlich derjenige Teil der Ukraine, der für Russland am ehesten zugänglich ist. Es gibt eine russische Mehrheit auf der Krim: Fast 60 Prozent der Einwohner der Krim sind ethnische Russen. Weil die Ukraine nun aus dem russischen Orbit ausscheren will, will der Kreml diesen Misserfolg durch eine Einbeziehung der Krim in seine Protektorate quasi kompensieren.
Russland will sein Einflussgebiet also wieder vergrößern?
Wladimir Putin hat vor zwei Jahren die Idee einer so genannten Eurasischen Union vorgestellt. Die Ukraine sollte Teil dieses geopolitischen Projektes werden, das eine Art russische Version der Europäischen Union darstellen soll. Mit den Ereignissen in Kiew hat sich nun herausgestellt, dass die Ukraine nicht an Putins Projekt teilnehmen wird. Die faktische Angliederung der Krim an Russland soll für den Kreml nun vor der russischen Öffentlichkeit diesen Rückschlag ausgleichen.
Es soll in der russischen Verfassung einen Passus geben, nach dem Landsleuten zur Hilfe geeilt werden muss. Wird der zur Begründung herangezogen?
Das ist die Rechtfertigung für die ganze Operation: Die ethnischen Russen auf der Krim sind angeblich in Gefahr. Und dies, obwohl die Krim bereits einen Sonderstatus im ukrainischen Staat hat. Es ist die einzige autonome Republik der Ukraine. Die Russen können auf der Krim vollständig ihre Rechte wahrnehmen. Jetzt wird das Gespenst einer ultranationalistischen und sogar faschistischen Übernahme aus Kiew aufgebaut, und vor dem soll Russland nun die ethnischen Russen schützen.
Wie nimmt die Bevölkerung das Vorgehen wahr?
Die Krim ist hauptsächlich ethnisch russisch: Bei Umfragen gab es schon immer große Unterstützung für einen Anschluss der Krim an Russland. Es gibt aber eine wichtige Minderheit: Die Krim-Tartaren, die wiederholt deutlich gemacht haben, dass sie im ukrainischen Staat verbleiben wollen. Es gibt also verschiedene Interessen und Konfliktpotential auf der Krim. Doch bisher war dies nie ein Problem, die Entwicklung der Krim in den vergangenen 25 Jahren war erstaunlich friedlich. Erst in der vergangenen Woche ist die Situation eskaliert.
Wird die Umbruchsituation für eine Separation ausgenutzt?
Es gibt eine offentsichtliche Ermutigung Moskaus an die schon immer vorhandenen separatistischen Gruppen auf der Krim, nun aktiv zu werden. Das hängt mit dem Ausscheren der Ukraine aus dem Projekt der Eurasischen Union zusammen. Putin steht unter Druck, weil die russischen Massenmedien den Umbruch in der Ukraine in den vergangenen drei Monaten als einen terroristischen, ultranationalistischen und extremistischen Umsturz dargestellt haben. Nun muss der Kreml dieser Phantasie folgen und den Kiewer Ereignissen etwas entgegen stellen. Die Bevölkerung in Russland erwartet dies, nachdem es durch die Massenmedien wochenlang aufgehetzt worden ist.
Welche Folgen könnte die militärische Intervention Russlands auf der Krim haben?
Russland hat schon ein enormes militärisches Übergewicht. Im Grunde ist es gar nicht notwendig für Russland, große Truppen einzusetzen. Es geht vor allem um die politische Unterstützung und das Angebot einer Protektion für die Separatisten durch Russland.
Wenn die gegenwärtige Entwicklung weiter geht, kommt es zu einer faktischen Herauslösung der Krim aus dem ukrainischen Staat. Am 30. März soll ein Referendum über den Status der Krim durchgeführt werden. Da soll es offenbar darum gehen, die Beziehung der Krim zum ukrainischen Staat auf einer konföderativen Basis zu gestalten. Wenn die Krim sich von der Ukraine abnabelt, dann wäre das ein erheblicher Einschnitt in die europäische Sicherheitsarchitektur nach Ende des Kalten Krieges.
Für wie wahrscheinlich halten Sie eine Abspaltung der Krim?
Inzwischen halte ich sie für relativ wahrscheinlich. Wie das juristisch genau aussehen wird, also ob die Krim weiter formal dem ukrainischen Staat zugehörig oder als formal unabhängiger Staat existieren oder tatsächlich Teil der russischen Föderation wird, ist schwer zu sagen.
Hat die neue ukrainische Regierung vielleicht Fehler gemacht und dadurch den Konflikt auf der Krim angeheizt?
Das Hauptproblem ist, dass sowohl die russische Bevölkerung in Russland als auch die russische Bevölkerung auf der Krim in den vergangenen Monaten durch das russische Staatsfernsehen gegen die Demonstranten auf dem Maidan aufgehetzt worden sind. Im Staatsfernsehen wurden die Ereignisse als faschistischer Umsturz dargestellt, der vom Westen dirigiert wird. Dadurch entstehen nun Ängste, sowohl in Russland als auch auf der Krim.
Andreas Umland ist im Auftrag des Deutschen Akademischen Austauschdienstes Dozent für Politikwissenschaft an der Kiewer Mohyla-Akademie. Er ist Herausgeber des "Forums für osteuropäische Ideen- und Zeitgeschichte".