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Nordnigerias literarischer Provokateur

Gwendolin Hilse
12. März 2017

In seinem Debütroman "Season of Crimson Blossoms" spricht Abubakar Adam Ibrahim offen über weibliche Sexualität. Damit bricht er Tabus im konservativen Norden Nigerias. Aus Nigeria berichtet Gwendolin Hilse.

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Nigeria Abuja - Abubakar Adam Ibrahim, Autor des Romans "Season of Crimeson Blossoms"
Bild: DW/G. Hilse

"Weil sie alleine im Haus waren und weil sie es schon immer tun wollte, sie es sich nicht verkneifen konnte, stöhnte sie laut auf. Mit seiner Zunge löste er etwas, das tief in ihr saß. Mit Tränen in den Augen fühlte sie sich, als ob sie schweben würde." Während Abubakar Adam Ibrahim aus seinem Debütroman "Season of Crimson Blossoms" liest, herrscht absolute Stille im Thought Pyramid Art Center, einem Kunstzentrum im Herzen von Nigerias Hauptstadt Abuja. Gebannt starren rund 50 Augenpaare auf den 37-jährigen Schriftsteller. Ein paar Mädchen in der letzten Reihe - züchtig gekleidet und mit einem Kopftuch verschleiert - blicken auf den Boden und kichern leise.

Stoff für Diskussionen

In Ibrahims Roman geht es um die sexuelle Befreiung von Hajiya Binta Zubairu, einer muslimischen Frau im konservativen Nordnigeria. In einer Gesellschaft, in der Frauen sexuelles Verlangen abgesprochen wird - vor allem, wenn sie wie die Protagonistin nach der Menopause ihre "Pflicht des Kindergebärens" erfüllt haben - repräsentiert Binta eine von Millionen Stimmenlosen. Sie hat ihr Leben lang nach den Regeln und Erwartungen der Gesellschaft gelebt und befreit sich am Ende doch von den sozialen Fesseln - durch die Affäre mit dem 20 Jahre jüngeren Kleinkriminellen Reza.

Nigeria Abuja - Schriftsteller Abubakar Adam Ibrahim bekommt Preisgeld über 100.000 US Dollar für den Nigerianischen Literaturpreis
Mehrfach ausgezeichnet: 2016 erhält Ibrahim den mit 100.000 US-Dollar dotierten Nigerianischen LiteraturpreisBild: DW/G. Hilse

Damit hat der Roman genügend Stoff, um sowohl im muslimisch geprägten Norden Nigerias als auch im christlich geprägten Süden allerhand Diskussionen auszulösen."Er war wirklich nicht einfach, beim Schreiben eine Balance zwischen der Realität und dem Respekt gegenüber der Haussa-Kultur zu finden ", sagt Ibrahim im DW-Gespräch. Gerade die im Norden lebenden Haussa seien sehr sensibel, was das Porträtieren ihrer Gesellschaft, Traditionen und Werte angehe. Für Ibrahim war klar: Er muss die sexuelle Unterdrückung der nordnigerianischen Frauen thematisieren. Es seien viele Bintas dort draußen, die nicht gehört würden, sagt er.

Ein "Abbild der Gesellschaft"

Ibrahim, der als Journalist für eine der führenden Tageszeitungen in Nigeria arbeitet, veröffentlichte bereits 2012 eine Sammlung von Kurzgeschichten. "Season of Crimson Blossoms" erschien erstmals 2015 im Parrésia Verlag in Nigeria. Im Juni 2015 kaufte auch der Verlag "Cassava Republic" die Rechte für die internationale Veröffentlichung. Innerhalb kürzester Zeit war die erste Auflage in Nigeria vergriffen.

"Als Haussa-Frau war ich wirklich ein wenig geschockt, als ich das Buch gelesen habe, weil es Themen anspricht, die in unserer Kultur Tabu sind", verrät die 30-jährige Bilkisu Ahmad. "Aber es ist wirklich ein realistisches Abbild der Gesellschaft."

Nigeria Abuja - Hadiza Muhammed liest Abubakar Adam Ibrahims Roman "Season of Crimeson Blossoms"
Tabu-Themen offen ansprechen: Hadiza Muhammed liest in Abubakar Adam Ibrahims RomanBild: DW/G. Hilse

Trauma-Bewältigung zum Thema machen

"Season of Crimson Blossoms" erzählt nicht nur von der Affäre eines ungleichen Paares, sondern auch von einer sich stetig wandelnden Gesellschaft, von Konflikten zwischen Tradition und Moderne. Auch geht es um die Konflikte und die Gewalt, die Nigeria seit Jahrzehnten prägen und durch die Nachbarn zu Feinden werden und Opfer von Gewalt und Terrorismus ungehört mit ihren Traumata leben müssen.

Abubakar Adam Ibrahim über seinen Roman "Season of Crimson Blossoms"

Ibrahim ist selbst Haussa. Er wuchs in Jos auf, einer Stadt im Nordosten des Landes, in der es immer wieder zu  ethnischen und religiösen Unruhen kommt. Seine Protagonistin Binta hat bei ethnisch motivierten Gewaltausbrüchen in Jos sowohl ihren Ehemann als auch ihren erstgeborenen Sohn verloren. Der Roman sei sein persönlicher Weg, mit den eigenen Erlebnissen und der nicht enden wollenden Krise in seiner Heimat umzugehen, verrät Ibrahim: "Es ist schrecklich, mit ansehen zu müssen, wie die Stadt, die man liebt, zerstört wird - vor allem, wenn die Zerstörung von innen kommt." Es habe lange gedauert, bis er selbst die zerbrochenen Beziehungen zu den Menschen, die einst seine Nachbarn und Schulfreunde waren, aufgearbeitet hätte. "Das schlimmste für mich ist, dass die Leute einfach verdrängen und niemand über das, was passiert ist, spricht." Deshalb sei es für ihn wichtig, die Aufmerksamkeit auf Trauma-Opfer zu lenken, die in Nigeria keine professionelle Hilfe bekämen.

Die Stimme des Nordens

Von Chinua Achebe bis hin zu Chimamanda Ngozi Adichie: Ibrahim reiht sich ein in eine Liste international namhafter nigerianischer Autoren. Bisher kamen diese überwiegend aus dem Süden des Landes. Zwar gibt es eine breite Masse an Publikationen aus Nordnigeria, jedoch sind diese größtenteils auf Haussa geschrieben und somit nur einem kleinen Publikum zugänglich. Mit Autoren wie Elnathan John und Abubakar Adam Ibrahim, die auf Englisch publizieren, finden nun erstmals Geschichten aus Nordnigeria international Gehör.

Nigeria Abuja - Buchhandlung von Cassava Republic auf dem touristischen Arts and Crafts Market
Die Buchhandlung von Cassava Republic auf dem touristischen Arts and Crafts Market in AbujaBild: DW/G. Hilse

Ibrahim hat sich bewusst dafür entschieden, auf Englisch zu schreiben: "Ich denke, dass es mehr als notwendig ist, dass sich der Norden mit dem Rest des Landes und auch dem Rest der Welt in Verbindung setzt." Dem schließt sich seine Verlegerin Bibi Bakare-Yusuf an. Sie gründete den Verlag "Cassava Republic" 2006 in Abuja. Mittlerweile hat der Verlag ein weiteres Büro in London; ab April 2017 wird der Verlag seine Bücher auch in den Vereinigten Staaten vertreiben.

"Eine Brücke zwischen den Kulturen"

Yusuf ist stolz auf ihre jungen Autoren aus dem Norden und sieht eine Notwendigkeit für Geschichten aus dieser Region. "Für viele Nigerianer sind die Menschen aus anderen Regionen des Landes Fremde." Sie selbst kommt aus der Wirtschaftsmetropole Lagos im Süden des Landes. "Wir wissen so gut wie nichts voneinander. Literatur bildet eine Art Brücke zwischen den Kulturen."

Trotz des kontroversen Themas fand Abubakar Ibrahims Erstlingswerk direkt Anerkennung. Das Hay-Literaturfestival listet ihn als einen der "39 vielversprechendsten afrikanischen Schriftsteller unter 40". Im Oktober 2016 gewann er den mit 100.000 US-Dollar dotierten Nigerianischen Literaturpreis. Ibrahim ist auch Gewinner des "African Writer's Residency Award 2016" des Goethe-Instituts und der Sylt Foundation. Im Sommer dieses Jahres wird er zwei Monate auf der Nordfriesischen Insel verbringen, um an seinem neuen Roman zu arbeiten.