Abwehr gegen Cybermobbing
25. Mai 2013"Die Täter kommen zu ihnen nach Hause, sie kommen ins Kinderzimmer. Sie bleiben nicht mehr in einer Institution, in einer Schule, sodass man nach Hause gehen kann und sagen: Hier bin ich frei, hier kann ich mich ausruhen". Das ist für die Sozialpsychologin Catarina Katzer einer der dramatischsten Aspekte von Cybermobbing.
Beleidigungen und hämische Kommentare im Internet verfolgten die junge Kanadierin Amanda Todd jahrelang, auch nach mehreren Wechseln an neue Schulen. 2012 nahm sich Amanda das Leben und hinterließ ein Video im Netz: Stumm hält sie nacheinander 74 beschriebene Blätter in die Kamera, sie erzählen eine Geschichte der Verzweiflung. Im April 2013 starb eine kanadische Schülerin nach einem Suizidversuch: Sie hatte im Internet kursierende Bilder ihrer mutmaßlichen Vergewaltigung und erniedrigende Kommentare nicht mehr ertragen.
Um das Cybermobbing auch jenseits dieser Aufsehen erregenden Fälle ins Bewusstsein der Gesellschaft zu bringen, hat Catarina Katzer mit dem "Bündnis gegen Cybermobbing" (face cm) eine Studie veröffentlicht, die das Ausmaß an deutschen Schulen verdeutlicht. Die repräsentative Erhebung ergab: 17 Prozent der Schüler sind schon einmal Opfer von Beleidigungen und Häme im Netz geworden. Generell wird an jeder dritten Schule in Deutschland mindestens einmal pro Woche ein Fall von Cybermobbing bekannt. Betroffen sind besonders 14- bis 16-Jährige, allerdings reicht das Phänomen bis in die Grundschule hinein.
Polizei nimmt Anzeigen nicht ernst
Die Vertreter von "face cm" fordern bessere Aufklärung an Schulen. "Es gibt europäische Länder, in denen wir schon mehr Problembewusstsein haben. Zum Beispiel in Großbritannien - da hat man schon relativ früh angefangen, in weiterführenden Schulen und auch in Grundschulen Medienunterricht zu machen, also Gewaltprävention mit Medienerziehung zu verbinden", sagt Catarina Katzer. Außerdem müsse eine zentrale Anlaufstelle für Betroffene geschaffen werden. Wer sich in Deutschland an eine Polizeidienststelle wende, der bekäme nicht selten den Rat, dieses "Internet-Zeug" nicht so ernst zu nehmen.
Nicht zuletzt will das "Bündnis gegen Cybermobbing" die Betreiber von Seiten wie Facebook stärker in die Pflicht nehmen - denn in 80 Prozent der Fälle sind Soziale Netzwerke die Tatorte von Cybermobbing. "Ich würde mir wünschen, dass sie ihrer Verantwortung gerecht werden", sagt Uwe Leest. Er ist der Vorstandsvorsitzende von "face cm" und hat eine jugendliche Tochter, die von Cybermobbing betroffen war.
Rechtsanspruch gegenüber Seitenbetreibern
Wer bewirken will, dass Seitenbetreiber beleidigende Inhalte aus dem Netz entfernen, braucht mitunter einen langen Atem. "Es ist administrativ nicht so einfach, auf jede Meldung zu reagieren", sagt Dirk Heckmann, Professor für Internetrecht an der Universität Passau, über die Reaktionsgeschwindigkeit von Seitenbetreibern wie Facebook. Auf eine Beschwerde keine Rückmeldung zu erhalten - damit müsse man sich allerdings nicht abfinden: "Die erste Stufe ist immer, eine Meldung zu schicken. Wenn man dann merkt, dass man nicht vorankommt, kann man auch rechtlichen Druck machen, denn Facebook ist bereits in Kenntnis gesetzt und haftet ab diesem Zeitpunkt", so Heckmann. Dieser Rechtsanspruch gegenüber Seitenbetreibern besteht prinzipiell in den allen EU-Staaten - je nachdem, wie die entsprechende EU-Richtlinie in nationales Recht übersetzt wurde.
Ein spezielles Gesetz zu Cybermobbing, wie es "face cm" fordert und in einigen US-Bundesstaaten inzwischen eingeführt wurde, hält Heckmann indessen nicht für nötig: "Beleidigung oder Verleumdung, üble Nachrede, auch Stalking - dafür gibt es in Deutschland bereits Straftatbestände. Die reichen völlig aus." Für den Rechtsexperten liegt das Problem eher darin, anonyme Täter ausfindig zu machen und die Kontrolle über immer wieder neu entstehende, fragwürdige Seiten zu behalten. Denn längst gibt es auch Plattformen, deren Zweck allein im Mobbing besteht.