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Eigene Ernte - Gemüseanbau für Anfänger

13. August 2020

Die EU muss umdenken. Skandale in der Fleischindustrie, Einsatz von Glyphosat und Nitrat, Klimawandel, Insektensterben und verändertes Konsumverhalten haben Folgen. Sie zwingen den Agrarsektor zur Neuausrichtung.

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Zwei Gießkannen und ein Pappkarton mit kleinen Pflänzchen stehen zum Einpflanzen bereit, auf dem Feld des Biobauern Palm in Bornheim. Selbstversorger können hier 45m2-Parzellen mieten, um selbst zu gärtnern.
Bild: DW/K. Jäger

Julia Klöckner (CDU) hat große Pläne: "Mehr Umweltschutz, mehr Nachhaltigkeit, mehr Tierschutz." Mit der Ackerbaustrategie 2035 will die Bundesministerin für Ernährung und Landwirtschaft die Basis schaffen für klima- und umweltfreundlichere Strategien bei Ackerbau und Viehzucht. 

Die gemeinsame Agrarpolitik (GAP) ist allerdings EU-Angelegenheit und mit 58 Milliarden Euro an jährlichen Fördergeldern - rund 40 Prozent des gesamten EU-Budgets - fließt der größte Batzen an Agrargroßfabriken: Rund 20 Prozent der Betriebe erhalten 80 Prozent der EU-Subventionen. 

Das soll sich ändern: Deutschland hat den EU-Ratsvorsitz für sechs Monate inne. Und in einem Jahr finden Bundestagswahlen statt. Die Grünen werden als Regierungspartei gehandelt. Was liegt also näher, als jetzt schon grüne Politik zu machen, so wie sie Martin Häusling, agrarpolitischer Sprecher der Grünen im EU-Parlament, fordert: "Wir müssen Landwirtschaft so betreiben, dass sie nicht unsere Ressourcen Boden, Wasser und Artenvielfalt zerstört. Wir müssen sie klimagerecht betreiben. Das bedeutet: weniger Tiere, Verzicht auf den klimaschädlichen Mineraldünger und insektenschädliche Pestizide, mehr Humusaufbau, weniger Monokulturen."

Der Ökolandbau soll EU-weit bis 2030 von derzeit fünf auf 25 Prozent erhöht werden. "Vom-Hof-auf-den-Teller" (Farm-to-fork) heißt die europäische Zukunftsstrategie für eine nachhaltigere Ernährung.

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Leonhard Palm und seine Tochter Andrea prüfen den Reifestand der Tomaten im Gewächshaus auf ihrem Bauernhof in Bornheim.
Leonhard Palm musste sich Häme gefallen lassen, weil er auf "bio" setzte. Heute arbeitet Tochter Andrea im Betrieb mit Bild: DW/K. Jäger

Der deutsche Landwirt Leonhard Palm ärgert sich seit langem über die EU-Vorgaben: "Die Subventionspolitik ist unfair. Der ökologische Landbau, der auf Qualität im Produkt und Umweltschutz ausgerichtet ist, kann da nicht mithalten."

Die Bedrohung der Bauernhöfe

Und kleinere Betriebe auch nicht. Eine Studie der DZ-Bank prophezeiht ein massives Höfesterben: Von aktuell 267.000 Bauernhöfen in Deutschland könnten bis 2040 noch 100.000 übrig bleiben. 

Infografik: Wie viele Menschen ein Bauer ernährt: 2017 waren es 140 Konsumenten

Biobauer Palm hat verlässliche Unterstützung von Ehefrau, Schwägerin und Tochter Andrea als Gärtner-Meisterin für Gemüsebau auf dem Hof in Bornheim/ Rheinland. Zusätzlich helfen Saisonarbeiter in dem Familienbetrieb aus, doch: "Eine Tagelöhner-Mentalität hat sich breit gemacht." So verschwänden die Rumänen von einem Tag auf den anderen, verfügten weder über Deutsch-Kenntnisse noch über einen Führerschein. Palm trauert den ehemaligen polnischen Erntehelfern nach: "Sie waren zuverlässig und gut ausgebildet. Aber Polen sind nicht mehr verfügbar."

EU-Grünen-Agrar-Experte Martin Häusling fordert im DW-Gespräch: "Wir müssen der jungen Generation von Landwirten gute lokale und regionale Absatzmöglichkeiten für ökologisch erzeugte Produkte bieten, die auch gute Preise erzielen." Dafür müssten vor allem die Verarbeitungsstrukturen wieder mehr dezentralisiert werden. Das bedeutet: weniger Ressourcen verbrauchende Transporte von Milch, Tieren, Obst und Gemüse, auch über nationale Grenzen hinaus, dafür kurze Lieferketten und regionaler Handel.

Was essen wir in Zukunft?

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Landwirt Palm fährt mehrgleisig: Er hat größere Abnehmer, betreibt einen Hofladen, Tochter Andrea bedient Kunden auf Bio-Wochenmärkten. Und über "Meine Ernte" bietet Palm Selbstversorgern kleinere Flächen zur individuellen Landwirtschaft an.

EU-Politiker und Agrartechniker Häusling entstammt selbst einem Familienbetrieb, der nach Bio-Richtlinien bewirtschaftet, und er verfolgt den gleichen Ansatz wie Palm: "Im Prinzip müssen wir auf viel differenziertere landwirtschaftliche Strukturen setzen. Spezialisierung macht anfällig, Vielfalt macht stabil. Das gilt für das Klima genauso wie ökonomisch." 

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Pionier im Ökolandbau

Leonhard Palm ist dem Gros seiner Branche um Lichtjahre voraus: 1988, nach der Lehre in einem sogenannten konventionellen Betrieb, stellte er den elterlichen Hof aus gesundheitlichen Gründen auf "bio" um: "Immer, wenn ich Pflanzenschutzmittel spritzte, bekam ich sehr starke Kopfschmerzen. Und laufend mehr Pestizide einzusetzen, um immer mehr Ertrag zu ernten, das funktioniert nicht ewig."

Zwischen grünen Blättern  wachsen drei gelbe längliche Zucchini am Boden auf einem Feld des Biobauernhofs Palm in Bornheim/ Rheinland
Gelbe Zucchini vom Biobauernhof Palm - ein noch ungewöhnlicher Farbtupfer auf deutschen Äckern Bild: DW/K. Jäger

Palm beschloss Blumenkohl, Rettich, Brokkoli und Ruccola anzupflanzen. Allerdings gab es keine Erfahrungsberichte zum Anbau ohne chemische Keulen. Erst seit der Erfindung der Pestizide ist deren Einsatz Standard in der sogenannten "konventionellen" Landwirtschaft. Der Feldanbau, so wie Leonhard Palm ihn betreiben wollte, war jahrhundertelang nichts anderes als"bio": Und doch brachte die Absicht, umweltschonend zu handeln, ihn mitunter zur Verzweiflung: "Manchmal kam ich heulend vom Feld, weil die Saat nicht aufging, Schädlinge, die Pflanzen angriffen. Nichts wuchs außer unerwünschte Beikräuter."

Und nicht nur das: Damals, so erinnert sich der Rheinländer, sei er Außenseiter gewesen, von Kollegen ausgegrenzt und diffamiert. Bitterkeit schwingt aus seinen Worten mit.

Ackern wie unsere Vorfahren?

Währenddessen trägt ein Mitarbeiter Hacken zum Feld. "Wir müssen ständig die ungewollten Beikräuter zwischen den Feldfrüchten entfernen - per Hand oder maschinell. Das ist sehr aufwendig, aber der richtige Weg", betont Leonhard Palm. Masse, so glaubt der Biolandwirt, sei nicht Sinn und Zweck der Landwirtschaft.

Für EU-Parlamentarier Martin Häusling sind Bioanbau, Agroforst, eine Kombination aus Bäumen und Ackerpflanzen, und Permakultur unverzichtbar: "Das sind moderne und hochentwickelte, ökologisch angepasste Anbauverfahren. Das hat mit dem Ackerbau unserer Vorfahren gar nichts mehr zu tun. Und man kann dies in kleinbäuerlichen oder in großen ökonomischen Strukturen machen. Wichtig ist, wie ökologisch angepasst man es macht."

Das ökologische Bewusstsein steigt unaufhörlich. Das ergaben Untersuchungen des Forschungsinstituts für biologischen Landbau . "Unseren Kunden ist das Wissen um die regionale Herkunft, der Verzicht auf gentechnisch manipuliertes Saatgut, der persönliche Kontakt zum Erzeuger sehr wichtig", hat Andrea Palm erfahren.

Ein Kunde ist Emanuel Walter. Über den Verbund "Meine Ernte" mietete er im Frühjahr 45 Quadratmeter Land von Biobauer Palm: "Zuerst fand ich winzige Pflänzchen vor, die aber freudige Erwartung weckten." Inzwischen ist Walter stolz darauf, dass er selbst Tomaten hochzieht, sich an Auberginen, Fenchel und Mangold "gewagt" hat - alles ohne chemische Zusätze". Hockend untersucht er seine Pflänzchen nach schädigenden Insekten und bringt bestialisch stinkende, selbst angesetzte Brennnesseljauche aus: "Die ist als Dünger und gegen Blattläuse sehr effizient."

Hobby-Gärtner Emanuel Walter hockt auf seiner Parzelle beim Biobauernhof Palm in Bornheim. Er und ca. 70 andere Selbstversorger haben das Feld über "Meine Ernte" gemietet
Agrarwissenschaftler und Hobby-Gärtner: Emanuel Walter kann mit dem Gemüseanbau den Grundbedarf decken Bild: DW/K. Jäger

Walter hat zwar Agrarwissenschaften studiert, aber das sei Theorie gewesen. "Ich möchte nachhaltig handeln, bekomme 1A-Lebensmittel, selbst produziert. Ein Hochgenuss", argumentiert er, während er sattgrüne, gezackte Blätter abzupft: "Das ist Ruccola, würzig im Geschmack und äußerst knackig." Zuletzt haben seine Lebensgefährtin und er sich ausschließlich von der eigenen Ernte ernährt.

Neue Lebensqualität durch Gärtnern

Rebecca Luyken träumte lange von einem Schrebergarten. "Von einer Freundin hörte ich im März von "Meine Ernte" und dieser Art des Gärtnerns. Seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie arbeite ich von zuhause aus", beschreibt sie ihre Situation: "Nun komme ich raus, und es ist doch was anderes, in der tiefen Erde zu graben als auf dem Balkon."

Luyken glaubte anfangs, nichts zu wissen. Nun ist die Social Media Managerin Feuer und Flamme: "Wenn wir nach Hause kommen sind die Fingernägel schwarz, die Haare zerzaust, die Hosen dreckig. Ich bin richtig geschafft, und es war ein schöner Abend auf dem Feld." Gartenarbeit sei der perfekte Gegenpol zur Arbeit geworden.

Rebecca Luyken sitzt am Abend auf dem Balkon, der von vielen Blumen umgeben ist
Rebecca Luyken hat einen Gartenanteil außerhalb der Stadt: "Auf meinem Balkon dürfen sich nun Blumen entfalten"Bild: DW/K. Jäger

Auch mit Pflanzenkunde hat sich Rebecca Luyken intensiv beschäftigt und sich bei "Meine Ernte" beraten lassen: "Es ist sehr interessant, welche Gewächse in der Nachbarschaft sich begünstigen, dass es Hierarchien gibt, wie groß die Pflanzen werden." 

Nicht zuletzt bildeten die 70 Freizeit-Gärtner auf dem Feld von Biobauer Palm eine tolle Gemeinschaft, schwärmt die Rheinländerin. "Im Moment habe ich gar nicht das Bedürfnis, zu verreisen, weil der Garten mich ausfüllt und ich richtig an meinen Pflanzen hänge."