Meuthens Standpauke für rechten AfD-Flügel
28. November 2020Vor den Delegierten in einer Halle in Kalkar am Niederrhein prangerte AfD-Chef Jörg Meuthen in deutlichen Worten rechtslastige Umtriebe und eine zunehmend radikale Wortwahl in der Partei an. Es sei nicht klug, von einer Corona-Diktatur zu sprechen, sagte Meuthen. "Wir leben in keiner Diktatur, sonst könnten wir diesen Parteitag wohl nicht so abhalten." Wenn manche "nur allzu gerne rumkrakeelen" oder andere dafür in den Bundestag einladen, "wählen uns Scharen von Menschen in Zukunft nicht mehr".
Es sei auch nicht klug, in der Debatte um das Infektionsschutzgesetz mit dem Begriff "Ermächtigungsgesetz" zu hantieren und damit "ganz bewusst Assoziationen an Hitlers Machtergreifung von 1933 zu erwecken". Solche Assoziationen sollten sich "von allein verbieten", betonte Meuthen. Sie seien eine "implizite Verharmlosung der grauenhaften Untaten jener finsteren Zeit". Das dürfe so "keinesfalls weitergehen".
Warnung vor dem Untergang
In seiner Rede, in der er eigentlich zum Leitantrag für ein Rentenkonzept sprechen sollte, forderte Meuthen: "Verweigern wir diesen Leuten die Geschlossenheit." Zugleich warnte er: "Entweder wir kriegen die Kurve oder wir werden in ganz absehbarer Zeit in schwere See geraten."
Dringend riet Meuthen davon ab, sich mit der Querdenken-Bewegung gemein zu machen. Dort demonstrierten auch Menschen mit "skurrilen und zum Teil systemfeindlichen Ansichten". Meuthen verwies darauf, welches Bild für die AfD entstehe, wenn einige ihrer Mitglieder "da jegliche Distanz vermissen lassen". An den Demonstrationen der Querdenken-Bewegung gegen die Corona-Politik von Bund und Ländern nehmen regelmäßig auch AfD-Funktionäre teil, zum Teil treten sie auch als Redner auf.
"Keine rückwärtsgewandte Partei"
Meuthen mahnte, sieben Jahre nach Gründung der Partei seien die Erfolge der AfD "nun gefährdet wie noch nie". Die Partei sei an einem Punkt angelangt, an dem "noch alles kaputt gehen kann". Dass es nicht weiter aufwärts gehe, liege auch daran, dass einige in der Partei "zurück ins Gestern" wollten. Die AfD sei aber "keine rückwärtsgewandte Partei" und dürfe keine solche sein, "will sie eine politische Zukunft haben".
Die AfD werde keinen Erfolg erzielen, wenn sie "immer derber, immer aggressiver" auftrete. So verliere sie viele Wähler. Mehr als alles andere brauche die AfD "innerparteiliche Disziplin", sagte Meuthen. Dazu gehöre "untadeliges Verhalten" aller Funktionäre und Mitglieder. Mit seiner Kritik am Sprachgebrauch richtete sich Meuthen indirekt auch gegen den AfD-Ehrenvorsitzenden Alexander Gauland. Der Fraktionschef hatte der Bundesregierung im Bundestag "Kriegspropaganda" vorgeworfen und von einer "Corona-Diktatur auf Widerruf" gesprochen.
Gauland nannte Meuthens Rede "spalterisch", sein Auftritt sei ihm "zu viel Verbeugung vor dem Verfassungsschutz". Er wandte sich auch gegen Meuthens Kritik an den Vorkommnissen im Bundestag - auf Einladung zweier AfD-Bundestagsabgeordneter waren vergangene Woche rechte Youtuber ins Reichstagsgebäude gelangt, wo sie andere Parlamentarier bedrängten. Das Problem habe die Fraktion gelöst, erklärte Gauland, "da muss sich der Parteivorsitzende nicht einmischen".
Erstmals Rentenkonzept beschlossen
Die rund 600 Delegierten, von denen am Samstagmittag etwas mehr als 500 anwesend waren, beschlossen anschließend das erste Rentenkonzept der Partei. Mehr als sieben Jahre nach der Gründung wurde das Parteiprogramm damit um ein sozialpolitisches Konzept ergänzt und eine inhaltliche Lücke geschlossen. Auf radikale Forderungen wird in dem Leitantrag weitgehend verzichtet. Am umlagefinanzierten Rentensystem hält die AfD fest, Familien sollen bei den Beiträgen entlastet werden. Der Großteil der Staatsbediensteten soll in die gesetzliche Rente einzahlen, die Verbeamtung soll auf rein hoheitliche Aufgaben beschränkt werden. Auch sieht das Rentenkonzept Freiheit beim Zeitpunkt des Renteneintritts, die Abschaffung von Politikerpensionen, eine Altersvorsorge für Selbstständige und eine Stärkung der privaten Vorsorge vor.
Die Delegierten tagen in einer Halle, für die es wegen der Corona-Pandemie strenge Sicherheitsvorschriften der örtlichen Behörden gibt. So müssen alle Delegierten permanent eine Maske tragen, auch wenn sie an ihrem Platz sitzen. Nach jeweils 50 Minuten müssen alle Türen der Halle für 10 Minuten zum Lüften geöffnet werden. Die Stadt Kalkar hat angekündigt, den Parteitag notfalls auch zu beenden, sollten die Auflagen nicht eingehalten werden.
Protestkundgebung vor der Halle
Mehrere Hundert Menschen demonstrierten in der Stadt am Niederrhein gegen das Treffen der rechtsgerichteten Partei. Bundestagsabgeordnete fast aller Parteien meldeten sich bei einer Kundgebung zu Wort. Zu der Kundgebung hatte das Bündnis "Aufstehen gegen Rassismus" aufgerufen. In einem Aufruf dazu wird der AfD vorgeworfen, durch die Abhaltung des Parteitags einen "gemeingefährlichen Infektionshotspot" zu schaffen. Zudem sollten sich die Demonstranten "dem Hass und der Hetze gegen Geflüchtete, Muslime, Andersdenkende und -lebende entgegenstellen".
Der zweite Bundesvorsitzende Tino Chrupalla sagte zu der Kritik an der Versammlung mitten in der Corona-Pandemie, Präsenzparteitage seien unverzichtbar in der Parteiendemokratie. Diese brauche lebendige Debatten. "Wenn wir da uns von einem Virus in die Schranken weisen lassen, hat die Demokratie ihr Recht bereits verloren."
Chrupalla kritisierte auch die "Notstandspolitik von Bund und Ländern" in der Corona-Krise. "Wir werden nicht zulassen, dass die Regierungen im Alleingang das gesellschaftliche und wirtschaftliche Leben in Deutschland ins Koma versetzen können." Was die Bundeskanzlerin und andere Politiker mit Gastwirten, Künstlern und Veranstaltungswirtschaft machten, sei "reine Konkurspolitik". Es würden wissentlich Existenzen vernichtet, die Pleitewelle rolle bereits, viele Menschen werde dies den Arbeitsplatz kosten.
Die AfD setzt ihren Parteitag am Sonntag fort. Beraten werden sollen dann unter anderem Fragen der inneren Ordnung der Partei.
kle/uh (dpa, afp)