AfD: neue Führung, alte Kämpfe
29. November 2019Vor einigen Wochen hat der Bundesvorstand der rechtspopulistischen "Alternative für Deutschland" (AfD) ein Strategiepapier verabschiedet, um neue Wählerschichten zu gewinnen. Denn die 20-plus-x-Erfolge bei den jüngsten Landtagswahlen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die bundesweite Zustimmung bei rund 15 Prozent stagniert. Die AfD findet folgende Erklärung dafür: weil sich die Partei nicht "ausreichend vom rechten politischen Rand abgrenzt" steht in dem Strategiepapier. Deshalb müsse verstärkt an einem gemäßigteren Image gearbeitet werden. Passend dazu nennt sich die AfD seit kurzem "bürgerlich". Ob das so klappt, wird auch der Bundesparteitag in Braunschweig zeigen. Hier sollen Spitze und Vorstand neu gewählt werden.
Dabei ist die Auseinandersetzung mit dem rechten Rand für die AfD nicht nur strategischer Natur, sondern auch eine existentielle Frage. Seit Anfang des Jahres werden nämlich vom Verfassungsschutz Teile der AfD stärker ins Visier genommen. Die Sorge in der Partei ist groß, dass demnächst ganze Landesverbände beobachtet werden könnten. Mit dem Vorhaben weiter zu wachsen, wäre dann wohl erst einmal Schluss.
Tradition des Rechtsrucks
Blickt man auf die Geschichte der 2013 gegründeten Partei, haben neue Gesichter an der Parteispitze immer eines bewirkt: Die Partei wanderte im politischen Spektrum weiter nach rechts. Für die AfD kein Problem - im Gegenteil. Denn im Gleichklang stiegen Umfragewerte und Wahlergebnisse; die Partei konnte sich parlamentarisch etablieren.
Unter ihrem - ersten - Vorsitzenden, Bernd Lucke, verstand sich die AfD vor allem als Wirtschaftspartei, als Kritikerin an der damaligen Euro-Rettungspolitik. Dann putschte Frauke Petry Lucke aus der Partei - und setzte sich an die Parteispitze. Petry war bekannt dafür, mit dem "rechten Rand" weniger Berührungsprobleme als Lucke zu haben. Als sie dann aber die Partei koalitionsfähig, also gemäßigter, machen wollte, ging das schief. Alexander Gauland übernahm. Petry verließ die Partei.
Gauland zeigte sich noch offener zum inzwischen etablierten rechten "Flügel" der Partei, wie auch seine "Vogelschiss"-Rede offenbarte. Seither wirkt er als eine Art innerparteiliches Scharnier. Schätzungen zufolge sollen mittlerweile 30 bis 40 Prozent der Parteimitglieder mit dem nationalistisch-patriotisch gesinnten "Flügel" sympathisieren. Offizielle Zahlen aber gibt es nicht.
Eigentlich wollte Gauland sein Amt bereits auf dem Bundesparteitag vor zwei Jahren wieder abgeben. Der damals 76-jährige Parteimitbegründer trat nur deshalb noch einmal an, weil er eine noch rechter stehende Kandidatin verhindern wollte, die mit einer Scharfmacher-Rede Ad-hoc-Sympathien bei den Delegierten im Saal gesammelt hatte.
Nachfolger für Alexander Gauland
Nun der zweite Versuch: Tino Chrupalla soll Gauland nachfolgen. Er ist sein Lieblingskandidat und wird schon seit gut einem Jahr auf sein Amt vorbereitet. Die Chancen stehen gut. Der 44-Jährige hat die Unterstützung des "Flügels", ohne selbst dazu zu gehören, wie er sagt. Bei der Bundestagswahl errang Chrupalla ein Direktmandat gegen den regierenden sächsischen Ministerpräsidenten Michael Kretschmer von der konservativen CDU. In der Fraktion hat er einen Vize-Posten inne und sich einen guten Ruf erarbeitet. Bei seiner Eröffnungsrede des Parteitages bekräftigte Gauland, er mache "heute Platz für einen Jüngeren".
Chrupalla gehört zu einer neuen Generation von AfD-Politikern aus Ostdeutschland, die - durch gute Wahlergebnisse gestärkt - ausgesprochen selbstbewusst und aggressiv in der Wortwahl auftreten. In seiner Bundestagsrede zum 30-jährigen Jubiläum des Mauerfalls warf er Angela Merkel vor, in der DDR gelernte "Zersetzungsstrategien" anzuwenden. Merkel mangele es außerdem an "Mitgefühl und Liebe" zum eigenen Volk. Dafür gebe es "Mikroagressionen gegen alles Deutsche", so dass nun eine "anti-deutsche" Mauer Deutschland spalte.
Ganz sicher ist seine Wahl nicht. Gegenkandidaten haben sich gemeldet. Darunter auch Gottfried Curio, der "Youtube-Star der AfD", wie ihn deutsche Medien auch nennen. Seine vor allem migrationsfeindlichen Reden treffen einen Hauptnerv der AfD-Basis und sorgen für hohe Zugriffszahlen in den Sozialen Medien.
Überraschungen nicht ausgeschlossen
An der Spitze der AfD stehen zwei Vorsitzende. Jörg Meuthen, auch Chef der AfD-Gruppe im EU-Parlament, will sich als Co-Vorsitzender bestätigen lassen. Auch hier aber gilt noch nichts als sicher - es gibt mindestens eine Gegenkandidatin.
Weitere Punkte könnten dem Parteitag eine eigene Dynamik geben. Stellt sich Gauland wieder als "Joker" zur Verfügung? Darüber gab es zuletzt widersprüchliche Aussagen. Und: Wie verhält sich der Thüringer AfD-Chef Björn Höcke? Er steht am äußersten rechten Rand der AfD. Schon zu Petrys Zeiten wurde viel darüber spekuliert, ob Höcke an die Parteispitze strebt. Bei einem Auftritt kürzlich vor der Hauptstadt-Presse hielt er sich eine Entscheidung offen. Infrage käme auch zumindest ein Vorstandsposten. Doch Höcke wird sich erst zur Wahl stellen, wenn er sich einer Mehrheit sicher ist - und die ist derzeit fraglich.
Personen sind ein Gradmesser für die Richtung der AfD, Inhalte ein anderer. Zwar sind keine großen programmatischen Entscheidungen in Braunschweig geplant. Doch es liegen "heikle" Anträge vor. Zum Beispiel zu einem offeneren Umgang mit den Identitären, die laut Verfassungsschutz als rechtsextremistisch gelten. Bislang war eine Doppelmitgliedschaft nicht erlaubt. Dafür hat die AfD eine sogenannte Unvereinbarkeitsliste, auf der auch noch andere Organisationen stehen. Das wollen manche ändern. Es wäre ein Schulterschluss mit Rechtsextremisten - und eine Niederlage für den "bürgerlichen" Kurs der bisherigen Parteiführung.