AfD: Populismus und mehr
24. Februar 2016Mittlerweile gilt die AfD als rechtspopulistische Partei, die mit der Angst vor Flüchtlingen in Deutschland auf Stimmenfang geht. Eine solche sei sie jedoch anfänglich gar nicht gewesen, erklärt der Soziologe und AfD-Forscher Andreas Kemper. Schließlich habe Parteigründer Bernd Lucke die AfD aus Protest gegen die Eurorettungspolitik gegründet. Und schon damals habe Lucke eigentlich ein neoliberales Projekt verfolgt, erklärt der Soziologe und AfD-Forscher Andreas Kemper - "also eine Politik, die Unterschiede zwischen arm und reich verschärft".
Dass es trotz der Abkehr von Lucke noch immer einen starken neoliberalen Flügel gebe, zeige die Personalie Alice Weidel. Die 36-jährige Wirtschaftswissenschaftlerin steht der Programmkommission vor. Sie begann ihre Karriere in der Universität Bayreuth unter dem für seine marktradikalen Ideen bekannten Gesundheitsökonomen Peter Oberender. Aktuell fordert sie die Abschaffung der Vermögenssteuer, eine Kernforderung neoliberalen Gedankenguts. Auf einem Parteitag im April soll das erste AfD-Programm beschlossen werden - Weidel hat dabei viele Fäden in der Hand.
Drei Flügel
Kemper, der die Entwicklung der AfD unter dem Gesichtspunkt ihrer sozio-demografischen Zusammensetzung untersucht, sieht neben den Neoliberalen zwei weitere Partei-Flügel.
Evangelikale und ultrakatholische AfDler bildeten einen klerikalen Flügel. Sie wollten die Gleichstellungs- und Minderheitenpolitik der vergangenen Jahre zurückdrehen. Eine zentrale Figur dabei sei Beatrix von Storch, die gleichzeitig auch "als Scharnier zum deutschen Hochadel" fungiere. Ihr Kampagnen-Netzwerk sei ausgesprochen einflussreich.
Mit Björn Höcke und André Poggenburg sei auch die Denkschule der sogenannten Neuen Rechte in der AfD vertreten, die rechtes Gedankengut in konservative Kreise trägt. Diese drei Gruppen würden sich gut ergänzen. Die inhaltlichen Schnittmengen seien das, was die AfD derzeit ausmache, erklärt Kemper.
Unscharfes Profil
Dass es die eine AfD gar nicht gibt, sehen auch andere so. Der Politikwissenschaftler Hendrik Träger beschreibt die Partei als "ideologisch-politisch-strategisch heterogene Protestpartei mit dem Charakter einer Sammlungsbewegung". Man mache es sich zu einfach, würde man nur von einer rechtspopulistischen Partei sprechen, meint Träger.
Die AfD sei zugleich auch wertkonservativ, nationalkonservativ und wirtschaftsliberal. Das fehlende oder unscharfe Profil aber schade der Partei momentan gar nicht, weil der Protest im Vordergrund stehe.
Rechte Spielhäfte aufgegeben?
Für den Parteienforscher Werner Patzelt aus Dresden passt das Etikett "rechtspopulistisch" für die AfD einerseits, aber dann doch auch wieder nicht. Die AfD sei die deutsche Erscheinungsform jenes Rechtspopulismus, der "in anderen Staaten Europas selbstverständlicher Bestandteil des dortigen politischen Systems" sei. Es gebe so viel Aufsehen, weil die Erscheinung für Deutschland neu sei. In der Vergangenheit hätten die Unionsparteien CDU und CSU es verstanden, den Rechtspopulismus zu integrieren.
Die "Sozialdemokratisierung" der Union unter Angela Merkel hätte dem aber ein Ende gemacht. Konservative und Rechte hätten kein Gehör mehr gefunden und seien von Aufstiegschancen in der Partei fern gehalten worden. Die "heimatlos Gewordenen" würden sich selbst aber gar nicht als Rechtspopulisten verstehen, sondern aus der Überzeugung handeln, sie seien "die eigentliche CDU". Die weitere Stärke der AfD hänge deshalb auch davon ab, "inwieweit die Unionsparteien dieses Potential wieder integrieren kann". Die "Rekonsolidierung der Union nach dem Verlöschen der Merkel-Ära müsse im Wiedergewinnen der rechten Spielhälfte bestehen", meint Patzelt.
Profiteur eines allgemeinen Wandels?
Doch hinter dem derzeitigen Erfolg stehe auch eine "große geistespolitische Wirkmacht". Die Neuen Rechten würden derzeit die intellektuelle Hegemonie der sogenannten 68er, die "linksgrünes Denken zum politischen Normaldenkstil" gemacht habe, wie Patzelt es beschreibt, bekämpfen. Wie "damals im Zuge der 68er-Bewegung, als die Linken den Bürgerlichen die Deutungsmacht weggenommen haben, deute sich derzeit ein neuer Paradigmenwechsel an". Davon könne die AfD profitieren. - Falls es "die Partei schafft, sich vom Abgleiten in eine rechtsradikale Bewegung fernzuhalten, also keine Dumpfbacken den Ton angeben".
Wesentlich werde der Fortgang der Geschichte auch vom Verhalten der anderen Parteien abhängen, meint Politikwissenschaftler Träger. Die bisherigen Angriffe seien eher kontraproduktiv gewesen, weil sie Solidarisierungseffekte ausgelöst hätten. "Wenn man verlorene Wähler zurückgewinnen will, dann muss man sich inhaltlich positionieren, dann muss man den Wählern erklären, warum sie zurückkommen sollen", so Träger. Sich der inhaltlichen Auseinandersetzung zum Beispiel bei TV-Duellen oder Talkrunden zu widersetzen, gehöre nicht dazu. Stattdessen müssten "politische Narrative" her, also Erklärungen für politische Konzepte. Doch daran mangele es derzeit.