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Politik

Afghanische Journalisten in Gefahr

15. September 2021

In den letzten 20 Jahren hatte sich in Afghanistan eine lebendige Medienlandschaft entwickelt. Unter den Taliban droht Medienschaffenden jetzt Gefahr und Tod. Aktivisten drängen auf Hilfe für gefährdete Journalisten.

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Mahnwache für den in Afghanistan getöteten Journalisten Danish Siddiqui am 20. Juli in Kathmandu, Nepal mit Kerzen vor seinem Photo
In Afghanistan kann journalistische Arbeit das Leben kostenBild: Prabin Ranabhat/SOPA Images/ZUMA/picture alliance

Es ist eine fast heimliche Pressekonferenz, die die Organisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG) an diesem Mittwoch in ihrer Zentrale in Berlin-Schöneberg abhält. Nur 20 Journalistinnen und Journalisten sind zugelassen. Und anders als sonst seit Ausbruch der Corona-Pandemie ist eine Video-Übertragung im Netz nicht vorgesehen. Der Grund: Im Saal sind auch Journalistinnen und Journalisten aus Afghanistan, die um ihr Leben oder um das von Freunden und Angehörigen fürchten, wenn ihre Identität bekannt wird.

Bei Ahmad Wahid Payman ist das anders. Er nennt seinen Namen, lässt sich bereitwillig fotografieren. Der Zeitungsjournalist, der für ein großes Blatt in Kabul und in der zweitgrößten Stadt Herat gearbeitet hat, ist seit zehn Tagen in Deutschland. Er berichtet von etlichen Kollegen, die bedroht und an der Arbeit gehindert wurden, seit die radikalislamistischen Taliban an der Macht sind. Viele würden sich schlicht zuhause verstecken oder seien längst in eines der Nachbarländer Afghanistans geflohen, berichtet Payman: "Die Taliban spielen Toleranz vor, um international anerkannt zu werden, aber es gibt unzählige Beispiele für massive Übergriffe", sagt er jetzt.

PK von "Reporter ohne Grenzen" 15.09.2021 in Berlin zur Situation von Journalisten in Afghanistan. Von links: Ahmad Wahid Payman, vor 10 Tagen als Journalist aus Afghanistan geflüchtet, Lisa Kretschmer von ROG und ROG- Geschäftsführer Chridtian Mihr.
Kein Verstecken: Ahmad Wahid Payman, links neben Lisa Kretschmer von ROG und ROG-Geschäftsführer Christian MihrBild: Jens Thurau/DW

Medienlandschaft verarmt

Von 55 Medien, Zeitungen, Radiostationen, und Online-Diensten, die noch vor wenigen Wochen allein im westafghanischen Herat aktiv gewesen seien, würden nun nur noch sechs operieren. Und auch in denen dürften keine Frauen mehr arbeiten, Musik - und Unterhaltungssendungen seien eingestellt worden. Und dann weist er noch auf einen bislang kaum gehörten Umstand hin: Die Taliban, berichtet Payman, hätten rund 1000 Schwerstverbrecher aus den Gefängnissen entlassen. Verbrecher, über deren Taten, vor allem gegen Frauen, zuvor breit berichtet worden sei. Nun würden die Pressevertreter, die diese Berichte verfasst hätten, von diesen entlassenen Häftlingen bedroht.  

ROG-Geschäftsführer Christian Mihr erschüttert das alles zutiefst. Immerhin aber gibt es an diesem Morgen eine kleine, positive Meldung: Das deutsche Innenministerium hat für gut 2600 potenziell gefährdete Menschen aus Afghanistan eine sogenannte Aufenthaltszusage gegeben; sie müssen nach Ankunft in Deutschland also nicht erst das Asylverfahren durchlaufen. Darunter, so Christian Mihr, seien neben Menschenrechtsaktivisten auch gefährdete Journalisten.

"Behördenwirrwarr"

Mihr begrüßt im Gespräch mit NDR und der DW ausdrücklich die Aufenthaltszusagen. Allerdings kritisiert der ROG-Chef mangelnde Transparenz seitens der deutschen Behörden. Reporter ohne Grenzen hatte in den vergangenen Wochen wiederholt eine mehrfach aktualisierte Namensliste mit zuletzt mehr als 152 hoch gefährdeten Medienschaffenden an das Auswärtige Amt übermittelt. Wer von der ROG-Liste auf die Liste des Innenministeriums übernommen wurde, weiß ROG nicht. "Die Menschen, die Reporter ohne Grenzen unterstützt, das sind Menschen, die Todesdrohungen bekommen, die Morddrohungen bekommen haben. Die müssen raus aus dem Land", unterstreicht Mihr. Auf der Liste standen auch Dutzende Reporterinnen. Die sind in zweifacher Hinsicht gefährdet: Als Frau und als Journalistin.

Was Christian Mihr noch wichtig ist: "Dass die Sicherheitsüberprüfung, die vor einer Einreise in Deutschland nötig ist, nicht in Afghanistan stattfindet." Überlegungen, diese Sicherheitsüberprüfung in Afghanistan stattfinden zu lassen, bezeichnet Mihr als "weltfremd".

Bei aller Erleichterung über die Aufenthaltszusagen, lässt Mihr an der Zusammenarbeit seiner Organisation mit den beiden für die Aufnahme der Bedrohten zuständigen Ministerien, dem Auswärtigen Amt und dem Bundesinnenministerium, kaum ein gutes Haar: "Die vergangenen Wochen waren maximal unkoordiniert und intransparent. So etwas habe ich selten erlebt im Umgang mit deutschen Behörden."

Horst Seehofer (r, CSU), Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat, und Heiko Maas (SPD), Außenminister, nehmen an der Plenarsitzung im Deutschen Bundestag teil.
Ihre Häuser, so ROG, müssten mehr für gefährdete Journalisten tun: Außenminister Maas und Innenminister SeehoferBild: picture-alliance/dpa/K. Nietfeld

Das Krisenreaktionszentrum der Regierung arbeite daran, Deutschen, ehemaligen Ortskräften sowie den anderen Schutzbedürftigen bei der Ausreise aus Afghanistan und der Weiterreise nach Deutschland zu helfen, sagte eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes am Dienstag.

"Afghanistan darf nicht aus dem Fokus verschwinden"

Für die Zukunft fordert Mihr, sich auch weiterhin vor allem um die zahlreichen Journalistinnen und Journalisten zu kümmern, die trotz der neuen Lage im Land bleiben wollten. Afghanistan dürfe nicht aus dem Fokus verschwinden, nur weil die Bundeswehr nun nicht mehr im Land sei. Dazu sei wichtig, erst einmal wahrzunehmen, was es in Afghanistan an Bedrohungen gegenüber Journalistinnen und Journalisten gebe. Was Christian Mihr Sorge macht: "In den vergangenen Wochen habe ich auch Gespräche mit deutschen Ministerien geführt, in denen schon wieder die Schönrednerei der Lage begonnen hat. Die Zeit der Schönrednerei sollte jetzt aber vorbei sein."

Die Taliban hatten nach ihrer Machtübernahme zunächst versöhnliche Signale ausgesandt. In ihrer ersten Presse-Konferenz Mitte August hatten die Islamisten erklärt, Journalisten würden weiter in Afghanistan arbeiten können.

Sabiullah Mudschahid (M), Sprecher der Taliban, spricht auf seiner ersten Pressekonferenz im Medieninformationszentrum der Regierung in Kabul
Versöhnliche Töne, doch die Taten sprechen eine andere SpracheBild: Rahmat Gul/dpa/AP/picture alliance

Gewalt - und Mord

Dieses Statement wurde mittlerweile widerlegt - durch zahlreiche Berichte von Verhaftungen und Gewalt gegenüber Journalisten. Mitte August war im Westen Afghanistans ein Angehöriger eines DW-Journalisten getötet und ein weiterer schwer verletzt worden. Die Taliban hatten systematisch nach dem Journalisten gesucht, der sich bereits in Deutschland aufhält. Wegen der massiven Gefährdung ihrer Mitarbeiter setzt sich die DW massiv für die Evakuierung ihrer Mitarbeiter und deren Familien aus Afghanistan ein. Vergangene Woche war es einer Gruppe von 72 Menschen gelungen, in einem ersten Schritt nach Pakistan auszureisen.

ROG-Chef Mihr gibt sich gegenüber den militanten Islamisten ohnehin keinerlei Illusionen hin: "Die Taliban haben wir seit vielen Jahren als Feinde der Pressefreiheit bezeichnet und sie sind weiter Feinde der Pressefreiheit." Afghanistan stand bereits vor der Machtübernahme der Taliban auf der Rangliste der Pressefreiheit nur auf Platz 122 von 180 - vor allem weil sowohl die Taliban als auch der sogenannte Islamische Staat immer wieder Medienschaffende ermordet haben.

Journalismus unter Lebensgefahr

Das in den USA beheimatete Commitee to Protect Journalists, CPJ, spricht gegenüber der DW von 55 Journalisten, die seit 1992 in Afghanistan getötet wurden - zwei davon in diesem Jahr. Besonders gefährdet sind laut CPJ nicht nur weibliche Journalisten. Sondern auch Angehörige ethnischer Minderheiten wie der Hazara, Tadschiken und Usbeken.

UN meldet sich zu Wort

Nachdem vergangene Woche Journalisten bei der Berichterstattung über die Proteste von Frauen in Kabul verhaftet und anschließend über Stunden schwer misshandelt worden waren, haben sich auch die Vereinten Nationen zu Wort gemeldet. Letzten Freitag forderte der Sprecher der UN-Menschenrechtskommissarin: "Journalisten, die über Versammlungen berichten, dürfen nicht mit Repressalien oder anderen Schikanen konfrontiert werden, selbst wenn eine Versammlung für ungesetzlich erklärt oder aufgelöst wird."

Für ROG steht fest: Medienmitarbeitende sollten so schnell und unbürokratisch wie möglich Afghanistan oder unsichere Drittländer, in die sie geflüchtet sind, verlassen können. Die Aufnahmezusage des Innenministeriums ist für Christian Mihr da nur "ein erster Schritt in die richtige Richtung; er reicht jedoch nicht aus."