Afghanistan braucht Schulen
15. November 2003Nach europäischem Verständnis gibt es in Afghanistan heute kein Schulsystem. Demzufolge ist die Bildungssituation von Region zu Region sehr uneinheitlich und oft findet der Unterricht nur sporadisch statt. Seit dem Ende des Taliban-Regimes im Herbst 2001 und dem Anlaufen der internationalen Hilfsprogramme zielen unterschiedliche Initiativen auf die Verbesserung der schulischen Infrastruktur im Land.
Das größte Hindernis dabei ist die immer noch instabile Sicherheitslage. Da die meisten Kinder noch nie eine Schule besucht haben, und die Zahl der Analphabeten auf 90 Prozent geschätzt wird, besteht jedoch ein dringender Bedarf an Bildung.
Probleme für die Helfer
Die bisherigen Hilfsleistungen konzentrieren sich vor allem auf Kabul, kritisiert Reinhard Erös von der Kinderhilfe Afghanistan. Schulen im Umland sind hingegen rar. Die Interimsregierung könne bildungspolitische Interessen nur schwer durchsetzen, da ihre Macht nicht bis in alle Regionen reiche. Dennoch gilt es, im Gewirr von afghanischen Interessen, den Vertretern der Vereinten Natione (UNO) sowie einer Unzahl nicht staatlich organisierter Helfer wieder ein funktionierendes Bildungssystem für ein von 20 Jahren Krieg zerrüttetes Land ins Leben zu rufen.
Traditionell benachteiligt sind Mädchen und Frauen in der afghanischen Gesellschaft. Während in Kabul Frauen inzwischen ein etwas freieres Leben möglich ist, hat sich in den Provinzen oft nur wenig verändert. Mädchen heiraten sehr früh und müssen sich dann um Haus und Kinder kümmern. Eine weiterführende Ausbildung, ein Studium oder gar ein Beruf sind für sie undenkbar. Einstweilen muss es als Erfolg verbucht werden, dass Schulen und Universitäten nicht mehr nur männlichen Schülern offen stehen. Es mehren sich aber auch Meldungen über gezielte Anschläge auf schulische Einrichtungen für Mädchen.
Privileg Bildung
Insgesamt haben vor allem Kinder stark unter den Verhältnissen im Land zu leiden. Schätzungen der UNO zufolge kämpfen alleine in Kabul an die 80.000 Straßenkinder ums Überleben. Viele von ihnen sind Kriegswaisen, müssen betteln oder arbeiten für Hungerlöhne. Aber auch für Kinder mit Eltern ist Unterricht alles andere als selbstverständlich. Auch sie arbeiten oft mit, und wenn eine Flüchtlingsfamilie nicht registriert ist, verwehren amtliche Stellen den Kindern in Kabul den Schulbesuch.
Der Unterricht findet zudem zum Teil bloß sporadisch statt, grundlegende Materialien wie Tische und Schreibutensilien fehlen ganz. Außerdem habe die gestiegene Zahl an Hilfswerken in Kabul zu einem erheblichen Preisanstieg geführt. Fähige Lehrer in den Regionen sind kaum noch zu halten, sie arbeiten lieber für mehr Geld in der Hauptstadt, wie Erös bemängelt. Wenn der Schulbetrieb nicht durch private Initiativen gewährleistet wäre, bekämen Lehrkräfte in den seltensten Fällen regelmäßigen Lohn, weist er auf ein weiteres zentrales Problem hin.
Stolze Eltern
Der Andrang auch an den neu eröffneten Schulen, die landesweit oft von Hilfsinitiativen betrieben werden, ist so groß, dass im Freien unterrichtet wird. Viele Eltern sehen es in dieser schwierigen Ausgangslage mit Stolz, dass ihre Töchter und Söhne endlich eine Schule besuchen dürfen.