Afrika ohne Plastik: Für viele Länder noch ein Traum
27. Juni 2018Fatoumata Chérif zeigt mit dem Daumen über ihre Schulter: "Guckt mal dort! Das Meer ist schön, die Sicht auch, hier der Präsidentenpalast - aber was liegt da?" Der Strand der Hauptstadt Conakry ist mit Plastikmüll übersät. Die Bloggerin und Aktivistin aus Ginea steht in ihrem schicken afrikanischen Kleid mitten in der Schmutzlawine am Meer. "Ihr müsst Selfies machen und Videos ins Internet stellen, wenn ihr solche Schandflecke seht," ruft sie in einem ihrer Videos zur Protestaktion auf. "Die Regierung macht nichts dagegen. Aber uns drohen Krankheiten und Epidemien!"
Hohe Geldstrafen für Plastiktüten-Benutzer
Umweltbewusstsein nimmt in Afrika Fahrt auf. Doch Fortschritte gehen nur langsam voran. Länder wie Kenia und Ruanda stehen an der Spitze der Bemühungen auf dem Kontinent, die wachsende Plastikflut zu verhindern. In Kenia ist Fatoumatas Wunsch nach einer sauberen Umwelt auf dem Weg zur Realität: Plastiktüten sind seit einem Jahr verboten. Das Gesetz ist hart: Wer Plastiktüten herstellt, einführt oder benutzt, riskiert Gefängnisstrafen bis zu vier Jahren. Es kann umgerechnet über 30.000 Euro kosten, mit einer Plastiktüte erwischt zu werden. Und doch gelingt es immer wieder, Tüten in das Land zu schmuggeln.
Dem UN-Umweltprogramm (UNEP) zufolge wurden in Kenia bis kurz vor dem Verbot pro Tag geschätzt rund 100 Millionen Plastiktüten allein von Supermärkten ausgegeben. "Der Fluss in der Hauptstadt Nairobi ist mit Plastiktüten verstopft", sagt Musonda Mumba, Chefin der Abteilung Landökosysteme bei UNEP in Nairobi. Doch die Abfälle kämen nicht alle von Kenianern: "Der Plastikmüll vor den Küsten stammt häufig sogar aus Asien. Es ist ein globales Problem", sagt sie im DW-Interview.
Körbe und Stofftaschen als Alternative
Das ostafrikanische Land hat es seinem Nachbarn Ruanda nachgemacht. Dort sind Plastiktüten seit zehn Jahren verboten. Die Hauptstadt Kigali sei makellos, sagt Mumba. Das kenianische Plastik-Verbot bezeichnet sie daher als Teilerfolg. Denn in einem Land mit 40 Millionen Menschen vollziehe sich solch ein Wandel in kleinen Schritten, sagt sie. Immerhin gewinne die Umweltdebatte an Dynamik - und es könnten neue Möglichkeiten entstehen. Dem kenianischen Herstellerverband, der Angst vor finanziellen Einbußen hatte, rät sie: "Ihr habt jetzt die Möglichkeit, innovativ zu werden und biologisch abbaubare Verpackungen herzustellen." Auch Fraueninitiativen würden gestärkt, traditionelle Körbe und Taschen aus Tuch seien wieder "in", sagt Mumba.
Allerdings bleibe Kenia noch hinter Ruandas Niveau in Sachen Umwelt zurück: Hinter Ruandas Erfolg stecke ein stimmiges Konzept, das auf höchster politischer Ebene durch Präsident Paul Kagame mit großer Geschlossenheit bis in die Gemeinden getragen worden sei.
Vorreiter Ruanda
Das kleine Binnenland wird von vielen afrikanischen Delegationen besucht, die sich dort Ideen für den Umweltschutz abgucken wollen. Nana Aichatou Amadou zählt dazu. Die Vorsitzende der Lokalregierung im Bezirk Tahoua im westafrikanischen Niger ist begeistert: "Vom Präsident bis zu den Massen: Jeder widmet sich dem Umweltschutz. Kigali ist die sauberste Stadt in Afrika. Wir müssen davon lernen", sagt sie in einem DW-Interview. Niger hat bereits 2014 Plastiktüten verbannt. Das Verbot auch tatsächlich in die Tat umzusetzen, ist schwierig. Tahouas Bürgermeister Alhaji Abdura'uf Dodo setzt sich persönlich dafür ein, dass der Informationsfluss besser funktioniert: "Wir haben alle lokalen Regierungen im Land besucht und ihnen erklärt, dass der Kampf gegen Plastiktüten in ihrer Hand liegt."
Dass Vertreter aus verschiedenen Regionen und sogar Ländern gemeinsam über Umweltschutz sprechen, sieht Mumba vom UNEP positiv. "Der angestimmte Umwelt-Dialog in Afrika muss aber stärker national und regional koordiniert werden", sagt sie. " Die afrikanischen Umweltminister, die Afrikanische Union und UN-Vertreter treffen sich regelmäßig, um neue Möglichkeiten zu finden, die Umwelt nachhaltig zu schützen."
Plastik-Fisch im Netz
Laut UNEP landen jedes Jahr mehr als acht Millionen Tonnen Plastik im Ozean. Fisch und Meereslebewesen werden verseucht. Plastik tritt in die menschliche Nahrungskette ein.
In Ghana klagen Fischer über die Fänge, die in ihre Netze geraten und voller Plastik stecken. "Die Regierung muss einschreiten, sonst haben wir in Zukunft keine Nahrung mehr", sagt Kato Evans, Vorsitzender einer Fischervereinigung in Ghana. Die Fischer fordern einen vorübergehenden Plastik-Bann von der Regierung, bis das akute Problem mit Plastikmüll an der Küste gelöst ist. Ghanas Regierung hat vor drei Jahren versucht, Produzenten und Importeure von Plastikprodukten dazu zu bewegen, bevorzugt biologisch abbaubares Plastik zu verwenden. "Da liegen wir aber erst bei rund 40 Prozent im Gebrauch", sagt John Pwamag, Leiter der ghanaischen Umweltschutzbehörde der DW. "Es muss noch mehr passieren."
Verhalten ändern im "Plastik-Jahrhundert"
Für den französischen Umwelt-Experten Pierre Delcroix ist nicht Plastik das Problem, sondern die mangelhafte Regelung der Abfallwirtschaft in afrikanischen Ländern. Auch organischer Müll könne schwere Auswirkungen auf die Umwelt haben, wenn er nicht richtig entsorgt werde, sagt Delcroix, der auch in afrikanischen Ländern als Berater für Umweltfragen arbeitet. "Das meiste Plastik endet auf überfüllten Müllkippen, die ständig brennen und eine riesige Umweltbelastung auch für benachbarte Gemeinden darstellen", sagt er im DW-Interview. Ein Plastik-Verbot gehe zwar in die richtige Richtung, sagt Delcroix. Er mache aber nur Sinn, wenn er in einen umfassenden Plan zur Müllentsorgung integriert werde.
Kenia ist dabei, eine Mülltrennung einzuführen, zusätzlich zum Plastiktüten-Verbot. In Ghana sollen Getränke-Hersteller die Plastik-Verpackung wieder zurücknehmen. Auch die äthiopische Regierung möchte ein Recycling-System aufbauen. Doch der Weg ist noch weit. Die Regierung hat seit vielen Jahren Kampagnen zur Aufklärung über die Medien an das Volk gebracht. Laut Yalemsew Adela, Direktor des äthiopischen Umweltforschungsinstitutes, ist der Erfolg mäßig. "Es gilt, die Informationslücke zwischen Stadt und Land besser zu schließen, und das Verhalten zu ändern - das dauert lange. Wir können Plastik nicht vermeiden im Plastik-Jahrhundert."
Mitarbeit: Yussif Abdul-Ganiyu Inshola und Issoufou Mamane