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Trotz Aufschub voller Potenzial

Uta Steinwehr
12. August 2020

Der Start der Afrikanischen Kontinentalen Freihandelszone (AfCFTA) wurde Corona-bedingt verschoben. Doch Experten glauben: Die Pandemie könne sogar helfen, das Projekt zu beflügeln.

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COVID-19 I Stau im Grenzgebiet Kenia und Uganda
Lange Staus bildeten sich im April wegen der verlangsamten Abfertigung an der Grenze zwischen Kenia und UgandaBild: Getty Images/AFP/B. Ongoro

Gemessen an der Zahl der Länder soll es die größte Freihandelszone der Welt werden: 55 Staaten, 1,3 Milliarden Menschen, ein Bruttoinlandsprodukt von 3,4 Billionen US-Dollar - das sind die Rahmendaten für die Afrikanische Kontinentale Freihandelszone (AfCFTA). So sie denn offiziell startet. Denn auch hier hat das Coronavirus den Plänen einen Strich durch die Rechnung gemacht.

Eigentlich sollten im Mai bei einem Gipfeltreffen in Johannesburg viele der letzten Fragen geklärt werden, berichtete Prudence Sebahizi bei einer Onlineveranstaltung der Weltbank Ende Juli. Sebahizi ist Technischer Chefberater für die AfCFTA bei der Afrikanischen Union und leitet das Team, das die Verhandlungen unterstützt. Anfang Juli sollte es mit einer ersten Stufe im Handel losgehen. Laut Sebahizi wurde der Gipfel auf Dezember verschoben, der Handelsstart auf Anfang 2021 verlegt.

Gibt dir das Leben Zitronen, mach' Limonade draus

Könnte COVID-19 ein erster Sargnagel für die Afrikanische Freihandelszone sei? Fachleute gehen vom Gegenteil aus: Die Pandemie könnte sogar helfen, dass das Projekt erst richtig Fahrt aufnimmt. "Den Staaten ist klar geworden, dass sie die AfCFTA mehr denn je brauchen", sagt Sebahizi. Dabei denkt er besonders an Länder, die keinen direkten Zugang zum Meer haben und wegen der zahlreichen geschlossenen Grenzen auf dem Kontinent während des Corona-Lockdowns im ersten Halbjahr vom Welthandel quasi abgeschnitten waren. Sebahizi glaubt, die Situation werde "den Geist für mehr Zusammenarbeit" schaffen.

Auch Lynda Chinenye Iroulo geht davon aus, dass die Pandemie Chancen für regionale Integration in Afrika bietet, also der engeren Zusammenarbeit von Staaten. Die nigerianische Politikwissenschaftlerin am GIGA-Institut in Hamburg formuliert es im DW-Interview so: "Dies ist eine Situation, in der Afrika aus Zitronen Limonade machen kann."

Deutschland Hamburg | GIGA Institut Afrika-Studien | Lynda Iroulo
Politikwissenschaftlerin Iroulo: Afrika sollte COVID-19 als Chance nutzen Bild: L. Iroulo

Bisher sei Afrika in vielen Bereichen von Importen aus anderen Teilen der Welt angewiesen gewesen - Europa, China, den USA. Da die internationalen Warenströme durch die Pandemie unterbrochen und gerade im Bereich der medizinischen Schutzausrüstung der Markt leergefegt war, mussten sich die afrikanischen Staaten selbst zu helfen wissen. Iroulo berichtet von Innovationen wie der Produktion von Schutzkleidung in Kenia oder von Beatmungsgeräten in Südafrika.

An diesem Punkt kommt ihrer Meinung nach die Freihandelszone ins Spiel. Damit ganz Afrika von diesen Innovationen profitieren kann, brauche es weniger Handelshemmnisse. "Das ist es, worum es bei regionaler Integration geht: den Weg zu ebnen, um afrikanische Ressourcen zum Vorteil des ganzen Kontinents zu nutzen." Die Pandemie verlange förmlich danach, die Freihandelszone "ein großes Stück voranzubringen, um die Kooperation zwischen afrikanischen Staaten zu organisieren".

Lücken wurden offensichtlich

Noch aus einem anderen Grund ist die Pandemie eine Chance für die Freihandelszone: Sie hat den Partnern - teils schmerzhaft - vor Augen geführt, was sie bei den Verhandlungen bisher vergessen oder vernachlässigt haben, zum Beispiel im Dienstleistungsbereich. "Uns ist bewusst geworden, dass wir einen sehr wichtigen Sektor ausgelassen haben, nämlich den Gesundheitssektor", sagt Chefberater Sebahizi. Er ist sich sicher, dass dies bei weiteren Gesprächen eine große Rolle spielen wird.

Vernachlässigt wurde ihm zufolge auch der Bereich E-Commerce. Erst im Februar hätte man sich überhaupt darauf geeinigt, das Thema aufzunehmen. Auch hier glaubt er, dass künftige Verhandlungen dem viel mehr Raum widmen.

44 afrikanische Staaten unterschreiben Freihandelsabkommen in Kigali
2018 trafen sich die afrikanischen Staats- und Regierungschefs, um das Freihandelsabkommen in Ruanda zu unterzeichnenBild: Reuters/J. Bizimana

"Die COVID-19-Pandemie hat uns gezeigt, dass digitale Lösungen möglich sind", sagte auch Trudi Hartzenberg bei der Veranstaltung der Weltbank Ende Juli. Einige afrikanische Staaten hätten digitale Versionen der Papiere eingeführt, die die Herkunft einer Ware bestätigen, berichtete die geschäftsführende Direktorin von TRALAC, einem gemeinnützigen Zentrum für Handelsrecht in Südafrika. Und auch elektronische Zahlungen funktionierten immer besser. Als dies trage zur Effizienz und damit zur Wettbewerbsfähigkeit des Handels in Afrika bei.

Doch Hartzenberg sieht auch Lücken: So gebe es bisher keine vereinfachten Regeln für den informellen grenzüberschreitenden Handel. "Für Millionen Menschen brach die Existenzgrundlage durch Grenzschließungen weg." Grenzüberschreitenden Handel gerade für kleine Händler - oftmals Frauen - zu vereinfachen, könnte Hartzenberg zufolge einen wichtigen Beitrag leisten, um den Wohlstand auf dem Kontinent zu vergrößern.

Es bleibt Arbeit zu tun

Aber die Afrikanische Freihandelszone wird kein Selbstläufer werden. Problematisch bleiben beispielsweise Korruption und schlechte Infrastruktur. Damit die AfCFTA ihre volle Wirkung entfalten kann, müssen sich die Staaten beispielsweise im Kernbereich Transport auf gemeinsame Standards einigen.

"Wenn es keine Vereinheitlichung der Regeln gibt zum Beispiel für ausländische Transportdienstleister, zu Standards für Container oder Limits für LKW-Achslasten, läuft die Effizienz und Wettbewerbsfähigkeit nur auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner", glaubt TRALAC-Direktorin Hartzenberg. Das ließe Potenziale verpuffen.

COVID-19 I Stau im Grenzgebiet Kenia und Uganda
Trotz COVID-19 ging ein Teil des Handels weiter - doch nur mit Gesundheitscheck für die LKW-Fahrer wie hier in KeniaBild: Getty Images/AFP/B. Ongoro

Die Ausblicke klingen dagegen verheißungsvoll: Wenn die Freihandelszone vollständig umgesetzt wird, bietet sie die Möglichkeit, 30 Millionen Menschen aus extremer Armut zu holen, heißt es in einem neuen Bericht der Weltbank. Bis 2035 soll das Einkommen auf dem Kontinent um 450 Milliarden US-Dollar wachsen können.

Die afrikanischen Staaten sollten nach Ansicht von Maryla Maliszewska, Ökonomin bei der Weltbank und Hauptautorin des Berichts, ein Interesse daran haben, die Freihandelszone voranzutreiben. "Handel ist wichtig, um genug Widerstandskraft gegen künftige Schocks auszubilden", sagte die Ökonomin. Über Handel nachzudenken, sollte man nicht auf später verschieben. "Es ist ein entscheidender Faktor, um sich von der Pandemie zu erholen."

Mitarbeit: Eddy Micah Jr.