Afrikas Menschenhändlern auf der Spur
Wochenlang recherchierten die DW-Reporter Jan-Philipp Scholz und Adrian Kriesch über Menschenhändler aus Nigeria. Sie verfolgten Spuren bis nach Italien - und stießen dabei immer wieder auf eine Mauer des Schweigens.
Raus aus der Armut
Unsere Recherchen beginnen in Benin City, der Hauptstadt des nigerianischen Bundesstaates Edo. Fast jeder, mit dem wir hier sprechen, hat Freunde oder Familienmitglieder in Europa. Mehr als drei Viertel der illegalen Prostituierten in Italien kommen aus dieser Region. Viele sehen wegen der massiven Jugendarbeitslosigkeit keine Perspektive in ihrer Heimat.
Fakten statt Gerüchte
Schwester Bibiana Emenaha versucht seit Jahren, vor allem junge Frauen vor der Reise nach Europa zu warnen. "Viele werden mit falschen Versprechungen gelockt", erklärt sie uns. Der vermeintliche Job als Babysitterin oder Friseurin stelle sich vor Ort schnell als Lüge heraus. Fast alle jungen Frauen landeten auf dem Straßenstrich.
"Die Menschen sind gierig"
Nach langen Verhandlungen stimmt ein Schleuser einem Interview mit uns zu. Er nennt sich Steve. Mehr als 100 Nigerianer hat er nach eigenen Angaben bereits bis nach Libyen gebracht. Über die Hintermänner des Geschäfts will er uns nichts verraten - er sei nur ein einfacher Dienstleister. "Die Menschen hier in Edo State sind gierig. Für ein besseres Leben sind sie bereit, alles zu tun", sagt Steve.
Gefährliche Etappe durch die Wüste
Für 600 Euro pro Person organisiert Steve die Reise von Nigeria bis nach Libyen. "Die meisten wissen, wie gefährlich die Fahrt durch die Sahara ist", erklärt uns der Schleuser. Immer wieder kommen bei Pannen Menschen ums Leben. "Das ist das Risiko", sagt Steve, der die Migranten persönlich bis nach Agadez im Niger bringt. Dort übernimmt dann ein Kollege.
Agadez: Drehscheibe für Menschenhändler
Die Wüstenstadt Agadez ist der gefährlichste Teil unserer Recherche-Reise. Der Ort lebt vom Menschen- und Drogenhandel, immer wieder werden Ausländer entführt. Wir können uns nur mit bewaffnetem Personenschutz fortbewegen, sollen eine traditionelle Kopfbedeckung tragen, um weniger aufzufallen.
Keine Veränderung ohne Geld
Wie viele in dem Wüstenort sieht auch der Sultan von Agadez, Omar Ibrahim Omar, den Menschenhandel als Problem, das nicht vor Ort gelöst werden kann. Er fordert mehr Geld von der internationalen Gemeinschaft. Sein Argument: Wenn Europa nicht wolle, dass immer mehr Migranten in Richtung Mittelmeer reisten, müsse Europa den Niger stärker unterstützen.
Die "Montags-Karawane" nach Libyen
Seit Monaten brechen jeden Montag kurz vor Sonnenuntergang mehrere LKW mit Migranten aus Agadez in Richtung Norden auf. Das Chaos in Libyen hat dazu geführt, dass die Schleuser von hier ohne die Kontrollen von früher bis ans Mittelmeer kommen. Und wir merken schnell: Auch die Behörden hier im Niger interessieren ihre Aktivitäten wenig.
"Die Mädchen werden immer jünger"
Viele der Migrantinnen aus Nigeria landen in Italien auf dem Straßenstrich. Sozialarbeiterin Lisa Bertini arbeitet mit ausländischen Prostituierten. "Es werden immer mehr", erklärt sie uns. 2014 kamen nach offiziellen Angaben noch rund 1000 Nigerianerinnen über das Mittelmeer nach Italien. 2015 waren es schon mehr als 4000. "Und die Mädchen werden immer jünger", beobachtet die Sozialarbeiterin.
Auf der Suche nach einer "Madame"
Mit Hilfe eines nigerianischen Kollegen spüren wir in Norditalien eine mutmaßliche "Madame" auf. Als "Madames" werden nigerianische Zuhälterinnen bezeichnet, die an der Spitze kleinerer Schleuser-Netzwerke stehen. Sie lebt in einem Vorort von Florenz. Und ein Opfer erhebt schwere Vorwürfe gegen die Nigerianerin: "Sie hat uns geschlagen und zur Prostitution gezwungen."
Sechs junge Frauen in zwei Zimmern
Als wir die mutmaßliche "Madame" mit den Vorwürfen konfrontieren, gibt sie zu, dass sie in ihrem Haus sechs junge Nigerianerinnen untergebracht hat. Allerdings bestreitet sie, die Mädchen zur Prostitution zu zwingen: "Es ist nun mal etwas, was junge Nigerianerinnen hier so machen." Wir entschließen uns, die Rechercheergebnisse der italienischen Staatsanwaltschaft zu übergeben.
Kritik an untätigen Behörden
Schwester Monika Uchikwe kritisiert schon lange die Untätigkeit der italienischen Behörden. Seit acht Jahren kümmert sie sich um Menschenhandels-Opfer. In Rage redet sie sich, als wir sie nach den Kunden fragen. Die Männer wollten immer billigere Befriedigung: Zehn Euro koste der Sex mit einer Nigerianerin auf dem Straßenstrich nur noch. "Ohne diese Freier gäbe es das Problem doch gar nicht."