Musterknabe auf Abwegen
15. Oktober 2013Wie kann das westafrikanische Ghana verhindern, dass es durch den seit 2010 begonnenen Erdölexport vom sogenannten Rohstofffluch heimgesucht wird? Dass seine Politiker wie in anderen Ölländern durch undurchsichtige Geldströme korrumpiert werden? Wie können alle Branchen, Regionen und damit die ganze Bevölkerung von dem neuen Einkommen profitieren? Für Benjamin Boakye ist die Antwort auf all diese Fragen ganz einfach: "Wir müssen unsere eigenen Gesetze befolgen!", sagt der Wirtschaftsexperte vom African Center for Energy Policy in Ghanas Hauptstadt Accra.
Ghana gilt nicht umsonst als stabiler und demokratischer Vorzeigestaat im unruhigen Westafrika. Die neuen ghanaischen Gesetze für die Ölindustrie enthielten alle notwendigen Regelungen für eine positive Entwicklung, sagt Boakye. "Die Herausforderung", schiebt er aber schnell hinterher, "liegt in der Umsetzung der Regeln."
Als 2007 die ersten Ölvorkommen vor der Küste entdeckt wurden, wollte Ghana alles richtig machen und erließ nach ausführlicher Beratung im eigenen Land und mit Experten aus aller Welt ein umfangreiches Regelwerk für den neuen Wirtschaftszweig. Ein neues Gesetz zur Verteilung der Öleinnahmen etwa legt genauestens fest, wie viel davon und wofür die Regierung ausgeben darf.
Ölgeld im Präsidentenbudget
Unter anderem soll sichergestellt werden, dass die Gewinne in bestimmte Wirtschaftszweige und Regionen fließen, die in einer Prioritätenliste definiert sind. Das soll verhindern, dass sich die Volkswirtschaft Ghanas zu sehr auf die Ölbranche konzentriert und andere Wirtschaftszweige benachteiligt werden. Vor allem die Landwirtschaft, in der mehr als die Hälfte der Ghanaer arbeiten, soll gefördert werden.
Die Realität sehe leider aber anders aus, beklagt Boakye, der die Regierungsausgaben der vergangenen Jahre durchforstet hat. Er spürte etwa Ölgeld in verschiedenen Straßenbauprojekten auf - allerdings vor allem in Regionen, die bereits über relativ gute Infrastruktur verfügen und nicht in den vorgesehenen Gebieten, die diese Investitionen dringend nötig gehabt hätten. "Zudem sind Öleinnahmen direkt in das Budget des Präsidenten geflossen - sogar mehr als für die vorrangigen Gebiete wie die Landwirtschaft", kritisiert Boakye. Derartige Unregelmäßigkeiten zeugten von gefährlicher Nachlässigkeit mit den eigenen Regeln und könnten einer umfangreichen Korruption in Ghanas Ölsektor den Boden bereiten.
Einfallstor für Korruption
Dass es soweit kommen muss, glaubt Carsten Ehlers dagegen nicht. Der Afrika-Korrespondent der deutschen Außenhandelsförderung Germany Trade and Invest sieht Ghana im Vergleich zu anderen afrikanischen Staaten als politisch stabiles und geordnetes Land. Ein wichtiger Test stehe aber noch bevor, sagt Ehlers. "Die großen Geldflüsse werden erst noch kommen durch die sogenannte Local-Content-Regelung". Das Parlament in der Hauptstadt Accra berät gerade über ein solches Gesetz zur Förderung der lokalen Wertschöpfung im Rohstoffsektor. Es soll sicherstellen, dass ghanaische Unternehmen an der Ölindustrie beteiligt werden - zunächst mit fünf Prozent, später mit mindestens 60 bis 90 Prozent der Anteile an allen Unternehmen die in Ghana Öl fördern und an den Zulieferbetrieben.
Sorge macht Ehlers vor allem, dass dem Gesetzentwurf zufolge der Ölminister nach Belieben einige ghanaische Unternehmer auswählen soll, die für diese äußerst lukrativen Beteiligungen in Frage kommen. "Diese Local-Content-Regelungen haben in anderen Ländern häufig zu einer deutlichen Steigerung von Korruption und Vetternwirtschaft geführt", sagt Ehlers.
Trotz allen Schwierigkeiten glaubt Ehlers allerdings nicht, dass der sogenannte Ressourcenfluch Ghana mit voller Wucht treffen wird, wie etwa den westafrikanischen Wirtschaftsgiganten Nigeria. Dort werden Schätzungen zufolge pro Jahr bis zu sechs Milliarden Dollar aus den Öleinnahmen veruntreut oder gestohlen. "Dazu sind die Dimensionen in Ghana viel zu klein", sagt Ehlers. Ghanas Öleinnahmen lagen offiziellen Zahlen zufolge 2012 bei gut 500 Millionen Dollar. Mit etwas mehr als 110.000 Fass pro Tag produziert das Land weniger als ein Zwanzigstel der Fördermenge Nigerias, des derzeit größten Ölproduzenten Afrikas.
Appell an die Zivilgesellschaft
In dieser Größenordnung müsse Ghana auch die sogenannte Holländische Krankheit nicht fürchten, sagt Ehlers. Bei der Holländischen Krankheit sorgt der Export von Rohstoffen für eine starke Aufwertung der Währung, die dann wiederum andere Bereiche der nationalen Wirtschaft schädigt.
Inwieweit das Öl den Ghanaern tatsächlich mehr genützt oder geschadet hat, könne man jetzt noch nicht sagen, meint Wirtschaftsexperte Benjamin Boakye. Immerhin gebe es aber in Ghana das nötige Regelwerk, damit die Öleinnahmen theoretisch allen zugute kommen könnten. Die Verantwortung, dass diese Regeln auch eingehalten würden, liege aber nicht nur bei der Regierung, sagt Boakye. "Wir als Zivilgesellschaft müssen darauf achten, dass die Politiker die Gesetze einhalten."