Marshallplan für Nordafrika?
14. Juni 2011Hohe Jugendarbeitslosigkeit, fehlende Zukunftsperspektiven, wirtschaftliche Probleme - das waren einige der Ursachen für die Revolutionen in Tunesien und Ägypten. Bislang hat sich die wirtschaftliche Lage allerdings keineswegs verbessert, eher ist das Gegenteil der Fall. Für den Demokratisierungsprozess könnte das fatale Folgen haben. "Wir sind immer noch in einer frühen Phase des Übergangs. Und dieser Übergang ist teuer", sagt der Gouverneur der tunesischen Zentralbank, Mustapha Kamel Nabli bei einem Besuch in Berlin. Neben Reformen, politischem Wandel und neuen Institutionen werde auch Geld gebraucht. "Und da kommt nichts, außer ein paar Krümel, Brosamen." Tunesien brauche vor allem jetzt Hilfe und nicht erst in sechs Monaten oder zwei Jahren, so Nabli. Doch mit Finanzhilfen tun sich die Europäer schwer. Auch die Deutschen.
Die Lage sei dramatisch, Tunesien drohe ein akuter finanzieller Zusammenbruch. Es koste viel Geld, Nepotismus und Vetternwirtschaft zu zerschlagen, meint Nabli. Der Regierung fehlen die Einnahmen, gleichzeitig steigen die Ausgaben. Der Tourismussektor liegt brach, der Krieg im Nachbarland Libyen tut ein Übriges. Steuern fließen nicht, gleichzeitig steigen die Preise auch für Lebensmittel. Milliardenhilfen seien nötig, aber im Ausland fühle sich niemand zuständig.
Klare politische Botschaft wird gefordert
Solidaritätsadressen sind schön, sie wärmen das Herz, man kann sie aber nicht essen, ergänzt Hisham Yussef, Stabschef des Generalsekretärs der Arabischen Liga, der aus Kairo nach Berlin gekommen ist. Auch er will versuchen, die akuten Probleme beim Transformationsprozess mehr in das Bewusstsein der deutschen Politik zu rücken. Natürlich wisse man bei der Arabischen Liga, dass Hilfen grundsätzlich an Konditionen gebunden seien. Aber dass die Europäer erst einmal abwarten wollten, wie die Wahlen in Tunesien und Ägypten ausgehen und die Länder sich politisch entwickeln würden, das sei fatal.
"Es ist keine Frage der Summe, sondern eine Frage des politischen Willens", sagt Yussef. Im Fall Griechenland sei der politische Wille da. Man lasse das Land nicht untergehen. In Bezug auf Tunesien und Ägypten vermisst Yussef aber eine klare politische Botschaft. Das könnten für den Anfang beispielsweise Investitionsgarantien sein, so sagt er, oder die Botschaft an potenzielle Touristen, wieder nach Tunesien und Ägypten fahren zu können. Doch davon abgesehen, so kritisiert er, sei früher, zu Zeiten der alten Regime, doch auch Geld geflossen, und jetzt wo sich die Staaten in die richtige, die demokratische Richtung bewegten, bleibe der Geldhahn zu.
Deutsche Reaktion
Das sei alles nicht so einfach, entgegnet Viktor Elbling, Leiter der Abteilung für Wirtschaft und nachhaltige Entwicklung im deutschen Außenministerium. Elbling spricht von der großen Sympathie für die Menschen in Tunesien und Ägypten und davon, wie selbstverständlich es sei, dass geholfen werde. Den Menschen auf der Straße werde bereits über Stiftungen und Nicht-Regierungsorganisationen geholfen. Aber auf politischer Ebene gebe es in Tunesien und Ägypten nur Übergangsregierungen und niemand wisse zurzeit, wohin die Reise gehe. Laut Elbling muss erst geklärt werden: "Wie arbeiten wir mit den Regierungen zusammen? Wir müssen uns sehr gut überlegen, wo diese Gelder landen."
Eine Meinung, die auch die grüne Bundestagsabgeordnete Kerstin Müller vertritt. Sie war vor kurzem erst mit dem Auswärtigen Ausschuss in Tunesien und weiß daher, wie dramatisch die Lage ist. Trotzdem hält auch sie nichts davon, einfach den Geldhahn aufzudrehen. Es würde die Menschen am Ende nur enttäuschen, wenn Hilfsgelder in den falschen Kanälen landen würden, sagt sie. Stattdessen müsse dafür gesorgt werden, eine mittelständische Wirtschaft aufzubauen. Dafür könnte die EU beispielsweise Existenzgründungsfonds auflegen.
Europa sei aber vor allem gefragt, seine Märkte für Produkte aus Tunesien und Ägypten zu öffnen. "Wir wollen ja nicht, dass hier Milliarden fließen und die Länder einfach nur am finanziellen Tropf der Europäer, der USA oder der Weltbank hängen. Wir wollen doch, dass dort Ökonomien entstehen, wo die Leute Jobs finden."
Wiederaufbau-Programm für Nordafrika
Doch Ökonomien brauchen Zeit, um sich zu entwickeln. So wird im Zusammenhang mit dem Transformationsprozess in Nordafrika oft an die Deutsche Einheit erinnert und auch an die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg. Damals dauerte der wirtschaftliche Aufbau Jahrzehnte. Ein generelles Wiederaufbau-Programm könnte somit wohl auch Nordafrika den Weg in eine bessere Zukunft ebnen.
Von 1948 bis 1952 hatten die USA dem kriegsgeschädigten Westeuropa im Rahmen des sogenannten Marshall-Plans unter die Arme gegriffen. Kredite, Lebensmittel, Waren und Rohstoffe wurden damals geliefert. Diese Hilfe hatte insgesamt einen Wert, der nach heutigen Maßstäben rund 100 Milliarden US-Dollar entsprechen würde. Die grüne Bundestagsabgeordnete Müller hält es angesichts dieser Summe für unrealistisch, ein solches Programm für Nordafrika überhaupt nur ernsthaft in Erwägung zu ziehen.
G8-Zusagen liegen weit unter dem Bedarf
Beim Treffen der G8 in Deauville haben die reichsten Industrienationen der Welt Ende Mai angekündigt, 40 Milliarden Dollar für den 'arabischen Frühling' zur Verfügung stellen zu wollen. Von der Summe wollen die G8 aber nur ein Viertel selbst aufbringen, auf die EU sollen 1,24 Milliarden Euro entfallen. Keine große Summe, wenn man bedenkt, dass der Internationale Währungsfond von 160 Milliarden Euro spricht, die die Länder im Nahen Osten und in Nordafrika in den nächsten drei Jahren brauchen werden. Könnten die Revolutionen in Tunesien und Ägypten also am Ende an Wirtschaft und Finanzen scheitern?
"Wir werden es schaffen", sagt der Ägypter Hisham Yussef mit Vehemenz. Der tunesische Zentralbankgouverneur Mustapha Kamel Nabli klingt nicht ganz so sicher. "Wir wissen, dass 85 Prozent der vor uns liegenden Arbeit von uns kommen muss", sagt er. Man bitte nur um eine zusätzliche Hilfe. Denn wenn man es nicht schnell schaffe, den Menschen eine Zukunftsperspektive zu geben, dann würden die jungen Menschen gehen. Und das wäre eine Katastrophe für das Land.
Autor: Sabine Kinkartz
Redaktion: Insa Wrede