Aktenzeichen ungelöst
4. März 2013Ihr Gesicht ist zerschunden, Nasenbein und Augenhöhle sind gebrochen: das Bild der 23-jährigen Teresa Z. aus München brennt sich ins Gedächtnis. Die junge Frau hatte die Polizei gerufen, weil ein Streit mit ihrem Freund eskaliert war. Doch nicht ihr Freund hat am Ende zugeschlagen, sondern ein Polizeibeamter, aus Notwehr wie er sagt. Die Ermittlungen in dem Fall laufen noch.
In Deutschland ergehen jedes Jahr rund 2000 Anzeigen wegen rechtswidriger Polizeigewalt. Die Dunkelziffer dürfte um ein Vielfaches höher liegen. "Wir werden dieses Problem nie ganz aus der Welt schaffen", sagt der Kölner Polizeidirektor Udo Behrendes im Interview mit der DW. Polizisten geraten von Berufs wegen in aggressive Situationen. Dabei kann es immer zu Fehlern kommen. "Aber wir können uns professionalisieren." Udo Behrendes weiß, wovon er spricht. 2002 wurde er Leiter von vier Kölner Polizeiwachen. Darunter auch die berüchtigte am Stadtteil Eigelstein, an der Polizisten einen Beschuldigten so misshandelt hatten, dass er an seinen Verletzungen starb. "Wir haben uns anderthalb Jahre Zeit genommen, die Dienststelle von rechts auf links zu drehen." Am Ende dieses Selbstreinigungsprozesses sei ein neues Selbstverständnis der Beamten entstanden, eine neue Sicht auf den Polizeiberuf, so Behrendes: Wo Professionalität nicht darin besteht, der Stärkere zu sein, sondern als Konfliktmanager aufzutreten. Und wo Teamgeist nicht bedeutet, das Fehlverhalten von Kollegen zu decken.
Mangelnde Fehlerkultur
Eine solche Kultur im Umgang mit Fehlern sei in vielen Polizeibehörden allerdings nicht an der Tagesordnung, beobachtet Thomas Feltes, Polizeiwissenschaftler an der Ruhr-Universität Bochum. "Da haben wir ein strukturelles Problem. Der Umgang mit Fehlern, die im Polizeidienst genauso gemacht werden wie in jedem anderen Beruf, ist in meinen Augen verbesserungswürdig." Die Polizeichefs nähmen ihre Beamten oft reflexhaft in Schutz - noch bevor eine seriöse Aufarbeitung stattgefunden habe.
Eine Ursache dafür: Die Vorgesetzten von heute haben ihre Ausbildung vor 20 bis 30 Jahren absolviert. Und damals herrschte eine eindeutige Philosophie vor: Die Polizei macht keine Fehler. "Wir haben da ein Stück weit auch ein Übergangsproblem von einer nicht aufgeklärten Polizeiführung, die noch in alten Denkmustern verhaftet ist, hin zu einer neuen Generation, die mit einem anderen Stil an Dinge herangeht", findet Polizeiwissenschaftler Feltes. Heutzutage sind Grund- und Menschenrechte fester Bestandteil der Polizeiausbildung. "Die ist top", bekräftigt auch Alexander Bosch von der Menschenrechtsorganisation Amnesty International. Allerdings bestehe eine große Diskrepanz zwischen Ausbildung und Berufsalltag. "Da starten gut ausgebildete Polizisten in den Dienst, aber wenn sie dann auf ein Revier geraten, wo ein anderes Klima herrscht, passen sie sich häufig an."
Unsaubere Ermittlungen
Bosch kritisiert, dass Ermittlungen oft viel zu schnell eingestellt würden. "90 Prozent der Polizisten werden nicht verurteilt." Amnesty dokumentiert seit Jahren rechtswidriges Polizeiverhalten. Für ihre Berichte recherchierten die Menschenrechtler in der Vergangenheit viele Fälle genauer. "Und da haben wir festgestellt, dass Polizeibeamte gegen Polizisten nicht so sauber ermitteln wie gegen normale Bürger. Und dass die Staatsanwaltschaften diese Praxis auch durchgehen lassen."
Alexander Bosch plädiert deshalb für die Einrichtung unabhängiger Untersuchungskommissionen, wie sie in anderen Ländern wie Großbritannien längst üblich sind. Bislang hat die Politik diesen Vorschlag nicht aufgegriffen, obwohl auch die Vereinten Nationen (UN) und die Europäische Union (EU) diesen Schritt anmahnen. Der Blick ins Ausland zeigt aber auch Positives: Das Ausmaß von Polizeigewalt in Deutschland ist vergleichsweise niedrig.
Prävention statt Reaktion
Dass Deutschland dennoch besser werden kann, zeigen die Erfahrungen von Udo Behrendes. "Wir haben nicht den einen Schalter gefunden, der umgelegt werden muss, wir haben ganz viele eigentlich unspektakuläre Maßnahmen ergriffen." Dazu gehörten - neben den intensiven Gesprächen über das Selbstverständnis der Beamten - auch Fortbildungen. Die Polizisten unter Behrendes informierten sich gründlich über Problemgruppen, mit denen sie täglich konfrontiert sind, wie Junkies, Prostituierte, Rockerbanden. Das Ziel: Sie besser kennen und verstehen lernen, auch um frühzeitig reagieren zu können.
Zehn Jahre, nachdem er in Köln mit der Aufarbeitung des Themas Gewalt in den eigenen Reihen begonnen hat, sagt Udo Behrendes: "Mein Eindruck ist, dass wir viel gelassener geworden sind und sowohl die Gewalt, die uns entgegenschlägt, besser handhaben, als auch uns selbst besser unter Kontrolle haben." Ein Gewinn für beide Seiten.