Al-Abadi als Brückenbauer gefordert
15. August 2014Iraks scheidender Regierungschef Nuri al-Maliki hinterlässt einen politischen Scherbenhaufen. Der Vormarsch der sunnitischen Terrorgruppe "Islamischer Staat" (IS, vormals ISIS) geht weiter, die Kurden bauen ihre Eigenständigkeit im Nordirak aus, und die Parteien und Konfessionen sind zutiefst zerstritten. Am Donnerstagabend erklärte Al-Maliki in einer TV-Ansprache, nicht weiter für den Posten des Premiers zu kandidieren. Damit räumte er das Feld zugunsten seines Parteifreundes Haidar al-Abadi (im Artikelbild rechts mit Iraks Präsident Massum, 2. v.l.). Dieser muss die Volksgruppen und Konfessionen wieder vereinen. Das dürfte angesichts der blutigen Kämpfe und vielen Krisen schwierig werden.
Al-Maliki hatte sich lange gesträubt, auf eine dritte Amtszeit zu verzichten. Bei den Parlamentswahlen im vergangenen April hatten seine schiitische Dawa-Partei die meisten Stimmen erhalten. Als Präsident Fuad Massum ihn jedoch nicht mit der Regierungsbildung beauftragte, zog Al-Maliki vor das höchste Gericht des Landes und ließ loyale Truppen in Bagdad aufmarschieren.
Al-Malikis eigene Partei war für Al-Abadi
Doch die Stimmung im In- und Ausland hatte sich längst gegen den machtbewussten Schiiten gewendet. Die sunnitische Minderheit fühlte sich von Al-Maliki immer mehr ausgegrenzt. Viele sahen den IS offenbar als kleineres Übel als die schiitisch dominierte Regierung in Bagdad. Auch immer mehr Schiiten rückten von ihm ab. Alle Aufrufe, angesichts der Bedrohung durch den "Islamischen Staat" eine Regierung der nationalen Einheit zu bilden, ignorierte er.
Schließlich rückte auch der Iran von ihm ab. Teheran hatte Al-Malikis Machtübernahme im Jahr 2006 noch abgesegnet. Dann sprach sich sogar Al-Malikis eigene Dawa-Partei für Al-Abadi als neuen Regierungschef aus. "Das war ein Weg, einen Politiker zu finden, der die Kluft in der politischen Elite im Irak überbrücken und die Sunniten mehr einbinden kann", erklärt Theodore Karasik im DW-Gespräch. Er ist Forschungsdirektor am Institute for Near East and Gulf Military Analysis (INEGMA) in Dubai.
Rückzugsmöglichkeiten für Al-Maliki
Ali Hashem vom Nahost-Onlineportal "Al-Monitor" schreibt unter Berufung auf ungenannte Quellen, dass es mehrere Rückzugsmöglichkeiten für Al-Maliki gegeben habe. So hätte er auf den Posten des Vize-Präsidenten wechseln können. Doch Al-Maliki habe sich geweigert, das weitgehend machtlose Amt zu übernehmen.
Bei der Kandidatensuche sei Al-Abadi zunächst ein Außenseiter gewesen, meint Hashem. Andere Politiker wie Ibrahim al-Dschafari oder Ahmed Tschalabi seien prominenter gewesen. Dem Iran sei vor allem wichtig, dass ein künftiger schiitischer Premier in Bagdad die Kurden und Sunniten nicht noch weiter entfremde und die Krisen im Nachbarland verschärfe.
Für Karasik war die Auswahl Al-Abadis dennoch keine Überraschung. Der 62-Jährige sei ausgesucht worden, weil ihm die Annäherung zugetraut werde. Al-Abadi hatte während der Herrschaft von Saddam Hussein lange im Londoner Exil gelebt. Nach dessen Sturz war er im Jahr 2004 Telekommunikationsminister in der Übergangsregierung geworden.
Hauptaufgabe des künftigen Ministerpräsidenten wird Karasik zufolge sein, das Funktionieren des Staates angesichts der vielen Krisen zu sichern. Dafür habe der Dawa-Politiker in den vergangenen 48 Stunden bereits Kontakt mit Militärs aus der Zeit des einstigen Diktators Saddam Hussein aufgenommen. "Es ist sehr bedeutsam, dass er Leute aus dem früheren Regime trifft, denn er braucht ihre Unterstützung", sagt Karasik. Das Militär war unter Saddam Hussein sunnitisch dominiert. Viele frühere Offiziere stehen jetzt auf der Seite regierungsfeindlicher sunnitischer Milizen wie dem "Islamischen Staat". Unter Al-Maliki wären solche Kontakte kaum möglich gewesen. Funktionäre des gestürzten Regimes waren damals von ihren Posten verdrängt worden.
Vermögen und Familie in Sicherheit
Nach Ansicht des INEGMA-Direktors dürfte Al-Maliki der Rücktritt leichter gefallen sein, weil die Macht in der Hand eines Parteifreundes bleibt. "Er weiß, wenn jemand aus seiner Partei an die Macht kommt, dann werden seine Familie, seine angehäuften Reichtümer und ein Teil seines Einflusses nicht angetastet", sagt Karasik. Vermutlich werde der scheidende Premier weiter einige Fäden in der Hand behalten. Allerdings stehe er dann an der Seitenlinie.
In Bagdad treffen inzwischen neben Glückwünschen für den künftigen Ministerpräsidenten auch schon die ersten Mahnungen ein. So trug der einflussreiche irakische Schiitenführer Großayatollah Ali Sistani dem designierten Premier auf, gegen die Korruption zu kämpfen. Es sei außerdem dringend nötig, den Terror zu bekämpfen und die religiösen Spaltungen zu überwinden. Die US-Sicherheitsberaterin Susan Rice sagte, dass der Machtwechsel ein Schritt zu einem vereinten Irak sei. Das war vermutlich eher eine Aufforderung als eine Feststellung. UN-Generalsekretär Ban Ki Moon mahnte die Bildung einer breit angelegten Regierung an, "die sofort die drängenden Probleme" angehen könne.
Al-Abadi kündigte derweil auf seiner Facebook-Seite an, er wolle keine unrealistischen Versprechen machen. Seine erste Herausforderung wird sein, ein Kabinett zu bilden, das unter den zerstrittenen Parteien eine Mehrheit findet. Dafür hat er laut Verfassung maximal 30 Tage Zeit.