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Bedrohtes Lachsparadies

Christina Bergmann1. Juni 2012

Die Bristol Bay in Alaska ist ein einzigartiges Ökosystem. Hier gibt es die größte Wildlachsfischerei weltweit. Doch die Menschen an der Bucht machen sich Sorgen um ihre Lebensgrundlage.

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Alaska Bristol Bay (Copyright: Johnny Armstrong, Bristol Bay, 2011) Neun Flüsse fließen in die Bristol Bay, für Fische wie den Rotlachs (Sockeye Salmon) ist die Gegend ein Paradies. Hier gibt es keine großen Minen, Wasserkraftwerke oder Holzfällerei. Die Bäume in dieser Gegend in Alaska sind zu dünn. Erklärung: You have permission to use the images free of charge indefinitely.  Jonny Armstrong
Alaska Bristol BayBild: Johnny Armstrong

Hjlmar Olson sitzt in seinem großen rustikalen Holzhaus und kann sich noch erinnern, wie er als Kind Ende der 40er Jahre des letzten Jahrhunderts in der Bristol Bay Lachse fischte: mit dem Festnetz am Ufer und dem Treibnetz auf dem Meer, jeden Sommer, von Mitte Juni bis Mitte Juli. Heute wie damals gilt: Die ersten Fische dienen der Selbstversorgung, der Rest wird verkauft.

"Als wir angefangen haben, fischten wir von Montag Morgen bis Samstag Morgen", erinnert sich der alte Fischer weiter. Zu zweit waren sie sechs Tage und Nächte auf dem Boot. Jede Pause bedeutete weniger gefangene Fische. Nur am Sonntag wurde ausgeruht. "Aber dann durften wir mittwochs nicht mehr fischen und in den 50er Jahre fischten wir nur noch zwei Tage in der Woche", sagt er. "Jetzt ist das Fischen nur noch stundenweise erlaubt", erklärt Olsen.

Der Biologe Tim Sands (Foto: DW/ C. Bergmann)
"Hüter der Fische" - Der Biologe Tim Sands arbeitet für das Fischerei- und Wildschutzministerium des US-Bundesstaates AlaskaBild: DW/Christina Bergmann

Der "Hüter der Fische"

Die Bristol Bay in Alaska, westlich von Anchorage in der Bering See, ist ein einzigartiges, intaktes Ökosystem: Hier gibt es keine Wasserkraftwerke, keine großen Minen, keine Holzfällerei. Dafür aber: Wildlachse. Allein rund 36 Millionen Rotlachse kommen jedes Jahr aus dem Meer zurück in ihre Laichgründe in die neun Flüsse, die in die Bristol Bay münden. Es ist das größte Wildlachsfanggebiet der Welt, Lachsfarmen gibt es hier nicht. Dass dies so bleibt, dafür sorgt der Biologe Tim Sands. Er ist bei der Behörde für Fischerei und Wild angestellt und für die Westseite der Bristol Bay zuständig. In seinem Büro in Dillingham erklärt der Wildhüter das Motto seiner Behörde in Alaska: "Zuerst kommt der Fisch."

Jedes Jahr Mitte Juni fangen Tim Sands und seine Kollegen an, in den Flüssen, die in die Bristol Bay fließen, zu zählen: Zehn Minuten pro Stunde, je fünf Meter rechts und links der Ufer, dort, wo die Rotlachse zu ihren Laichgründen schwimmen. Daraus wird errechnet, wie viele Lachse sich schon auf den Weg gemacht haben - und wann mit der Fischerei begonnen werden darf. Denn das Prinzip lautet, so Tim Sands: "Fischen ist so lange verboten, bis wir es erlauben." So soll sichergestellt sein, dass genug Lachse ihre Eier ablegen können. Wer trotz Verbots seine Netze auswirft, muss Strafen zahlen, im schlimmsten Fall werden der Fang und das Boot kassiert.

Rotlachse in ihren Laichgründen in der Bristol Bay (Foto: Daniel Schindler, Bristol Bay, 2011)
Rotlachse in ihren Laichgründen in der Bristol Bay - Bis zu 1,5 Millionen Fische müssen ihre Eier ablegen, damit die Art erhalten bleibtBild: Daniel Schindler

Vorbildliches Fischmanagement

Die Wildhüter der Bristol Bay können auf jahrzehntelange Datensammlungen zurückgreifen. Im Wood River werden zum Beispiel seit 1954 Rotlachse gezählt. So weiß man, erklärt Tim Sands, dass hier 700.000 bis 1,5 Millionen Rotlachse ihre Laichgründe erreichen müssen, damit es genügend Nachkommen gibt. Das bedeutet aber nicht, dass Sands und seine Kollegen einfach die erste Million durchlassen und den Rest zum Fischfang freigeben. Wichtig ist, dass während des ganzen rund einmonatigen Zeitraums immer wieder Lachse ihre Laichgründe erreichen. Denn Rotlachs ist nicht gleich Rotlachs.

Das System funktioniert, weil es in Ruhe gelassen wird, erklärt Professor Daniel Schindler. Der Biologe lehrt an der Universität von Washington in Seattle und beschäftigt sich seit Jahren mit den Lachsen der Bristol Bay. Wer glaubt, es käme nur auf die Zahl der Fische an, und die könne auch mit gezüchteten Lachsen erreicht werden, irrt, sagt er. Denn durch die Zucht geht die genetische Vielfalt verloren und "die Systeme werden weniger stabil, sie boomen extrem in einem Jahr und brechen im nächsten Jahr total zusammen und so fort." Es fehlt die Beständigkeit der natürlichen Systeme, ein wichtiger Aspekt der Nachhaltigkeit. Während es im natürlichen System vier Mal in hundert Jahren weniger Fische gibt, sei dies in den Zuchtgebieten alle drei Jahre der Fall, hat Schindler errechnet. In vielen Flüssen in anderen US-Bundesstaaten sind so ganze Fischpopulationen verloren gegangen.

Lesen Sie weiter auf Seite 2: Der Bergbau bedroht das Fischparadies von Dillingham

Fisch ist alles

Für den kleinen Ort Dillingham wäre das Ausbleiben der Lachse eine Katastrophe. "Diese Gemeinde würde ohne Fischerei nicht existieren", erklärt Stadtdirektor Daniel Forster. 2500 Einwohner hat dieser größte Ort an der Bristol Bay, in dem es ein Krankenhaus, einen Hafen, einen kleinen Campus der Universität von Alaska, ein paar Hotels, Geschäfte und Konservenfabriken gibt.

Dillingham sei nicht reich, erklärt Forster, das Abwassersystem müsse dringend erneuert werden, auch die Müllhalde und der Hafen müssten saniert werden. Gerade hat man zum ersten Mal eine Fischsteuer beschlossen. 700.000 US-Dollar soll sie im Jahr an Einnahmen bringen, das seien zehn Prozent des Jahresbudgets. Durch die Fischsteuer soll die Gemeinde wenigstens etwas von dem Fischreichtum ihrer Flüsse profitieren. Denn 70 Prozent des Fischereiertrages kommt nicht den Einwohnern der Gegend zu gute, sondern gehen an Nichteinheimische.

Der frühere Bürgermeister von Dillingham, Tom Tilden (Foto: DW/ C. Bergmann)
Der frühere Bürgermeister von Dillingham, Tom Tilden, macht sich Sorgen, dass die Pebble Mine die Fischgründe verunreinigt und die Lachse ausbleibenBild: DW/Christina Bergmann

Vor ungefähr sechs Jahren, berichtet Robin Samuelson, Geschäftsführer der Bristol Bay Wirtschaftsentwicklungsgesellschaft, sei der Preis für Lachs im Keller gewesen. Dazu kam die Wirtschaftskrise und eine hohe Arbeitslosigkeit in den Dörfern der Bristol Bay. "Viele Fischer in den Dörfern sahen sich damals gezwungen, ihre Fischereilizenz zu verkaufen, um ihre Familien zu ernähren, um Kleidung und Essen für die Kinder bezahlen zu können." Fischereilizenzen sind wertvoll, denn es gibt sie nur in begrenzter Anzahl, und das Leben ist teuer in Bristol Bay, wo alles importiert werden muss. Alles, außer Fisch.

Dillingham (Foto: DW/ C. Bergmann)
2500 Einwohner hat Dillingham - während der Lachsfangsaison im Sommer leben hier drei Mal soviel MenschenBild: DW/Christina Bergmann

Bedrohung durch die Pebble Mine

Doch die Einwohner von Dillingham sehen die Fische und damit ihre Existenz bedroht: Nördlich der Bristol Bay, an einem der fischreichen Flüsse, soll eine Kupfer- und Goldmine entstehen. In der Pebble Mine liegen die weltweit größten ungeförderten Vorkommen dieser Metalle. 2001 erwarb die Firma Northern Dynasty das Gebiet, 2005 ging das Unternehmen eine Partnerschaft mit Anglo American plc ein. Seitdem ist die Mine in Planung - über oder unter Tage oder in einer Kombination von beidem. Die Vorarbeiten für einen Antrag auf Abbaugenehmigung laufen. Die Firmen versprechen in ihrem jüngsten Informationsblatt, sie seien "überzeugt, dass Pebble umweltgerecht und sozial verantwortlich entwickelt werden kann, entsprechend der in den USA und Alaska geltenden Standards."

Doch die Menschen in Dillingham sind skeptisch. Ex-Bürgermeister Tom Tilden erinnert sich an die 80er Jahre, als sie in der Bristol Bay gegen die Offshore-Ölbohrungen gekämpft haben. Die Ölfirmen hätten damals versprochen, dass man sich keine Sorgen machen müsse. "Die Antwort kam auf die allerschlimmste Weise", sagt Tilden, "mit der Ölkatastrophe der Exxon Valdez". Im März 1989 lief der Tanker im benachbarten Prince William Sund auf Grund – elf Millionen Tonnen Öl liefen ins Meer. Daraufhin wurde ein Offshore-Bohrstopp verhängt, der auch für die Bristol Bay gilt – bis 2015.

Der Ort Dillingham in Alaska hat offiziell Stellung bezogen gegen die Pebble Mine, die nördlich der Bucht geplant ist. Die Menschen fürchten, dass die einzigartige Natur zerstört wird, wenn die Kupfer- und Goldmine in Betrieb genommen wird. Noch laufen die Vorbereitungen zum Genehmigungsverfahren. (Foto: DW/ C. Bergmann)
Dillingham hat Stellung bezogen gegen die Pebble Mine, die nördlich der Bucht geplant ist.Bild: DW/Christina Bergmann

Subventionen abgelehnt

Dillingham ist offiziell gegen die Pebble Mine, sagt Stadtdirektor Daniel Forster, "obwohl die Pebble Mine Firmen uns Subventionen und Mittel für die Stadt angeboten haben." Man habe sie alle abgelehnt. Wildhüter, Fischer, Wissenschaftler – sie alle eint die Sorge, dass die Mine das Ökosystem nachhaltig verändert. Denn der Abbau bringt giftige Nebenprodukte mit sich, die in einem Becken gelagert werden sollen. Doch solch ein Becken kann Leck schlagen, zumal Bristol Bay in einem Erdbebengebiet liegt. Und der beim Abbau entstehende Staub wird sich überall absetzen. Die schädlichen Nebenprodukte der Mine aufzufangen wird vor allem wegen der vielen Wasserwege "sehr schwierig sein", so Schindler. Und allein durch den Straßenbau, der für den Betrieb der Mine notwendig ist, könnte das Ökosystem aus dem Gleichgewicht gebracht werden.

Das wäre das Ende des größten Wildlachsfanggebietes der Welt, dann nützt auch das vorbildliche Fischmanagement nichts mehr. Soweit aber wollen es viele Bewohner der Bristol Bay nicht kommen lassen. Sie protestieren gegen die Mine. Derzeit laufen Anhörungen der US-Umweltschutzbehörde EPA, die bereits eine Risikostudie erstellt hat. Das letzte Wort über die Zukunft der Bristol Bay und ihrer Bewohner ist also noch nicht gesprochen. Noch jedenfalls ist es ein einzigartiges Ökosystem und ein Paradebeispiel für nachhaltigen Fischfang.