Kinderkrankheiten der Transformationsjahre
25. November 2009Die Erfahrungen Albaniens mit der postkommunistischen Transformation lassen sich kaum mit denen der anderen Osteuropäischen Staaten vergleichen. Nach dem Zusammenbruch des Kommunismus im Jahre 1991 spielten sich innerhalb nur eines Jahrzehnts in Albanien viele Prozesse gleichzeitig ab, die in anderen osteuropäischen Ländern weit mehr als ein Jahrhundert gedauert hatten.
Desolate Infrastruktur
Das kommunistische Regime hatte ein unterentwickeltes Agrarland hinterlassen. Zwar gab es noch die Hinterlassenschaften einer staatlich forcierten Industrialisierung, aber die Anlagen waren nicht konkurrenzfähig und schrottreif. Die gesamte Infrastruktur befand sich in einem Zustand, die vergleichbar mit dem des späten 19. Jahrhunderts in Mitteleuropa war.
Carl-Dieter Spranger, damals Bundesminister für wirtschaftliche Zusammenarbeit, hatte nach seinem ersten Besuch in Albanien 1992 vernichtenden Eindrücke: "Was uns hier an katastrophalen Situationen geboten wurde ist schon beispiellos. Das relativiert vieles, was man auch in klassischen Entwicklungsländern, in Afrika und Lateinamerika besichtigen kann." Er würde "jedem deutschen Wohlstandsbürger, der meint über die Verhältnisse in Deutschland nörgeln zu können, empfehlen, sich einmal Albanien zuzumuten."
Die politische Elite des Landes hatte praktisch keinerlei demokratische Erfahrung. Es gab einen Mangel an qualifizierten Lehr- und Fachkräften, Know-how in allen Bereichen der Verwaltung, Justiz, Geschäftswelt, Technik und in den Medien war nicht vorhanden und musste erst mühsam aufgebaut werden. Die kollektive Agrarproduktion des Landes war zum Erliegen gekommen. An deren Stelle trat eine subsistenzwirtschaftliche Nutzung des Landes durch Familien und Kleinstbauern – oft mit primitiven Mitteln. Angesichts einer dramatischen Arbeitslosenquote setzte eine massive Emigration nach Italien, Griechenland und andere westeuropäische Staaten ein, aber auch nach Übersee.
Wenig Restriktionen – viel Illegalität
"Wir müssen den Menschen hier die Möglichkeit geben, die Strukturen zu verbessern, sich selbst Arbeit zu verschaffen", forderte Carl-Dieter Spranger, "sie müssen vor Ort die Probleme lösen und können die Probleme nicht in Westeuropa zu lösen beginnen.
Es waren aber, mehr als die Entwicklungshilfe, vor allem die Überweisungen der Emigranten die dafür die Voraussetzungen schufen. Die meisten Menschen gründeten selbst neue Existenzen im Transport, im Dienstleistungsgewerbe und im Bauwesen. Zudem entstand eine mittelständische Industrie, vor allem gegründet auf italienischen und griechischen Direktinvestitionen.
Albanien wurde in den ersten acht Jahren des Postkommunismus Schauplatz unregulierter Handels- und Bautätigkeit. Dadurch entstanden Freiräume, die viele Menschen unbürokratisch schnell in Lohn und Brot brachten. Die Kehrseite der Medaille waren illegale Bauten, Landflucht, eine Entvölkerung vieler Bergdörfer und die Zersiedlung des Landes.
Finanzblase platzt
Ein besonderes Phänomen der postkommunistischen Gesellschaft Albaniens war das Auftauchen sogenannter Pyramiden. Das waren Geldanlagegesellschaften, die nach dem Schneeballprinzip funktionierten und die sich verheerend auf das reformierte Staatswesen auswirken sollten. Von unerfahrenen Politikern und Medien als Verheißung des Kapitalismus gepriesen, ließen sich Privatleute dazu verführen, ihr mühsam Erspartes einzuzahlen. Bis zum Frühjahr 1997 wuchs die Zahl der Investoren stetig an, gelockt durch Zinsgewinne von über 30 Prozent im Monat.
Als die Blase zerplatzte, löste dies eine bewaffnete Revolte aus. Das Land stürzte für mehrere Monate in einen Zustand der Anarchie. Aufständische hielten im südalbanischen Vlora tägliche Demonstrationen ab mit der Forderung, ihr Geld zurückzubekommen. Außerdem erklang der Ruf nach Absetzung der Regierung.
Präsident Sali Berisha kündigte damals an, dass "wir alle gesetzlichen Mittel einsetzen, um die terroristische rote Rebellion zu bestrafen und harsch gegen die Aufständischen und Rebellen vorgehen, die Albanien und seine Demokratie bekämpfen".
Transformationsjahre prägen Gegenwart
Erst die Entsendung einer NATO-geführten militärischen Stabilisierungsmission, zusammen mit Vermittlungsbemühungen der OSZE, konnte den Rahmen für die Wiederherstellung staatlicher Ordnung und für Neuwahlen schaffen, die Berisha dann verlor.
Die rapide Entwicklung Albaniens hat dadurch aber nur einen kurzen Rückschlag erlitten. Tirana ist heute eine pulsierende Großstadt. Die Zustände sind oft noch unübersichtlich, aber aus dem Chaos der Transformationsjahre entwickelt sich immer mehr eine urbane Struktur. Berisha kehrte 2005 an die Schalthebel der Macht zurück – die Wähler, enttäuscht von der Korruption der Sozialisten, machten ihn zum Ministerpräsidenten.
Autor: Fabian Schmidt
Redaktion: Mareike Röwekamp