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Albert Schweitzer und sein umstrittenes Erbe

14. Januar 2025

Er warf seine Karriere hin, um in Afrika ein Krankenhaus zu bauen. Als "guter Deutscher" war Albert Schweitzer das Aushängeschild der jungen Bundesrepublik. Doch nicht alles an ihm war aus heutiger Sicht vorbildlich.

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Albert Schweitzer und eine Mitarbeiterin untersuchen einen Patienten.
Albert Schweitzer in seinem "Urwaldkrankenhaus" in LambareneBild: AFP via Getty Images

An seinem Namen kommt man in Deutschland bis heute nicht vorbei: Zahlreiche Straßen sind nach ihm benannt, hunderte Schulen, Universitäten und Krankenhäuser. Albert Schweitzer - Wissenschaftler, Arzt, Philosoph, Theologe, Autor, Musiker und Friedensnobelpreisträger - steht wie kaum ein anderer für gelebte Nächstenliebe. Verehrt wurde der Mann mit Tropenhelm und Schnauzbart für sein humanitäres Engagement in Afrika. Seine Urwaldklinik, die er im afrikanischen Lambarene im heutigen Gabun errichtete, brachte ihm zeitlebens den Namen "Urwalddoktor" ein.

Doch er war auch ein Kind seiner Zeit: Geboren am 14. Januar 1875 und geprägt von damals weit verbreiteten kolonialen Denkmustern: Große Teile Afrikas standen Anfang des 20. Jahrhunderts unter der Kolonialherrschaft europäischer Länder. Schweitzer selbst sah sich auf einer Art "zivilisatorischen Mission" in Afrika - und fühlte sich berufen, die Bevölkerung, die er als "Kinder ohne Kultur" bezeichnete, nicht nur gesund, sondern auch zu "zivilisierten Menschen" zu machen.

Albert Schweitzer sitzt in einem Garten.
Albert Schweitzer ist bis zu seinem Tod 1965 in Lambarene gebliebenBild: Hulton Archive/Getty Images

Kein Freund der Nazis

Seinen damaligen Ruhm hatten auch die Nationalsozialisten in Deutschland vernommen. Und obwohl Albert Schweitzer schon früh vor ihnen gewarnt hatte, versuchten sie ihn für sich zu gewinnen. Eine nach Gabun versandte und "mit deutschem Gruß" unterzeichnete Einladung von Joseph Goebbels soll Schweitzer - der seit 1924 fast ununterbrochen in Afrika weilte - höflich abgesagt und "mit zentralafrikanischem Gruß" unterzeichnet haben.

In Afrika hatte Schweitzer großen Abstand zu den Gräueln des Holocaust und hat sich auch zeitlebens nie deutlich dazu geäußert, was ihm bis heute vorgeworfen wird, sagt die Kulturwissenschaftlerin und Publizistin Caroline Fetscher. In ihrem Buch "Tröstliche Tropen" setzt sie sich mit der ambivalenten Figur des berühmten Wohltäters aus Deutschland auseinander. 

Porträt der Autorin Caroline Fetscher.
Caroline Fetscher war selbst in LambareneBild: privat

"Albert Schweitzer hatte durchaus Kenntnis von der Judenverfolgung. Gelegentlich gab es in Briefen Sätze zu 'unzivilisierten Menschen' und 'Kulturverlust'. Jedoch hat er weder protestiert noch in irgendeiner Weise auch nach 1945 mal die Stimme erhoben, obwohl Zeitgenossen dies von ihm erwartet und auch verlangt haben", so Fetscher im Gespräch mit der DW.

Rätselhaftes Schweigen

Für die Recherche zu ihrem Buch hat Fetscher sich auf die Suche nach Biografien von Schweitzers Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gemacht und erfahren, dass in seinem Krankenhaus in Lambarene damals zum großen Teil jüdische Ärztinnen und Ärzte arbeiteten, die aufgrund des Holocaust Europa hatten verlassen müssen.

"Nach dem Krieg war ein Arzt bei ihm, der sogar als künftiger Leiter des Krankenhauses im Gespräch war - Albert Schweitzer war ja schon sehr betagt - und dieser Mann hatte eine Auschwitznummer auf seinem Arm tätowiert. Schweitzer kannte dessen Geschichte und wusste von den Gräueln." Hinzu komme, dass Schweitzers Frau Helene jüdischer Abstammung gewesen sei und nur sehr knapp dem Konzentrationslager entkommen war. "Dennoch gibt es eine riesige Lücke bei ihm, über die auch seine Biografen sehr rätseln."

Gabun | Albert Schweitzer (1875-1965), mit seiner Frau und medizinischen Partnerin
1913: Albert und Helene Schweitzer bereiten ihre erste Afrika-Mission vorBild: Courtesy Everett Collection/picture alliance

Das Urwaldkrankenhaus war indes ein großer Erfolg. Schweitzer und sein Team bekämpften Krankheiten und Säuglingssterblichkeit - was den Deutschen sehr gelegen kam, schob es doch ein wenig die Verbrechen des Zweiten Weltkriegs in den Hintergrund, so die These von Caroline Fetscher. "Die Deutschen konnten die Shoah und die jüdischen Opfer verdrängen und sich für die 'armen Schwarzen' in weiter Ferne einsetzen, denen Albert Schweitzer als guter Deutscher doch so gut tat."

Keine große Überraschung also, dass zahlreiche Kinder und Jugendliche im Nachkriegsdeutschland Schweitzer als Idol betrachteten. Ganze Schulklassen schrieben ihm Briefe, sein Konterfei erschien auf Briefmarken. Zu seinem Ruf als heilender Menschenfreund trugen auch etliche heroische Zeitungsartikel und Bücher bei.

Europäische Arroganz

Die Beweggründe für Schweitzer, zu seiner Zeit Geld und Karriere über den Haufen zu werfen, scheinen zunächst tatsächlich heroischer Natur gewesen zu sein. Ein Zitat von ihm lautet: "Zuletzt ist alles, was wir den Völkern der Kolonien Gutes erweisen, nicht Wohltat, sondern Sühne für das viele Leid, das wir Weiße von dem Tage an, da unsere Schiffe den Weg zu ihren Gestaden fanden, über sie gebracht haben." Schweitzer war es ein Anliegen, wiedergutzumachen, was andere "Weiße" angerichtet hatten.

Das Problem dabei: Erneut hatten Schwarze keine Gelegenheit, ihre Situation selbst in die Hand zu nehmen. Bis heute wehren sich die Menschen in den einstigen Kolonien - und das nicht nur in Afrika - gegen die Vorstellung, dass einst unterdrückte, kolonisierte oder ausgebeutete Bevölkerungen außerhalb Europas ohne die Hilfe von Weißen keine funktionierende Gesellschaft oder Wirtschaft aufbauen könnten.

Von solch emanzipatorischen Bestrebungen wollte Schweitzer damals nichts wissen. Er pflegte zu seinen afrikanischen Mitmenschen zu sagen: "Ich bin dein Bruder. Aber ich bin dein großer Bruder." Auch als die Emanzipationsbewegungen in Afrika fortgeschritten waren, änderte sich an seiner überheblichen Haltung nicht viel: "Wir müssen uns damit einrichten, dass die schwarzen kleinen Brüder auch erwachsen werden." 

Dr. Albert Schweitzer, im Publikum bei der Nobelpreisverleihung 1952.
1952: Schweitzer erhält den FriedensnobelpreisBild: AFP via Getty Images

Braucht die Welt Menschen wie Schweitzer?

Bei aller Kritik: Albert Schweitzer wollte Gutes tun, auch wenn er die weit verbreiteten kolonialistischen Ansichten seiner Zeit vertrat. Für sein Wirken steht er in den Geschichtsbüchern und wird in diesem Jahr, in dem sich sein Geburtstag zum 150. Mal jährt, besonders gefeiert.

Die Welt kennt ihn nicht nur als "Urwalddoktor", Humanisten und Tierfreund, sondern auch als unermüdlichen Kämpfer gegen die atomare Aufrüstung im Kalten Krieg. Für sein Engagement erhielt er 1952 den Friedensnobelpreis. 

Angesichts der heutigen globalen Probleme, sind Leute, die Vorreiter-Rollen übernehmen, gefragt wie eh und je. "Wir haben solche Figuren, zu denen die Menschen aufschauen", sagt Caroline Fetscher, fügt jedoch hinzu: "Aber das sind fürchterliche Oligarchen wie Trump oder Musk, die Erstaunen und Ehrfurcht hervorrufen. Eine wirklich gute Figur hatten wir vielleicht mit Mutter Theresa oder zuletzt mit Nelson Mandela."

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Silke Wünsch Redakteurin, Autorin und Reporterin bei Culture Online