'Kein Glaubenssender'
2. Juni 2008In den Redaktionsräumen von Yol TV herrscht aufgeregtes Getriebe. Jemand trägt die Sessel für die nächste Live-Sendung herein, ein Kameramann hangelt auf einer Leiter, um die Scheinwerfer auszurichten und in einem Nebenraum übt ein älterer Mann auf seiner türkischen Laute, dem Saz, für seinen Auftritt.
Musik spielt im Programm des alevitischen Fernsehsenders Yol TV, der in einem unscheinbar wirkenden Bürogebäude im Kölner Westen untergebracht ist, überhaupt eine große Rolle. "Das sind Fernkurse, das kennen Sie sicher auch aus dem deutschen Fernsehen", erklärt der leitende Redakteur Ünsal Yücel. "Nur machen wir eben nicht Gymnastik, sondern zeigen unseren Zuschauern, wie man nach Noten auf einem Saz spielt."
Traditionelle Kulturtechniken aus Anatolien
Saz lernen vor dem Fernseher, so werden traditionelle Kulturtechniken aus Anatolien nach Europa transportiert. Das 24-Stunden-Programm von Yol TV bietet alles: Sport- und Unterhaltungssendungen, Nachrichten und Musik. Vergleichsweise selten, nämlich nur zweimal in der Woche geht es im 24 -Stunden-Programm von Yol TV um die Religion und die Glaubensätze der Aleviten. "Wir sind kein Glaubensfernsehen", betont Yücel, "Wir werden zwar von der alevitschen Föderation unterstützt, aber wir sind kein religiöses Fernsehen".
"Tatort"- Aleviten stellten Strafanzeige
Viele Deutsche haben von der Existenz der Aleviten erstmals vor ein paar Monaten erfahren, als eine Folge der Krimiserie "Tatort" wegen der Verbreitung rassistischer Klischees großen Protest erregte und sogar zu einer Strafanzeige wegen Volksverhetzung führte. Dabei leben schätzungsweise 600.000 bis 700.000 Aleviten in Deutschland, das sind immerhin 20 bis 25 Prozent der in Deutschland wohnhaften Türken. Doch dass unsere Gesellschaft alle Türken unterschiedslos als "Muslime" wahrnimmt, liegt an der offiziellen Darstellung seitens der Türkei. Die Aleviten sind dort immer noch eine benachteiligte Minderheit.
"Auch in Deutschland gibt es viele Klischeevorstellungen von Muslimen" erklärt Ismail Kaplan, der Bildungsbeauftragte des Dachverbands der Alevitischen Gemeinden in Deutschland. "Fünf Mal beten am Tag, Ramadan, Sharia."
Der Dachverband der Aleviten hat sein Quartier im selben Gebäude wie der Fernsehsender Yol TV, hier wird auch die deutsch-türkische Zeitschrift "Die Stimme der Aleviten" produziert. Durch sie will man eine möglichst intensive Öffentlichkeitsarbeit leisten, und für das friedliche Zusammenleben der Kulturen, wie es sich die Aleviten wünschen, werben.
Ohne Versöhnung kein Gebet
Eintracht und friedliche Verständigung brauchen die Aleviten auch zum Gebet, dem "Cem" und dies muss vorher in der versammelten Gemeinde rituell hergestellt werden. Das geht so: Der Gemeindevorstand ("Dede" genannt – wörtlich bedeutet es: "Großvater") oder die Vorsteherin ("Ana", für "Großmutter") fragt vor dem Gottesdienst, ob irgendwelche Zwistigkeiten unter den Anwesenden bestehen. Die müssen zuerst beigelegt werden. Denn die Konflikte unter den Menschen sind nicht von Gott gewollt, und man darf Gott nicht damit belästigen, glauben die Aleviten. Deshalb ist Versöhnung untereinander vor dem Beten unbedingt nötig.
Dass der liberale Zug gewissermaßen zum Wesenskern des Alevitentums gehört, spürt man auch in den Redaktionsräumen von Yol TV. 25 Männer und Frauen - ohne Kopftuch arbeiten Hand in Hand. In den Sendungen wird nicht missioniert und der Dialog mit anderen Religionen begrüßt. Man könnte fast sagen: Weil sie sich so gut integriert haben, werden die Aleviten bei uns so leicht übersehen.