1. Zum Inhalt springen
  2. Zur Hauptnavigation springen
  3. Zu weiteren Angeboten der DW springen
PolitikNahost

Algerien: Medien unter Druck

3. Januar 2023

Die Verhaftung des Journalisten Ihsane El Kadi wirft Licht auf den repressiven Umgang der algerischen Staatsführung mit kritischen einheimischen Medien. Diese geraten zunehmend unter Druck.

https://p.dw.com/p/4Lg80
Algerien Protestkundgebung gegen die Inhaftierung von Khaled Drareni, der über die Hirak-Bewegung berichtet hatte
Kundgebung für Pressefreiheit in Algerien, September 2020Bild: Louiza Ammi/abaca/picture-alliance

Seit Ende 2022 sitzt Ihsane El Kadi in Haft, angeklagt der "Propaganda für ausländische Parteien", wie es die algerische Staatsanwaltschaft formuliert. Zu diesem Zweck, so die Anklage weiter, soll er illegal Spenden gesammelt haben, und zwar "von Personen und Organisationen innerhalb und außerhalb des Landes." El Kadi soll so angeblich die Sicherheit des Staates wie auch die nationale Einheit gefährdet haben. Konkreter äußerten sich die Ankläger nicht.

El Kadi, Chef der liberalen Nachrichten-Website Maghreb Emergent und des Senders Radio M, gilt als kritischer Beobachter der algerischen Politik. Einen Tag vor seiner Festnahme hatte er auf Radio M die Wahrscheinlichkeit einer zweiten Amtszeit von Präsident Abdelmadjid Tebboune erörtert. Zudem hatte er öffentlich Zweifel am Erfolg der Antikorruptionsbemühungen der Regierung geäußert.

Sieben Jahre Haft möglich

El Kadi kam jetzt auch keineswegs zum ersten Mal mit der algerischen Staatsanwaltschaft in Kontakt. Bereits im Juni vergangenen Jahres war er zu einer sechsmonatigen Haftstrafe verurteilt worden. Damals hatte ein ehemaliger Informationsminister des Landes wegen eines Radio M-Beitrags über eine islamistische, in Algerien als "terroristisch" eingestufte Organisation gegen ihn Beschwerde eingelegt. Im Berufungsprozess wurde das Urteil zwar bestätigt. Das Gericht verzichtete jedoch darauf, El Kadi zu inhaftieren. Einschüchtern ließ er sich durch das Urteil nicht: "Das Land, die Bürger brauchen uns, also bleiben wir und informieren sie", erklärte er damals der Zeitung L'Orient le Jour zufolge.

Nun aber könnte dem Journalisten eine Haftstrafe von bis zu sieben Jahren drohen. Einen Tag nach seiner Festnahme wurde Medienberichten zufolge zudem der Sitz der Agentur "Interface Médias" - sie steht hinter Radio M und Maghreb Emergent - versiegelt. Auch sei Material beschlagnahmt worden.

Das Twitter-Profil von Ihsane El Kadi
Twitter-Profil des inhaftierten Journalisten Ihsane El KadiBild: twitter.com/elkadiihsane

Kritik im In- und Ausland

Internationale Menschenrechtsorganisationen haben die Inhaftierung El Kadis scharf kritisiert. El Kadi sei ständigen Schikanen ausgesetzt, die ihn zum Schweigen bringen sollen, schrieb der Journalist Khaled Drareni, Repräsentant der Organisation "Reporter ohne Grenzen" (ROG). El Kadi habe ein in der algerischen Verfassung verbrieftes Recht, sich frei zu äußern und seinen Beruf auszuüben. "Algerien hat nichts zu gewinnen, wenn es diese Politik der Medienkontrolle fortsetzt." Darüber hinaus sprach Drareni in einem Tweet von einem steigendem Druck auf die Pressefreiheit im Maghreb generell. Er selbst war wegen seiner Berichterstattung über die algerische Protestbewegung zu einer dreijährigen Haftstrafe verurteilt, dann aber vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen worden.

Auch Radio M äußerte sich zur Festnahme seines Chefredakteurs. "Ihsane El Kadi zu verteidigen heißt nicht, sich bloß mit ihm zu identifizieren", liest man auf der Webseite des Senders. "Es bedeutet, gegen einen Akt der Willkür zu kämpfen, der Teil eines allgemeinen autoritären Rückschritts ist." Zudem startete das Radio eine Kampagne zu seiner Freilassung.

 

El Kadi spiele in Algerien eine journalistisch bedeutende Rolle, erklärt der aus Algerien stammende Politikwissenschaftler Rachid Ouaissa, Professor an der Universität Marburg, im Gespräch mit der DW. "Mit Radio M und Maghreb Emergent nutzt er die wenigen medialen Freiräume, die es in Algerien überhaupt noch gibt." Die jüngsten Anschuldigungen seien "absolut aus der Luft gegriffen", so Ouaissa. "Die Regierung sieht noch in der sachlichsten Kritik eine von außen gesteuerte Anklage gegen sie", kommentiert der Politikwissenschaftler. 

Politische Unruhen

Die Verhaftung El Kadis fand vor dem Hintergrund politischer Unruhen statt, die das Land seit Jahren prägen. Ihren vorläufigen Höhepunkt fanden diese 2019 und 2020 in den Kundgebungen der Protest-Bewegung Hirak. Diese hatte sich Anfang 2019 gebildet, nachdem der damalige, inzwischen verstorbene Präsident Abdelaziz Bouteflika seine abermalige Kandidatur für das höchste Staatsamt verkündet hatte. Hirak trug erheblich dazu bei, dass Bouteflika wenige Monate später, im April 2019, zurücktreten musste. Doch das politische System hat sich entgegen aller Beteuerungen kaum geändert, die vormals regierenden Kräfte, allen voran die Generäle, sind an der Macht geblieben. Zugleich gilt die auch mit anderen Anliegen - Bekämpfung von Korruption und Klientelismus, Engagement für Demokratie und bürgerliche Freiheiten - hervortretende Hirak-Bewegung in weiten Teilen der Staatsspitze als unmittelbare Bedrohung ihrer Macht.

Die Sorgen des Machtapparats sind umso größer, als die Regierung seit Jahren keine nennenswerten Fortschritte für das Wohl der Bevölkerung vorweisen kann. Zwar hat sich die algerische Wirtschaft nach Jahren einer durch die Corona-Pandemie zusätzlich verschärften Rezension etwas erholt. So stieg das Bruttoinlandsprodukt laut Weltbank bereits 2021 aufgrund der Erholung der Erdöl- und Erdgasproduktion wieder um gut drei Prozent - dieser Kurs setzte sich auch im vergangenen Jahr fort, als die Energiepreise aufgrund des russischen Angriffs auf die Ukraine massiv stiegen.

Zudem konnte sich Algerien als potentiell bedeutender Energielieferant Europas positionieren. So waren im Sommer 2022 sowohl der damalige italienische Premier Mario Draghi als auch der französische Präsident Emmanuel Macron zu Gast in Algier, ebenso EU-Ratspräsident Charles Michel im September. Zentrales Thema ihrer Gespräche: Gaslieferungen aus Algerien.

Allerdings dürfte es eine Weile dauern, bis Algerien seine Exporte Richtung Europa substantiell steigern kann. In der ersten Jahreshälfte 2022 waren sie laut der Branchenpublikation "Middle East Economic Survey" im Vergleich zum Vorjahr sogar erst einmal um 18 Prozent zurückgegangen.

EU-Ratspräsident Charles Michel bei seinem Besuch in Algier, September 2022
"Zuverlässiger, loyaler und engagierter Partner": EU-Ratspräsident Charles Michel bei einem Besuch in Algier, September 2022Bild: picture alliance/AA

Wirtschaftlicher Druck

Für das Gros der algerischen Bevölkerung heißt das, dass sie allenfalls langfristig mit einer Verbesserung ihrer Lage rechnen können. Derzeit leben viele Algerier unter hohem wirtschaftlichem Druck. So stieg die Inflationsrate aufgrund der hohen - durch den Ukraine-Krieg zusätzlich verteuerten  - Lebensmittelpreise auf über 10 Prozent. Darunter zu leiden haben vor allem die ärmsten Algerier: Bei den schwächsten 40 Prozent der Bevölkerung machen die Lebensmittelkosten der Weltbank zufolge mehr als die Hälfte der gesamten Haushaltsausgaben aus. Auch im Bildungsbereich kann die Regierung kaum Erfolge vorweisen: Die Analphabeten-Quote lag 2022 nach Angaben der Wirtschaftsinformationsagentur Germany Trade and Invest (GTAI) bei über 18 Prozent. Insbesondere viele junge Algerien versuchen weiterhin, das Land Richtung Europa zu verlassen.

Vor diesem Hintergrund gehe das Regime verschärft gegen Aktivisten und Oppositionelle vor, sagt Rachid Ouaissa: "Und angesichts des Umstandes, dass im kommenden Jahr Wahlen stattfinden, steigert sich seine Nervosität zusätzlich." Deswegen agiere es auf Kritik immer gereizter.

Kundgebung der Protestbewegung Hirak in Algiers, März 2021
Unmut: Kundgebung der Protestbewegung Hirak im März 2021Bild: Mousaab Rouibi/AA/picture alliance

"Die Dämonen kehren zurück"

Das bekommen vor allem Journalisten zu spüren - der inhaftierte Ihsane El Kadi ist hier nur ein Beispiel von vielen.  "Die Regierung hat die gegen sie gerichteten Proteste der Hirak-Bewegung und die Corona-Pandemie zum Anlass genommen, die Pressefreiheit noch stärker einzuschränken", stellen die "Reporter ohne Grenzen" (ROG) in einer Mitteilung fest. "Strafverfolgung, willkürliche Festnahmen und Behördenschikanen machen unabhängigen Journalismus in Algerien riskant." Zudem hielten sich viele Medien mit politischer Kritik zurück, um keine Werbeanzeigen zu verlieren, die ihre wirtschaftliche Basis bildeten.

Bereits im vergangenen April sah sich die liberale französischsprachige algerische Tageszeitung Liberté dazu gezwungen, ihr Erscheinen einzustellen. Offiziell geht deren Ende zwar auf eine unternehmerische Entscheidung des Verlegers zurück. Die Redaktion drückte in ihrem Abschiedstext allerdings ihr Erstaunen über die Entscheidung und zugleich ihre Sorge vor einer Rückkehr überwunden geglaubter Zeiten aus. "Die Dämonen von gestern kehren in dem Maße mit Macht zurück, wie die Räume der Moderne verschwinden", hieß es seinerzeit in dem Text. Von einer freien Presse könne man nicht mehr sprechen, sagt auch Politikwissenschaftler Rachid Ouaissa. Ähnlich der Befund von ROG: In der jährlich veröffentlichten Rangliste der Pressefreit der Organisation befindet sich Algerien weit unten auf Rang 134 bei insgesamt 180 untersuchten Ländern und Gebieten.

Frankreichs Sühne

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika