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PolitikNahost

Algerien und Marokko: Zwist unter Nachbarn

Kersten Knipp | Imane Mellouk
25. August 2021

Algerien hat die diplomatischen Beziehungen zu Marokko abgebrochen. Die Spannungen zwischen beiden Ländern reichen weit zurück und sind zuletzt noch einmal zusätzlich gestiegen. Unlösbar ist die Krise aber nicht.

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Flaggen | Algerien und Marokko | Symbolbild
Bild: daniel0Z/Zoonar/picture alliance

Schwierig sind sie seit langem, doch nun haben sich die algerisch-marokkanischen Beziehungen nochmals verschlechtert: Am Montag kündigte Algerien seine diplomatischen Beziehungen zu dem Nachbarland auf.

"Algerien hat beschlossen, die diplomatischen Beziehungen zu Marokko mit sofortiger Wirkung abzubrechen", erklärte der algerische Außenminister Ramtane Lamamra am Dienstag auf einer Pressekonferenz.

Zur Begründung dieses Schrittes erhob Lamamra schwere Vorwürfe gegen das Königreich. Die marokkanischen Sicherheitsdienste führten "einen verabscheuungswürdigen Krieg gegen Algerien, sein Volk und seine Führer", erklärte er.  Immer wieder habe Marokko "feindselige Akte" gegen Algerien unternommen.

Das marokkanische Außenministerium reagierte unmittelbar. Man bedauere die "völlig ungerechtfertigte, aber erwartete" Entscheidung Algeriens, hieß es in einer Erklärung des Ministeriums. Man verurteile aber die algerische "Logik der Eskalation" und weise "die ihr zugrundeliegenden falschen, ja absurden Vorwände" zurück.

Vorhergehende Spannungen

Dem Eklat dieser Woche waren in den vergangenen Wochen deutlich vernehmbare Spannungen vorausgegangen. So hatte Außenminister Lamamra Äußerungen seines israelischen Amtskollegen Jair Lapid verurteilt, der sich am 12. August zu einem offiziellen Besuch in Casablanca aufhielt. Dort hatte Lapid seine Besorgnis über "die Rolle Algeriens in der Region, seine Annäherung an den Iran und seine Kampagne gegen die Aufnahme Israels als Beobachtermitglied in die Afrikanische Union (AU)" zum Ausdruck gebracht. Der algerische Chefdiplomat Lamamra bezeichnete Lapids Worte daraufhin als "unsinnige Anschuldigungen und kaum verhüllte Drohungen".

Algerien bricht die Beziehungen zu Marokko ab
Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu Marokko: der algerische Außenminister Ramtane Lamamra erläutert auf einer Pressekonferenz am 24. August in Algier den Schritt seiner Regierung.Bild: Hamza Zait/AA/picture alliance

Der Besuch Lapids in Marokko dürfte der algerischen Regierung letztlich aber durchaus entgegengekommen sein, sagt die Politologin Isabelle Werenfels von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. "In Algier will man sich als einen der wenigen arabischen Akteure profilieren, der noch an der Seite der Palästinenser steht und die israelisch-arabische Normalisierungsbestrebungen nicht mitmacht." Diese Haltung komme bei großen Teilen der algerischen Bevölkerung sehr gut an. "Insofern ist das auch ein wichtiges innenpolitisches Signal in einer Zeit, in der die algerische Regierung innenpolitisch alles andere als beliebt ist", so Werenfels im DW-Interview.

Algerisches Konfliktmanagement

Im Inneren sieht sich Algerien zahlreichen Problemen gegenüber. Seit Jahren protestierten die Mitglieder der sogenannten "Hirak"-Bewegung gegen Missstände im Land, allen voran die Korruption. Auch machen sie die ökonomische Perspektivlosigkeit zum Thema, unter der viele Algerier leiden. Nach einem längeren, durch die Corona-Pandemie bedingten Rückzug in die digitale Sphäre gingen die Mitglieder der Bewegung im Juni anlässlich der vorgezogenen Parlamentswahlen wieder auf die Straße. Sie warfen der Regierung vor, weiterhin keine ernsthaften Reformbemühungen zu unternehmen.

Insofern dürfte die Regierung versucht sein, durch den Konflikt mit Marokko den Unmut nennenswerter Bevölkerungsanteile auf einen äußeren Feind zu lenken, sagt Werenfels. Zugleich setze der Bruch der diplomatischen Beziehungen zu Marokko aber auch außenpolitische Zeichen. Die Regierung gebe zu verstehen, dass sie auf die außenpolitische Bühne zurückgekehrt sei: "Algerien war über sehr lange Zeit - mindestens ein Jahrzehnt, eher mehr - diplomatisch von der Bildfläche verschwunden. Und nun versucht der algerische Außenminister Ramtane Lamambra insbesondere mit Blick auf den afrikanischen Kontinent zu demonstrieren: Wir sind wieder da, und wir sind ernst zu nehmen."

Minderheitengruppen als politische Trumpfkarte

Entzündet hatten sich die marokkanisch-algerischen Spannungen zuletzt auch an der Diskussion um Minderheitengruppen. Beide Länder werfen einander vor, Separatistenbewegungen im jeweils anderen Land zu unterstützen. "Die marokkanische Provokation erreichte ihren Höhepunkt, als ein marokkanischer Delegierter bei den Vereinten Nationen die Unabhängigkeit des Volkes der Region Kabylei forderte", sagte Lamamra am Dienstag.

Algerien Flüchtlingslager der Sahrauis
Schwelt seit Jahrzehnten: der Westsaharakonflikt. Blick auf ein Flüchtlingslager der Sahrauis in AlgerienBild: DW/Hugo Flotat-Talon

Tatsächlich hatte der stellvertretende Leiter der marokkanischen Delegation bei den Vereinten Nationen, Abderrazzak Laassel, anlässlich des 70. Jahrestags der Gründung der Vereinten Nationen im Juli 2015 seine Solidarität mit den in der Kabylei lebenden Berbern erklärt. In den Medien ist allerdings auch zu lesen, dass ein algerischer Diplomat während derselben Sitzung auf den territorialen Status der Westsahara zu sprechen kam.

Von der Westsahara zur Kabylei

Die Westsahara steht am Anfang des Konflikts zwischen den beiden Ländern. Erstmals hatte Marokko seine diplomatischen Beziehungen zu Algerien im März 1976 gekappt, nachdem die Regierung in Algier die "Demokratische Arabische Republik Sahara" anerkannt hatte - die politische Vertretung der Region, auf die Marokko seinen Anspruch ein Jahr zuvor durch den so genannten "Grünen Marsch" geltend gemacht hatte. Damals zogen rund 350.000 Marokkaner in das Gebiet ein und ließen sich größtenteils dort nieder. In den folgenden Jahren nahm Algerien rund 170.000 Flüchtlinge aus der Westsahara, die sogenannten "Sahrauis", auf.

Im Zuge der in den vergangenen Jahren weltweit intensivierten Diskussion um Flüchtlinge und Minderheiten haben nun offenbar auch Algerien und Marokko das Thema jeweils für sich entdeckt. Wenn Marokko sich für die Berber in der Kabylei einsetzt, dürfte das auch eine Art Retourkutsche für das algerische Engagement für die Einwohner der Westsahara sein.

Infografik Karte Algerien Region Kabylla DE

Über die marokkanische Rhetorik zugunsten der algerischen Berber dürfte die Regierung in Algier auch insofern wenig glücklich sein, als sie die Einheit des algerischen Territoriums durch die "Bewegung für die Autonomie der Kabylei" infrage gestellt sieht. Immer wieder war es dort zu Protesten gekommen, auf die die Zentralregierung teils mit Härte reagierte. Nach den verheerenden Waldbränden im August 2021 mit mindestens 90 Toten beschuldigte die Regierung die Autonomiebewegung, für die Brände verantwortlich zu sein. Stichhaltige Beweise konnte sie dafür aber bislang nicht vorlegen.

Waldbrände in Algerien
Gigantische Umweltkatastrophe, unklare Verantwortung: Waldbrände in Algerien im Sommer 2021Bild: Abdelaziz Boumzar/REUTERS

Zugleich könnte der algerischen Regierung aber durchaus zupass kommen, wenn marokkanische Diplomaten Verständnis für  die Autonomiebewegung zeigten, sagt Isabelle Werenfels. "Das gibt ihr die Möglichkeit, noch härter gegen sie vorzugehen als bislang."

Dialog möglich, aber schwierig

Wie geht es weiter im Verhältnis der beiden Länder? Nach Einschätzung von Politikwissenschaftlern sowohl aus Algerien wie auch Marokko lässt sich die Krise absehbar beilegen. Algerien habe angesichts der "feindseligen Aktionen" Marokkos bedauerlicherweise zwar "keine andere Wahl" gehabt als die diplomatischen Beziehungen aufzuheben, so der Politologe Tawfik Boukaida gegenüber der DW. Doch die Gesprächskanäle bleiben offen. Algerien spiele derzeit zwar die "Karte der Eskalation", sagt umgekehrt der marokkanische Politologe Ahmed Noureddine im DW-Gespräch. Doch auch er hält einen Dialog grundsätzlich für möglich, wenn auch schwierig.

DW Kommentarbild | Autor Kersten Knipp
Kersten Knipp Politikredakteur mit Schwerpunkt Naher Osten und Nordafrika