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Gesellschaft

Alina. Bukarest. Courage

Gilda-Nancy Horvath
3. Februar 2021

Für ihre Rolle im Film "Gipsy Queen" wurde die in Rumänien geborene Schauspielerin Alina Serban mit dem Deutschen Schauspielpreis 2020 ausgezeichnet.

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Deutschland Berlin | Deutscher Schauspielpreis 2020 | Alina Serban
Alina Serban bekommt den Deutschen Schauspielpreis 2020Bild: Eventpress Radke/picture alliance

"Ich bin nicht mit einem Silberlöffel im Mund geboren worden. Ich spreche mit der Legitimität jener Menschen, die bei Null beginnen mussten. Das ist die Quelle meiner Stärke und meines Antriebs."

Als Schauspielerin, Autorin und Regisseurin hat sich Alina Serban gegen alle Widrigkeiten durchgesetzt, in Anbetracht dessen, dass sie als Romni in Rumänien geboren wurde. Sie hat bereits einen langen Weg hinter sich und bezieht ihre Prinzipien von Verantwortung und Achtsamkeit in jeden Aspekt ihres Lebens und Wirkens ein:

"Ich engagiere mich nur für Dinge, wenn ich fühle, dass es das auch wert ist - nicht nur für mich, sondern für die Welt, für die Menschheit. Bevor ich etwas beginne, stelle ich mir selbst folgende Fragen: 'Erzeuge ich Schaden damit?' 'Wem kommt es zugute?' und 'Warum sollte ich diese Story erzählen?'."

"Ich bin nicht nur ein Label"

Alina folgte diesen Prinzipien bereits in ihren frühen Zwanzigern. Dies war wegweisend, aber nicht einfach, denn es implizierte das andauernde Hinterfragen von Mustern der Wahrnehmung und der Marketing-Regeln.

Frankreich Paris | Schauspielerin | Alina Serban
Schauspielerin, Autorin und Regisseurin Alina Serban während eines Fototermins in Paris, 2019Bild: Lionel Bonaventure/AFP/Getty Images

"Ich bin nicht nur ein Label. Ich bin viele Geschichten, die ich immer noch entdecke. Wir Menschen sind keine abgeschlossenen Dinge. Wir sind auf einem kontinuierlichen Pfad des Wachsens und der Veränderung - und es ist hart, immer auf ein Etikett reduziert zu werden, das auf meiner Stirn haftet."

Alina ist resilient und stur, wenn es um ihre Prinzipien geht. Oft musste sie Angebote ablehnen oder wurde abgelehnt, weil sie immer ihre Vision einer achtsamen und verantwortlichen Art des Filmemachens verteidigte. Sie stand zu dieser Vision und erarbeitete sich den Respekt der Menschen in ihrer Umgebung:

"Ich erzähle Geschichten, die ich am eigenen Leib erlebt habe. Ich nahm nicht die Geschichten anderer Menschen. Ich werde uns niemals verkaufen. Ich habe nicht versucht, uns zu exotisieren. Ich spreche mit Menschlichkeit über unsere Einzigartigkeit - ohne die vielen Stereotype über uns zu bestärken."

Im Jahr 2020 wurde Alina vielen Menschen bekannt. Als Hauptdarstellerin des Überraschungserfolgs "Gipsy Queen"  konnte sie ein breites Kino-Publikum mit ihrer Darstellung einer alleinerziehenden Mutter aus Rumänien überzeugen, die sich als Boxerin ihren Weg in Deutschland erkämpft. Während ihr Gesicht plötzlich auf vielen Titelseiten erschien und ihre persönliche Geschichte benutzt wurde, um anderen Frauen in der Filmbranche Hoffnung zu geben, beschreibt Alina ein anderes Bild, als man erwarten würde:

Filmstill Gipsy Queen mit Alina Serban
Hauptdarstellerin Alina Serban im Überraschungserfolg "Gipsy Queen"Bild: Imago Images/Prod.DB/L. Gnaiger

"Ich kann nicht behaupten, dass ich eine Gewinnerin in dieser Filmbranche wäre. Als Schauspielerin werde ich sowieso immer für Klischeerollen ausgesucht, als Autorin und Regisseurin kämpfe ich andauernd mit der Finanzierung und dem Vertrieb sowie dem Widerstand gegen unzählige Glasdecken im System."

"Ich wollte mich der Zensur nicht fügen"

In ihrem aktuellen Kurzfilm erzählt Alina ihre eigene Sicht über einen blinden Fleck in der rumänischen Geschichte. Nicht viele Menschen wissen über die dunklen Zeiten Bescheid, als dort Roma in Sklaverei leben mussten. Bereits vor einigen Jahren fand Alina einen Zeitungsartikel, der vom Schicksal eines kleinen Jungen handelt, der für das Ende der Sklaverei sein Leben opferte. Die in der Zeitung zitierte Erinnerung basiert auf einer weißen Perspektive und so beschloss Alina, ihre eigene Version davon zu erzählen.

Damals verarbeitete sie die Geschichte zuerst in einem Theaterstück. Die rumänischen Institutionen waren nicht sehr erfreut über ihren Plan, erzählt sie. Das Kulturministerium zensierte sie und machte ihr den "Vorschlag", das Wort "Dienerschaft" anstatt "Sklaverei" zu verwenden. Die Veröffentlichung des Stückes war gefährdet, denn man wollte ihr den Gebrauch des Begriffs sowohl auf Postern als auch in der Pressemitteilung verbieten.

"Ich war allein in dieser Situation und trotzdem wollte ich mich der Zensur nicht fügen. Ich baute also das Original-Schreiben, in dem Druck auf mich ausgeübt wurde, in das Theaterstück ein."

Das Stück wurde auch auf Youtube veröffentlicht. Doch Alinas Protest endete nicht damit. Bei der Pressekonferenz projizierte sie das Wort "Sklaverei" an die Wand, anstatt es auf die Poster zu schreiben. Sie organisierte Manifest-Performances auf der Straße, bei denen Roma-Frauen mit Geschichtsbüchern posierten. Sie hatten einzelne Worte auf ihre Gesichter geschrieben, die zusammengelesen Folgendes ergaben: "Wer erzählt eigentlich die Geschichte? Alina Serban, Historiker und das Volk der Roma denken, dass der Ausdruck 'Sklaverei' korrekt ist."

(Alina Serban bei der Verleihung des Tajsa-Preises, ERIAC, Berlin 2019 - Dankesrede ab 6'12")

Alina sagt heute darüber, dass sie normalerweise sehr fokussiert auf das Arbeiten und die Resultate sei, dies aber Wege waren, um zu zeigen, dass sie die Zensur nicht akzeptierte. Heute ist Alina schon weit über dieses Theaterstück hinaus und hat einen Kurzfilm zu diesem Thema produziert. Es ist keine Überraschung, dass Alina sich selbst um die Förderungen kümmerte und dass sie keine Unterstützung durch den Staat dafür erhielt. Alina fühlt sich, als hätte sie dem Film noch keine ausreichende Stimme und Plattform geben können - zumindest nicht so, wie es das Werk verdient hätte.

"Für große Veränderungen brauchen wir ein System, dass eine solche Veränderung überhaupt zulässt. Viele Roma heutzutage haben immer noch kein fließendes Wasser, sind obdachlos, leben auf der Straße. Während der COVID-Pandemie ist der Rassismus sogar noch stärker geworden - das konnte ich fühlen. Ich erhalte eine Absage nach der anderen und weine mir die Augen aus. Ich weiß, dass in diesen Zeiten die Budgets für Kunst und Kultur noch kleiner werden."

Während Sie an ihren Film-Sets mit COVID und den Unsicherheiten der Zukunft zu kämpfen hat, stellt sie Dankbarkeit in den Mittelpunkt ihres Lebens:

"Der Deutsche Filmpreis war sehr wichtig für mich - besonders, wenn man bedenkt, dass der Film zum Zeitpunkt der Nominierung noch gar nicht veröffentlicht war. Viele Dinge sind so wundervoll, dass sie mir fast schon surreal erscheinen."

Alina lebt im Moment. Statt einem fixen Plan zu folgen, geht sie lieber ihren eigenen Weg:

"Du musst der Regisseur deines Lebens sein. Niemand ist immer fröhlich. Wir sind alle nur Menschen. Das Allerwichtigste ist jedoch, niemals, niemals aufzugeben."

Auf romblog.net ist dieses Portrait dreisprachig publiziert: Deutsch, Englisch und Romanes.