Ukraine überschattet ASEM
17. Oktober 2014Die Staats- und Regierungschefs aus 53 europäischen und asiatischen Staaten wollten beim 10. ASEM-Gipfel eigentlich über eine Verbesserung der Wirtschaftsbeziehungen und gemeinsame poltische Interessen sprechen. Die Journalisten, vor allem die aus Europa, interessieren sich aber vornehmlich für Gespräche zur Ukraine-Krise, die in verschiedenen Formationen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin geplant sind. Die vorformulierten Gipfelreden zu nachhaltiger Kooperation, zu Freihandel und euro-asiatischer Freundschaft werden wie geplant an einem riesigen runden Tisch in der ganz in weiß gehaltenen Messehalle in Mailand abgespult. Die Gespräche am Rande des Gipfels, auf den Gängen und bei bilateralen Begegnungen von Staatschefs drehen sich oft nicht um das offizielle Gipfelprogramm. Es geht mehr um den Ukraine-Konflikt, territoriale Streitigkeiten im südchinesischen Meer, die Bekämpfung der Terrorgruppe Islamischer Staat und vieles andere mehr.
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat weitere Themen im Gepäck, als sie beim ASEM-Gipfel eintrifft: "Da geht es natürlich um wirtschaftliche Fragen. Es geht aber genauso um sichere Seewege, um die Zusammenarbeit bei großen Katastrophen, wie das zum Beispiel Ebola ist. Eine wirkliche Heimsuchung für die Menschen in Westafrika. Wie können wir gemeinsam helfen?"
"Chancen für europäische und asiatische Firmen"
Bindende Beschlüsse gibt es bei den alle zwei Jahren stattfindenden ASEM-Gipfeln nicht. Viele Regierungen werben für Investitionen im eigenen Land. Dazu gibt es extra ein Wirtschaftsforum, an dem auch 300 Top-Manager aus Europa und Asien teilnahmen. Schnell ist man sich einig, dass der Handel zwischen den Kontinenten weiter ausgebaut werden soll und möglichst viele Freihandelsabkommen zwischen der EU und asiatischen Partnern geschlossen werden sollten.
Der malaysische Premierminister Mohammed Najib Razak sagte, Asien habe sich gegenüber dem ersten ASEM-Treffen im Jahr 1996 grundlegend verändert. Damals waren die aufstrebenden Volkswirtschaften auf Europa angewiesen, heute begegne man sich auf Augenhöhe. Wirtschaftlich schließe Asien dank weiteren Wachstums zu Europa und auch den USA auf, so Razak. "Wirtschaftliches Wachstum bietet neue Möglichkeiten für Investitionen. Mehr und mehr asiatische Unternehmen wollen jetzt in Europa investieren. Gleichzeitig schreitet die wirtschaftliche Integration in Asien voran, die europäischen Unternehmen aufregende neue Chancen eröffnet", sagte der Regierungschef aus Malaysia. Der japanische Ministerpräsident Shinzo Abe erläuterte, wie er sein Land aus der jahrelangen Stagnation führen will. Auch er setzt auf mehr Freihandel und interne Reformen. "Wir werden alle Anstrengungen unternehmen, um so ein wirtschaftliches Partnerschaftsabkommen mit Europa abzuschließen", kündigte Abe an. Japan werde zum Beispiel das Import-Verbot für Reis aufheben und europäische Anbaumethoden nach Japan holen, um die Erträge zu steigern.
Europa verspreche sich von einer noch engeren Zusammenarbeit mit Asien viel, sagte der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb. "Es ist sehr wichtig, dass wir eine Brücke zwischen Europa und Asien bauen. Wir werden über Klimawandel und die Wirtschaft sprechen." Stubb räumte aber ein, dass die beherrschende Figur des Gipfels eigentlich der russische Präsident Wladimir Putin sei, der erst am Abend nach Mailand anreiste. "Natürlich werden wir am Rande des Gipfels auch viel Zeit der Krise in der Ukraine widmen", so Stubb.
Ukraine-Krise überschattet den Gipfel
Wladimir Putin wollte in Mailand auch mit dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zusammentreffen. In der italienischen Stadt begann am Morgen ein Gespräch Putins und Poroschenkos mit Bundeskanzlerin Angela Merkel, dem italienischen EU-Ratsvorsitzenden Matteo Renzi, dem französischen Staatspräsidenten Francois Hollande, dem britischen Premier David Cameron und weiteren EU-Vertretern. Merkel war noch in der Nacht mit Putin zu einem zweieinhalbstündigen Vorbereitungsgespräch zusammengekommen.
Die Positionen in der Ukraine-Gesprächsrunde sind ziemlich klar. Die EU-Vertreter fordern, dass der russische Präsident dem im August vereinbarten Friedensplan in der weißrussischen Hauptstadt Minsk Taten folgen lässt. "Hier ist es vor allem die Aufgabe Russlands, deutlich zu machen, dass der Minsker Plan wirklich eingehalten wird. Leider gibt es hier noch sehr, sehr große Defizite, aber es wird wichtig sein, hier auch den Dialog zu suchen", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel.
Der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb beklagte, dass der Waffenstillstand zwischen den pro-russischen Separatisten und den ukrainischen Regierungstruppen in der Ost-Ukraine zu brüchig sei. "In dieser Art von Konflikten ist es sehr wichtig, zu reden. Die schlechte Nachricht ist natürlich, dass die Waffenruhe nicht stabil ist. Es gab mehr als 300 Tote. Die Grenzen werden nicht von der Ukraine kontrolliert", sagte Stubb vor Journalisten in Mailand. Er fürchte außerdem, dass die russisch annektierte Krim-Halbinsel ein "eingefrorener Konflikt" werde, für den es für viele Jahre keine Lösung geben wird.
Putin spielt mit Gashahn
Der russische Präsident Wladimir Putin schlug schon vor seinem Eintreffen in Mailand scharfe Töne an. In Serbien warf er dem Westen "Erpressung" durch die verhängten Sanktionen vor. Er drohte nach Agenturberichten damit, die Gasversorgung nach Europa zu drosseln, sollte die Ukraine für sich Gas aus den Transitleitungen entnehmen. Die Ukraine und Russland verhandeln seit Monaten über offene Gasrechnungen. Russland hat seine Lieferungen an die Ukraine vorübergehend eingestellt. Trotzdem sollte man in Europa jetzt nicht in Panik verfallen, warnte der finnische Ministerpräsident Alexander Stubb. "Es gibt eine gegenseitige Abhängigkeit. Bedenken Sie, dass 30 Prozent der europäischen Energieimporte aus Russland kommt. 80 Prozent der russischen Exporte von Energie gehen nach Europa. 50% des russischen Staatshaushaltes hängt von den Einnahmen aus Energieexporten ab. Es ist also im russischen Interesse, die Energie weiter fließen zu lassen."
Russland weist Vorwürfe, es fördere durch eigene Soldaten oder mit Ausrüstung für pro-russische Rebellen den Bürgerkrieg im Osten der Ukraine, stets zurück. Deutschland lehnt eine Lockerung der EU-Sanktionen gegen Russland derzeit ab. Der von Wladimir Putin angekündigte Abzug russischer Truppen an der ukrainischen Grenze, reiche dafür noch nicht aus, hieß es von EU-Diplomaten. Am Vormittag hatten bereits ukrainische Femen-Aktivistinnen mit nackten Brüsten vor dem Mailänder Dom gegen die Politik Putins demonstriert.