Alle vier weiter - gut auch für den DFB?
10. Dezember 2020"Es ist wichtig, dass ein Großteil der Spieler auch international spielt", sagte Bayern-Trainer Hansi Flick nach dem 2:0 seiner Mannschaft gegen Lokomotive Moskau im letzten Gruppenspiel der Champions League. Und er meinte damit nicht nur seine Münchener Schützlinge. Denn mit ihnen hatten auch die drei anderen Bundesliga-Klubs das Achtelfinale erreicht: Borussia Dortmund, RB Leipzig und Borussia Mönchengladbach.
Wichtig ist diese internationale Praxis auch für die Nationalmannschaft, so Flick: "Das wertet eine Mannschaft auf." Flick sollte es wissen, stand er doch beim WM-Triumph von Brasilien an der Seite von Bundestrainer Joachim Löw. Ein Hoffnungsschimmer also im Hinblick auf die Europameisterschaft im kommenden Jahr?
Vier Mannschaften unter den besten 16 in Europa - was sagt das aber tatsächlich über den Zustand des deutschen Fußballs aus? Welche Rolle spielten die DFB-Aspiranten tatsächlich in der Champions League?
Bayerns wichtigster Mann im Abseits
Branchenprimus FC Bayern setzt schon seit Jahren auf einen Kern aus deutschen Nationalspielern und ausländischen Stars - wobei er seit den 2000-er-Jahren vor allem auf Importe aus Frankreich zurückgreift. Die Achse des Teams bilden der momentan unumstrittene Torwart Manuel Neuer, der wiedererstarkte Jerome Boateng, der nach einer Knieverletzung noch nicht einsatzbereite Joshua Kimmich, neben ihm Leon Goretzka, Thomas Müller im zentral offensiven Mittelfeld sowie die beiden Außen Serge Gnabry und Leroy Sane. Dazu kämpft Niklas Süle um einen Platz in der Innenverteidigung.
Bis auf Sane und Süle zeigen alle Genannten seit Monaten konstant gute bis herausragende Leistungen. Wobei Süle immerhin mit einem Tor gegen Moskau auf die Kritik an seiner Fitness antwortete. "Das hat ihm gut getan und hat uns alle gefreut"., kommentierte Flick die Leistung seines manchmal mit Gewichtsproblemen kämpfenden Abwehr-Hünen. Besonders erfreut sich Flick aber an den Auftritten von Thomas Müller. National wie auch in der Champions League ist er unverzichtbarer Antreiber, Motivator, Vorbereiter und Torschütze - bei Löw aber spielt er bekanntermaßen keine Rolle mehr.
Anteil der für den DFB spielberechtigten Profis am Erreichen des Achtelfinales: 75 Prozent
Reus und Brandt nur Randfiguren
Auch bei Borussia Dortmund ist es vor allem ein vom Bundestrainer Aussortierter, der den Laden zusammenhält: Mats Hummels gibt die Kommandos in der Abwehr und brilliert mit seinen Außenrist-Pässen in die Tiefe wie eh und je. Julian Brandt, Nico Schulz, Mo Dahoud, Emre Can und Marco Reus, denen Löw mehr oder weniger regelmäßig sein Vertrauen schenkt, kommen beim BVB in der Königsklasse dagegen eher unregelmäßig zum Einsatz. So durfte Brandt zwar in jedem der sechs Spiele auf den Platz, bestritt dabei aber nur 194 von möglichen 540 Minuten. Und Marco Reus brachte bei sechs Auftritten nicht eine Torbeteiligung zustande.
Anteil der für den DFB spielberechtigten Profis am Erreichen des Achtelfinales: 20 Prozent
RB Leipzig ist nach dem Wechsel von Timo Werner zum FC Chelsea aus DFB-Sicht etwas uninteressanter geworden. Im wichtigen letzten Gruppenspiel der Champions League gegen Manchester United stand kein einziger Spieler mit deutschem Pass in der Startelf, lediglich Marcel Halstenberg wurde in der Schlussphase eingewechselt, um das 3:2 abzusichern. Jonas Klostermann und Benjamin Henrichs, beide ebenfalls schon mit Länderspiel-Erfahrung, fehlten verletzt.
Anteil der für den DFB spielberechtigten Profis am Erreichen des Achtelfinales: 5 Prozent
Gladbach mit gutem Angebot
Den vielleicht verheißungsvollsten Kandidatenpool findet der Bundestrainer derzeit möglicherweise in Mönchengladbach. Matthias Ginter, bei der WM 2014 nur Tourist im Kader, hat sich längst zum Führungsspieler in der Abwehr gemausert, im DFB-Team konnte er allerdings noch zu selten überzeugen. Christoph Kramer, beim Triumph von Rio mit einer Gehirnerschütterung ausgewechselt, ist wieder zu einem zuverlässigen Arbeiter im Mittelfeld geworden.
Vor allem aber sind es Jonas Hoffmann und besonders Florian Neuhaus, die Hoffnung auf mehr machen. Neuhaus durfte erst kürzlich gegen Tschechien im Nationaltrikot debütieren und wusste dabei durchaus zu gefallen. Mit 23 Jahren hat er auch Perspektive im Vergleich zu Kapitän Lars Stindl, inzwischen 32 und im dritten Frühling wohl ohne Chance auf eine Fortsetzung seiner seit 2018 unterbrochenen Nationalmannschafts-Karriere.
Anteil der für den DFB spielberechtigten Profis am Erreichen des Achtelfinales: 25 Prozent
Supertalente auf dem Sprung
Die größten Hoffnungsträger sind Teenager und hier noch gar nicht genannt: Bayerns Mittelfeld-As Jamal Musiala und Dortmunds Supertalent Youssoufa Moukoko. Moukoko wurde am Dienstag mit seiner Einwechslung im Spiel gegen St. Petersburg zum jüngsten Spieler der Champions League. 16 Jahre und 18 Tage war er da alt. Er spielt schon für die U20 des Deutschen Fußball-Bundes und es scheint nur noch eine Frage der Zeit, wann er auch bei den "Großen" auflaufen darf.
Bei Musiala, mit 17 Jahren fast schon ein Routinier, muss der DFB noch Überzeugungsarbeit leisten. Zwar ist er in Deutschland geboren und hat einige Jahre seiner Kindheit hier verbracht, wechselte dann aber nach England und brachte es dort schon zum Junioren-Nationalspieler. Das letzte Wort ist hier noch nicht gesprochen. Um weitere Spielpraxis müssen sich beide keine Sorgen machen - weder in der Bundesliga, noch in der Champions League.
Insgesamt zeigt sich: Es sind überwiegend die Akteure des FC Bayern, die auch in der Champions League Spielpraxis und Erfahrung sammeln und dort großen Anteil an den starken Auftritten des Klubs haben. Während in Mönchengladbach und Dortmund die tatsächlichen und potentiellen DFB-Auswahlspieler wenigstens teilweise eingesetzt werden, spielen sie in Leipzig fast keine Rolle. Die Nationalmannschaft dürfte also kaum vom geschlossenen Erreichen des Achtelfinales im wichtigsten europäischen Vereinswettbewerb profitieren.