Junge Afghanen schreiben über ihre Flucht
9. Februar 2018"Das Schlauchboot sank und mein heißes Herz für Europa wurde kalt", formulierte Yasser Niksada noch als 15-Jähriger, "die Welt schlief, nur wir waren wach, hungrig, durstig, müde". In lyrischer Form erzählt Yassers Text von der Flucht. Auch sein Landsmann Ghani Ataei kleidete seine Todesangst in berührende Worte: "Sie töteten vor meinen Augen im Dorf. Vier Tage konnte ich nicht sprechen. ... Bis ich verstand. Niemand erwartet etwas von niemandem." Dramatisch denn auch das Fazit des 16-Jährigen: "Ich bin hoffnungslos, was die Welt angeht."
Es sind erschütternde Schicksalsbeschreibungen der 14- bis 18-Jährigen, die ihre Flucht als unbegleitete Jugendliche dokumentieren. Ihre Familien haben sie geschickt, nur die Söhne, nicht die Töchter. Manche Stimmen klingen erstaunlich reif, besonders dann, wenn sie Worte für Sehnsüchte und Fremdheit finden. Alle sechs Preisträger haben am Berliner "The Poetry-Project" teilgenommen, das die Spiegel-Redakteurin Susanne Koelbl ins Leben gerufen hat. Die Gedichte sollten sich, so der Plan, ins "kollektive Gedächtnis der Völker" einbrennen. "Alle Menschen schreiben daran mit, ob arm oder reich, ob es Freudiges oder Tragisches zu berichten gibt."
Parallelen zu Else Lasker-Schüler
Die Else-Lasker-Schüler Gesellschaft in Wuppertal zeichnete die Nachwuchs-Lyriker - und mit ihnen das Berliner Poetry Project - aus, weil sie "Beispiele gelungener Integration" seien, wie Hajo Jahn, der Vorsitzende des Vereins sagt. Zwischen den Erlebnissen der jungen Afghanen und dem Leben Elske Lasker-Schülers sieht er viele Verbindungen. Auch die in Wuppertal geborene bedeutende deutsch-jüdische Dichterin (1869-1945) habe Fluchterfahrungen gemacht und Berufsverbote erlebt, die sie literarisch verarbeitete. "Die Verscheuchte" heißt ein spätes Gedicht der Autorin. Darin schreibt sie: "Wie lange war kein Herz zu meinem mild .... Die Welt erkaltete, der Mensch verblich...." 1943 nahm sie das Gedicht in den Band "Mein blaues Klavier" auf, ihre letzte Buchveröffentlichung.
"Allein nach Europa" hatte die Else-Lasker-Gesellschaft die Preisverleihung im Forum der Sparkasse Wuppertal überschrieben. Die Laudatio hielt der Autor und Menschenrechtler Günter Wallraff. Yasser Niksada, der in Afghanistan zur Welt kam und schon als Flüchtling in Iran aufwuchs, beschließt seine Notizen über die Überfahrt nach Europa mit der Frage nach dem Sinn: "Wir sind ja weggegangen, schwieriger wird es zurückzukehren. Das ganze Sich-Zerreißen, für ein bisschen Ruhe. Nicht meine Ruhe. Die Ruhe meiner Familie."