Alles ist anders, aber nicht alles ist einfacher
17. Dezember 2011Der Umbruch in der arabischen Welt hat nicht nur Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in den betreffenden Ländern komplett durcheinander gewirbelt – auch die Arbeit der politischen Stiftungen vor Ort ist radikal anders geworden. Die neue politische Freiheit eröffnet neue Möglichkeiten. Sie stellt die Repräsentanten der Konrad-Adenauer-Stiftung, Friedrich-Ebert-Stiftung & Co. aber gleichzeitig vor neue Herausforderungen. So unterschiedlich die politischen Ansätze der Stiftungen auch sein mögen: Die Mitarbeiter vor Ort haben seit Monaten alle Hände voll zu tun!
Im Ägypten der Post-Mubarak-Ära ist zum Beispiel die Nachfrage nach politischer Bildung immens gestiegen, sagt Felix Eikenberg vom Kairoer Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung. "Und wir können in den Diskussionen viel offener reden." Geldmangel ist ausnahmsweise kein Thema. Die Geldgeber haben nämlich schnell reagiert, sagt Stephan Roll von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik. Roll beobachtet die Arbeit der politischen Stiftungen. Er schildert, dass die Bundesregierung unmittelbar nach dem Sturz des ägyptischen Diktators Mubarak am 11. Februar 2011 zusätzliche Mittel bereit gestellt hat, um den Demokratisierungsprozess im arabischen Raum zu fördern.
Eine deutsche Spezialität
Die politischen Stiftungen gibt es in dieser Form nur in Deutschland. Ihr Kerngeschäft ist die politische Bildungsarbeit. Vereinfacht ausgedrückt lautet ihr Auftrag: Unterrichtung im Fach gelebte Demokratie und soziale Marktwirtschaft. Die Stiftungen stehen den sechs bundesweit relevanten Parteien nahe, sind aber rechtlich unabhängig und werden mit Steuergeldern gefördert: die Konrad-Adenauer-Stiftung steht der CDU nahe, die Friedrich-Ebert-Stiftung der SPD, die Friedrich-Naumann-Stiftung den Liberalen, die Heinrich-Böll-Stiftung den Grünen, die Hanns-Seidel-Stiftung der CSU und die Rosa-Luxemburg-Stiftung der Partei 'Die Linke'.
Bei allen politischen Unterschieden ergänzen sich die Stiftungen bei der Durchführung ihres Auftrags. Felix Eikenberg von der Friedrich-Ebert-Stiftung schildert, dass die vier in Kairo vertretenen Stiftungen sich keineswegs gegenseitig Konkurrenz machen. "Wir treffen Absprachen und stimmen unsere Programme ab." Das bestätigt auch Paul Seelentag von der Friedrich-Naumann-Stiftung: "Die Stiftungen bearbeiten unterschiedliche Bereiche und haben andere Ansätze." Die einen sehen beispielsweise Gewerkschaften als ihre natürlichen Partner an, die anderen eher die nationalen Unternehmerverbände.
Rote Linien: früher und heute
Elisabeth Braune vom Büro der Friedrich-Ebert-Stiftung in Tunis vergleicht die Arbeit der Stiftungen vor und nach dem Umbruch: Sie kommt zu dem Schluss, dass sich die Aufgaben, nämlich die Förderung demokratischer Strukturen, eigentlich gar nicht verändert hätten. Dafür aber die Rahmenbedingungen umso gründlicher: Zu Zeiten des gestürzten Machthabers Ben Ali sei die Arbeit ein ziemlicher Drahtseilakt und nicht immer ungefährlich gewesen. "Auch im Bereich der Kooperation mit zivilgesellschaftlichen Gruppen, etwa der tunesischen Menschenrechtsliga oder kritischen Frauenorganisationen, standen wir früher unter genauester Beobachtung. Uns wurden immer wieder rote Linien aufgezeigt", sagt Braune.
Doch rote Linien und Widerstände gibt es auch heute noch: Felix Eikenberg von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Kairo meint damit Kräfte, die sich gegen den demokratischen Aufbruch stellen. Seiner Einschätzung nach verbietet es sich für die lokalen Partner beispielsweise, allzu offen Kritik am ägyptischen Militärrat zu äußern. Er konstatiert eine große Empfindlichkeit der Ägypter gegenüber möglicher politischer Einflussnahme aus dem Ausland. Die Ägypter würden ganz genau nachfragen, welchen Zielen die Projekte dienten. Das bestätigt auch Andreas Jacobs von der Konrad-Adenauer-Stiftung. "Es gibt eine generelle Skepsis in Bezug auf Hilfe beim Demokratieaufbau durch ausländische Organisationen", schildert er.
Rechtliche Grauzonen
Felix Eikenberg weist darauf hin, dass die Partner der Stiftung bei den ägyptischen Gewerkschaften mitunter in einer rechtlichen Grauzone operieren. So waren zu Zeiten des Mubarak-Regimes unabhängige Gewerkschaften verboten. Ein Gesetz, das sie erlaubt, gebe es zwar noch nicht, doch Gewerkschaften würden inzwischen immerhin toleriert. Rechtsverbindliche Regelungen aber lägen auf Eis, weil sich die amtierende Regierung lediglich als Übergangsregierung begreife.
Langjährige Kontakte und kritische Fragen
Die deutschen politischen Stiftungen können einen deutlichen Vorteil gegenüber jenen Organisationen in die Waagschale werfen, die jetzt erst in den Ländern des arabischen Frühlings aktiv werden. Man kennt sie nämlich seit langem. Paul Seelentag von der Friedrich-Naumann-Stiftung erläutert, dass man in Tunis bereits seit den 1960er Jahren aktiv ist.
Umgekehrt erwachse daraus die Frage, wie die Stiftungen es mit den früheren Machthabern hielten: "Das ist auf jeden Fall ein Thema. Aber den Stiftungen werden keine Vorhaltungen gemacht. Die Vorwürfe gehen eher generell in Richtung Westen und sind meistens in Richtung USA gemünzt". Insgesamt hätten die deutschen politischen Stiftungen im arabischen Raum einen guten Ruf, so Seelentag.
Die Qual der Wahl
Dabei lassen sich die Länder nur bedingt miteinander vergleichen. Zu Zeiten der Diktatur sei die Stiftungsarbeit in Tunesien sehr viel schwieriger gewesen als in Ägypten, führt Seelentag aus. "Das Regime in Tunesien war wesentlich repressiver als das in Ägypten." Heute bieten sich den Stiftungen dagegen viele Partner gleichzeitig an. Doch auf wen setzen? Beispiel Libyen: Die Verantwortlichen der Heinrich-Böll-Stiftung nehmen potenzielle Partner ganz genau unter die Lupe. Ähnliches gilt für die Friedrich-Naumann-Stiftung in Tunesien: Man wolle abwarten, bis sich die gesellschaftlichen Gruppen ein wenig ausdifferenziert hätten, sagt Paul Seelentag. "Man hat ja gesehen, dass über 100 Parteien zur Wahl angetreten sind. Das ist ein Umfeld, in dem man sich erst einmal umschauen muss."
Gesprächspartner ja, Partnerschaft nein
Die Entwicklungen in den Ländern sind im Fluss, darauf haben sich die Stiftungen inzwischen eingestellt - und auch darauf, dass die Religion in Staat und Gesellschaft einen größeren Stellenwert haben wird als bislang. Doch wie halten es die Stiftungen mit islamischen Kräften oder gar mit Islamisten? Reden sie mit ihnen oder machen sie einen Bogen um sie? "Vor der Wahl in Ägypten haben wir an der Universität beispielsweise Diskussionsrunden veranstaltet und dazu Vertreter verschiedener Meinungen eingeladen: Linke, Liberale, Konservative und auch Islamisten. Solche Akteure müssen mit am Tisch sitzen, allein schon, um ihren Positionen unsere Sachargumente entgegenzusetzen. Aber wir arbeiten nicht mit ihnen zusammen", sagt Felix Eikenberg von der Friedrich-Ebert-Stiftung. Gesprächspartner ja, Partnerschaften nein - diese Formel gilt auch für die Friedrich-Naumann-Stiftung. Man habe keine Kontakte zu islamistischen Gruppierungen. Zusammenarbeit funktioniere nur auf der Basis gemeinsamer Grundwerte, sagt Paul Seelentag. Diese Grundlage sei im Falle der Islamisten nicht gegeben.
Autorin: Birgit Görtz / Miriam Klaussner
Redaktion: Daniel Scheschkewitz