Wirtschaftskrise in Kiew
1. März 2015Bananen, Paprika, Mandarinen - nur dort, wo ihre Waage steht, geben die Berge von Obst und Gemüse den Blick auf Natalija frei. Seit Jahren hat sie auf dem Schitny Markt im Kiewer Podil Viertel ihren Stand. Doch so hart wie derzeit war das Geschäft für die zweifache Mutter selten. "Jeder hier auf dem Markt versucht nur noch, seine Stammkunden zu sich an den Stand zu bringen", sagt Natalija. Viele kauften weniger.
Kostete ein Euro zu Beginn der Ukraine-Krise noch zehn Hrywna, sind es jetzt schon über 30. Allein in der vergangenen Woche ist die Landeswährung um knapp 20 Prozent gefallen. Das spürt Natalija im Einkauf bei den Paprika aus Israel genauso wie bei den Bananen. Letztere muss sie mittlerweile schon für 40 Hrywna pro Kilo verkaufen. Früher waren es 17. "Uns ist es fast schon peinlich, den Kunden die Preise zu nennen", sagt Natalja. Auch sie selbst kann sich viel weniger leisten.
Aufgrund der Krise geschlossen
Ein Stück weiter verkauft Larissa Fleisch und Sala, fetten Speck, ein ukrainisches Nationalgericht. Eine Theke, auf der sie ihre Waren auslegt, eine Waage und ein Taschenrechner - mehr hat die Bäuerin um die 60 nicht an ihrem Stand. Die Preise habe sie nicht erhöht. Auf ihrem Hof im Kiewer Umland schlachtet sie selbst. "Aber alles andere ist teurer geworden."
Der Schitny Markt ist der größte Markt in der ukrainischen Hauptstadt. Unter dem geschwungen Betondach in Sowjetarchitektur drängen sich auf der Fläche eines Fußballfelds unzählige Stände, an denen Händler Fleisch, Fisch, Trockenfrüchte oder eingelegtes Gemüse feilbieten. Doch auf der Empore sind die meisten der kleinen Pavillons verrammelt. "Da wird normalerweise Kleidung verkauft", sagt die Obstverkäuferin Natalija. "Aber die Menschen haben dafür zur Zeit einfach kein Geld." Aufgrund der Krise geschlossen.
Die Wirtschaftskrise hat Kiew fest im Griff
Die Wirtschaftskrise hat Kiew schon lange fest im Griff. Auch weil die Firmen ihre Werbebudgets gekürzt haben, zeigen viele Plakatwände in der ukrainischen Hauptstadt derzeit die Landesflagge. "Einiges Land", steht darauf auf Ukrainisch und Russisch geschrieben. Doch gerade der Kurssturz der Hrywna zu Beginn der vergangenen Woche hat viele Menschen zusätzlich verunsichert. Vor allem Importwaren werden für viele noch unerschwinglicher. Einige Geschäfte erhöhten vergangenen Montag gleich mehrfach am Tag die Preise.
Bei der Internetzeitung "Ukrainska Prawda" ist Chefredakteurin Sewgil Mussajewa-Borowik gerade vom Interview mit der Zentralbankchefin des Landes, Valeria Hontarewa, zurückgekehrt. Der Krieg im Osten habe 30 Prozent des ukrainischen Exports lahm gelegt, sagt Mussajewa-Borowik. "Das zeigt sich auch in der Kursentwicklung."
Präsident Petro Poroschenko und Regierungschef Arsenij Jazenjuk haben den Verfall der Landeswährung inzwischen zur Chefsache erklärt. "Die Kursschwächen nutzt irgendjemand zur Destabilisierung des Landes im Vorfeld der Unterzeichnung des Abkommens mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF)", sagte Poroschenko am Samstag.
Ein entsprechendes Memorandum zur Zusammenarbeit mit dem IWF hat die Ukraine bereits unterschrieben. Das Parlament, die Werchowna Rada, soll bereits an diesem Montag die Gesetze verabschieden, die der Währungsfonds zur Vorbedingung für den Kredit in Höhe von 17 Milliarden Dollar gemacht hat. Dann muss das Direktorium des IWF am 11. März endgültig entscheiden.
IWF verlangt höhere Gaspreise
Für die Ukrainer dürfte das Leben damit noch teurer werden. Vor allem die Subventionierung des Gaspreises müsse aufhören, verlangt der IWF. Private Haushalte zahlen derzeit 87 Dollar pro 1000 Kubikmeter Gas – um kostendeckend zu arbeiten, muss der staatliche Gasversorger Naftogas in Zukunft das Fünffache verlangen. Selbst viele Mittelschichtsfamilien werden dann auf staatliche Unterstützung angewiesen sein, erwartet man in Kiew.
Nina Olexijiwna ist aus Saporischija in der Südukraine mit dem Nachtzug nach Kiew gekommen. Eigentlich muss sie viele Dinge in der Hauptstadt erledigen. Doch sie nimmt sich Zeit, um auf dem Unabhängigkeitsplatz der Toten des Maidan zu gedenken. "Präsident Poroschenko hat ein schweres Erbe angetreten", sagt die Rentnerin. Auch sie spürt die Wirtschaftskrise. 2000 Hrywna Rente bekommt die 60-Jährige im Monat. "Früher war das nicht wenig", sagt Nina Olexiijwna. Heute habe sie damit weniger als drei Dollar pro Tag. "Das ist schwer. Vor allem die Wohnung wird immer teurer."