Allianz auf der Suche
3. Juni 2003Wo, wie und wann wird sich die NATO in Zukunft engagieren? Diese Frage wird im Mittelpunkt des zweitägigen Frühjahrstreffens der NATO-Außenminister in Madrid (3./4. Juni 2003) stehen. Denn nach dem katastrophalen internen Management der Irak-Krise im Februar 2003 sucht das Militärbündnis nach einer neuen Rolle. Der Streit um den Krieg im Irak hatte die NATO gespalten. Die beiden militärisch stärksten Verbündeten - die USA und Großbritannien - waren nahezu ohne NATO-Unterstützung nach Bagdad marschiert.
Darüber will in Madrid eigentlich niemand mehr reden - aber: Welche Aufgaben gehören denn nun zu den Aufgaben der Allianz? Einig sind sich Militär-Diplomaten, dass es in Zukunft eher mehr als weniger krisenhafte Situationen geben wird, und die auch und vor allem außerhalb des traditionellen Gebietes, in dem sich die NATO bewegt.
Beispiel Nachkriegs-Irak
Im ehemaligen Kriegsgebiet im Irak wird sich die NATO allerdings zunächst nur indirekt engagieren. Die USA haben Polen um Unterstützung bei der Sicherung eines Sektors gebeten. Und Warschau hat in Brüssel angefragt, ob die NATO dabei planerisch und logistisch helfen kann.
Für die Militärstrategen ist das eine Selbstverständlichkeit. Denn schließlich helfe man auch den deutschen und niederländischen Truppen bei ihrer Mission in Afghanistan, heißt es im Brüsseler Hauptquartier. Der Vorsitzende des NATO-Militärausschusses, General Harald Kujat, erklärte: "Wir haben jedenfalls ein Interesse von Seiten der NATO daran, dass die große Verantwortung, die ein Verbündeter übernommen hat, auch durch Erfolg geprägt ist. Deshalb haben wir uns auch entschlossen, unsere polnischen Freunde zu unterstützen in allem, was sie brauchen."
Für den amerikanischen NATO-Botschafter Nicholas Burns könnte das Engagement der Allianz jedoch sehr bald deutlich weiter gehen. Die Unterstützung für Polen sei der erste Schritt, so der Spitzendiplomat Ende Mai 2003 in Brüssel, eine stärkere Rolle der NATO sei die logische Konsequenz daraus. Doch so weit ist das Bündnis als Ganzes noch nicht und schon gar nicht in Madrid.
Beispiel Afghanistan
Beim Treffen der NATO-Außenminister wird ein zweites großes Stabilisierungsprojekt auf der Tagesordnung stehen: Im August will die NATO das Kommando über die Internationale Schutztruppe für Afghanistan ISAF übernehmen. Seit Februar sind dort deutsche und niederländische Soldaten stationiert, die die Mission wiederum von der Türkei übernahmen.
Die stärkere Rolle der NATO in Afghanistan ab August werde nicht viel ändern, meint General Kujat: "Wir führen den Einsatz in Kabul und näherer Umgebung so fort, wie bisher. Es gibt keine Absicht, den Einsatz auf das gesamte Land auszudehnen."
Reform und Transformation
Schließlich wird es in Madrid auch erneut um die "Capabilities", die militärischen Fähigkeiten des Bündnisses gehen. In Arbeitsgruppen denken die NATO-Staaten seit ihrem Gipfel in Prag 2002 über die Verbesserung des strategischen Luft- und Seetransports, der Präzisionsbewaffnung, der Luftbetankung und anderer militärischer Kernfähigkeiten nach.
Denn die NATO weiß nicht erst seit Prag, und auch nicht erst seit den Anschlägen vom 11. September 2001, dass ihre Truppen mobiler, flexibler und moderner werden müssen, um den neuen Gefahren begegnen zu können.