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Alpermann: "Soziale Probleme ausschlaggebend"

Matthias von Hein22. Mai 2014

Der jüngste Terroranschlag in Xinjiang ist eher Ausdruck sozialer Spannungen als extremistischer Ideologie, sagt der Würzburger Chinawissenschaftler Björn Alpermann im Gespräch mit der Deutschen Welle.

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Björn Alpermann von der Universität Würzburg (Foto: privat)
Bild: privat

Deutsche Welle: Der Anschlag mit über 30 Toten im Zentrum der Hauptstadt von Xinjiang ist nur der letzte in einer ganzen Reihe von Terroranschlägen, die vermeintlichen Separatisten zugeschrieben werden. Warum häufen sich in jüngster Zeit aus Ihrer Sicht die Anschläge?

Björn Alpermann: Die deutliche Zunahme von Anschlägen in jüngster Zeit zeigt, dass die Strategie der chinesischen Zentralregierung in Xinjiang und anderen Minderheitengebieten, durch wirtschaftliche Entwicklung die sozialen Spannungen aufzulösen, nach hinten losgegangen ist. Die Uiguren in Xinjiang fühlen sich durch zugewanderte Han-Chinesen unter Druck, die überproportional von dem Wirtschaftswachstum, das es dort gegeben hat, profitiert haben, während Uiguren, selbst gut ausgebildete, es auf dem Arbeitsmarkt sehr schwer haben und dort diskriminiert werden. Das ist mit Sicherheit der soziale Hintergrund.

Hinzu kommt natürlich die Religion, die vor allem von der Zentralregierung immer wieder als potenziell konfliktträchtig angesehen wird. Es ist fast schon reflexartig, dass bei jedem Anschlag behauptet wird, es seien religiöse Extremisten und Separatisten gewesen.

Nach den Anschlägen der letzten Monate sind die Sicherheitskräfte deutlich verstärkt worden. Jetzt hat Xi Jinping in Shanghai bei einer internationalen Sicherheitskonferenz die anderen Teilnehmer aufgefordert, doch gemeinsam gegen die "drei Gifte des Extremismus, des Separatismus und des Terrorismus" vorzugehen, wie er sich ausdrückte. Aber man hat den Eindruck, dass die Strategie der "harten Hand" der chinesischen Seite moderate Uiguren tendenziell in die Arme der Extremisten treibt.

Das würde ich genauso sehen. Es gibt durchaus Intellektuelle, die aus dem uigurischen Lager kommen und die versuchen, eine mittlere Position einzunehmen, eigentlich als Vermittler zu agieren. Aber die werden im zunehmenden Maße mundtot gemacht in China, anstatt dass man genau diese Leute einsetzt, um zu versuchen, die gemäßigten Kräfte unter den Uiguren stärker einzubinden.

Mein Eindruck ist auch, dass die Geduld der Zentralregierung, Xinjiang über langfristige Maßnahmen wie Wirtschaftsentwicklungsprojekte - Stichwort: "große Entwicklung des Westens" - voran zu bringen, allmählich zur Neige geht und dass immer härtere Saiten aufgezogen werden. Nehmen Sie zum Beispiel den Besuch Xi Jinpings in der Region Xinjiang vor wenigen Wochen: Da hat er in Kashgar, einem Zentrum der uigurischen Identität, die bewaffnete Polizei besucht und sie dafür gelobt, dass sie an der Frontlinie des Terrorismus stehe. Wenige Tage später, als Xi Jinping gerade erst abgereist war aus Ürümqi, kam es zu dieser Attacke auf dem Südbahnhof der Provinzhauptstadt. Das zeigt, dass die harte Hand, mit der der Zentralstaat versucht zu reagieren, immer eine Gegenreaktion hervorruft. Mittlerweile legen es die uigurischen Kräfte offensichtlich darauf an, den Zentralstaat ganz bewusst zu düpieren, indem genau solche zeremoniellen Momente genutzt werden, um zu zeigen: Wir sind noch da und wir können jederzeit zuschlagen.

In Kashgar wird im Zuge der so genannten Modernisierung ein großer Teil der Altstadt abgerissen. Gibt es überhaupt ein Verständnis auf Seiten der chinesischen Eliten für die Eigenarten der Nationalitäten? Oder wird den Nationalitäten zwar erlaubt, in bunten Kostümen aufzutreten und fröhliche Lieder zu singen, ansonsten aber sollen sie sich dem chinesischen Entwicklungsweg beugen?

Das ist leider häufig das Problem, dass die sogenannte Minderheitenautonomie sich in diesen folkloristischen Aspekten erschöpft. Es gibt zwar in der Administration der Minderheitengebiete gewisse Vorrechte für die Minderheiten: Dass sie zum Beispiel stärker repräsentiert sein sollten in öffentlichen Organen, in den Organen der Staatsmacht. Aber das heißt häufig nur, dass die Minderheiten eher zeremonielle Positionen übernehmen. Die Parteisekretäre aber, die tatsächlich die Macht besitzen, sind in der Regel Han-Chinesen.

Ich war seit längerem nicht mehr in Kashgar, aber nach meinen Informationen sieht Kashgar mittlerweile aus wie jede andere mittelgroße chinesische Stadt. Das eigentliche, ursprüngliche Gesicht Kashgars geht verloren. Das ist eine enorme Bedrohung für die Identität der Uiguren und ist mit ein Grund, neben den sozialen Ungleichheiten und den religiösen Problemen, warum die Uiguren sich unter Druck fühlen.

Zum Thema Religion: In Xinjiang wird traditionell ein eher moderater Islam gepflegt. Gibt es Zeichen eines wachsenden Einflusses extremistischer Richtungen, etwa aus Pakistan, Afghanistan oder Saudi-Arabien?

Das wird von offizieller chinesischer Seite immer gerne behauptet. Die tatsächlichen Indizien dafür sind aber eher dünn. Allerdings gibt es mit Sicherheit solche Einflüsse. Und es ist nicht zu leugnen, dass die internationalen Ereignisse seit dem 11. September 2001 sich auch in China niedergeschlagen haben, dass es auch bei Muslimen in China die Vorstellung gibt, dass der Islam insgesamt international unter Druck gerät und politisch und militärisch bekämpft werden soll. Das hat bei einigen dafür empfänglichen Personen Gegenreaktionen hervor gerufen.

Aber dass es jetzt einen breiten Einfluss von islamistischen Kräften gäbe, das kann ich zumindest von hier aus nicht bestätigen. Ich denke, dass eher die sozialen Probleme ausschlaggebend sind, dass es um Fragen der ethnischen Identität geht. Sofern die Religion betroffen ist, sind es zum Teil die kleineren Dinge, die als Eingriff in die Identität dieser Menschen und als Angriff auf die Freiheit der Religion wahrgenommen wird: Zum Beispiel, dass in Xinjiang für etliche Arbeitsstellen im öffentlichen Sektor verlangt wird, dass die Männer sich ihre Bärte abrasieren. Diese kleinen, alltäglichen Dinge summieren sich und schaffen eine Stimmung des Misstrauens der Bevölkerungsgruppen untereinander.