Guinea: Nach der Wahl heißt in der Krise
23. Oktober 2020In Guineas Hauptstadt Conakry patrouillieren Soldaten. Es ist ungewöhnlich ruhig in den den Straßen. Die Menschen bleiben lieber zu Hause, die Lage ist angespannt. Lansana Kamara, ein Mechaniker, ist besorgt über die Gewalt, die besonders die Hauptstadt nach den Präsidentschaftswahlen am vergangenen Sonntag erfasst hat. "Ich habe Angst, dass sich die Situation verschlechtern könnte, das wäre für niemanden gut", sagt Kamara im DW-Interview. Bislang wurden bei gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Demonstrierenden und Sicherheitskräften laut dpa mindestens 20 Menschen getötet.
Dass in der Wahl Zündstoff stecken würde, war schon vorher klar: Der seit 2010 amtierende 82-jährige Alpha Condé bewarb sich um eine dritte Amtszeit. Guineas Verfassung sieht nur zwei vor – das Regierungslager argumentierte jedoch, dass Condés Zähler mit einer umstrittenen Verfassungsänderung zurückgesetzt worden sei. Nach 2010 und 2015 war es die dritte Wahl mit denselben Kandidaten auf dem Stimmzettel: Schon die beiden Male zuvor hatte Condé gegen Cellou Dalein Diallo triumphiert. Einem Zwischenergebnis zufolge, dem bereits die meisten Wahlbezirke enthalten sind, geht Condé auch dieses Mal als Sieger vom Platz: Laut Wahlkommission kommt er auf doppelt so viele Stimmen wie der Zweitplatzierte Diallo.
Der hatte sich jedoch schon Tage vor dem Zwischenergebnis zum Sieger erklärt und der Regierung "massenhaften Wahlbetrug" vorgeworfen. Beweise werde er vor Gericht vorlegen. Der Vizepräsident der Wahlbehörde, Bakary Mansare, hatte die Ankündigung Diallos für ungültig erklärt.
Opposition wittert Verschwörung
Wahlbeobachtern der Afrikanischen Union und der westafrikanischen Staatengemeinschaft Ecowas zufolge waren die Wahlen "weitgehend fair" verlaufen. Für den Oppositionspolitiker Thierno Diallo, der der sozialliberalen UFDG seines prominenteren Namensvetters angehört, steht jedoch fest: "Es waren kaum Wahlbeobachter anwesend. Der Präsident hatte von Anfang an den Plan, die Wahlen zu manipulieren. Deshalb hat er versucht, internationale Beobachter fernzuhalten", sagt Diallo im DW-Interview.
Nun droht ein weiterer Anstieg der Gewalt - auch nach Einschätzung der Opposition. In Hochburgen von Diallos sozialliberaler Partei der Demokratischen Kräfte von Guinea (Union des forces démocratiques de Guinée, UFDG) wurde die Polizeipräsenz verstärkt. "Wir sind sehr besorgt, denn die Regierung tritt den Wählerwillen mit Füßen", sagt der Oppositionspolitiker Thierno Diallo im DW-Interview. "Deswegen ist auch die Armee eingesetzt worden - das Land ist im Ausnahmezustand, damit sie die Macht erneut stehlen können", wettert er gegen die Regierung. "Unser Präsident (Diallo) ist seit drei Tagen in seinem Haus, das von Polizeikräften umstellt ist. Niemand kann hinein gehen", erzählt er im Interview.
Regierung wirft Aufwiegelung vor
Alpha Souleymane Ba Fisher, Abgeordneter der Regierungspartei Rassemblement du Peuple Guinéen (RPG), kritisiert den Schritt der Opposition: "Wir haben es mit einer Opposition zu tun, die von Cellou Dalein Diallo angeführt wird, der sich selbst ohne jede rechtliche Grundlage zum Präsidenten der Republik proklamiert hat. Also lud er seine Aktivisten ein, auf die Straße zu gehen und die Menschen anzugreifen und zu attackieren, damit das Land ins Chaos fällt", sagt Ba Fisher im DW-Interview.
Oppositionsführer Diallo hatte sein Vorpreschen mit Wahlbetrug und seinem mangelnden Vertrauen in die Institutionen der Republik begründet. Das weist Ba Fisher vom Tisch und betont, dass es im Land Strukturen und Institutionen gebe: "Sogar der Präsident der Republik hört sich an, was diese Institutionen sagen werden." Es gebe eine unabhängige Wahlkommission - das einzige Verfassungsorgan, das Wahlen organisiert. Dazu das Verfassungsgericht, das als Berufungsinstanz fungiere. Der Staat werde seine Verantwortung übernehmen und wieder Ordnung herstellen.
Die Unsicherheit wächst
Stärkere Konfrontation und noch mehr politische Unsicherheit sind laut Paul Melly, Westafrika-Experte der britischen Denkfabrik Chatham House, die Folgen der jüngsten Ereignisse in Guinea. "Das Land steckt in einer sehr ernsten Krise. Die Opposition und ihre Anhänger trauen dem Wahlsystem nicht. Auch wenn Oppositionsführer Diallo sich dazu entschied, bei der Wahl trotzdem anzutreten - dass er sich zum Sieger erklärt, klingt momentan nicht sehr plausibel. Es gibt noch zu wenige Informationen, die das rechtfertigen würden. Auf jeden Fall trägt sein Schritt zu mehr Konfrontation bei", sagt Melly im DW-Interview. Auch habe die Regierung sich kaum für ein besseres politisches Klima engagiert. Ihr Unwille, den Dialog mit der Opposition zu suchen, hat aus Mellys Sicht nur Misstrauen geschürt.
Alpha Condés Absicht, eine dritte Amtszeit anzutreten, habe das Vertrauen innerhalb der Zivilgesellschaft in Guinea und der Regierungsgegner tief geschädigt. "Das bisschen Vertrauen, das es noch gab, ist verschwunden. Nach den ruhigen Wahlen 2015 ist dieses Wahlergebnis - was immer dabei herauskommt - ein Rückschritt für das Land", sagt Melly. "Es hilft nicht, den Zusammenhalt wiederherzustellen und zu stärken."