Als Freiwilliger bei der YPG
21. März 2018Nein, wie ein Kämpfer, wie ein Krieger gar, sieht Jan-Lukas Kuhley nicht aus, wie er da in seiner Küche sitzt und an seiner Zigarette zieht. Dabei ist gerade das Rauchen eine Angewohnheit aus dem Krieg. Denn Krieg, das hat der 23-jährige im letzten halben Jahr gelernt, Krieg ist vor allem Warten. Und Tee trinken. Und Rauchen.
Vom Krieg hat Kuhley mittlerweile genug. Vom Tee auch - er bevorzugt jetzt Kaffee. Aber das Rauchen hat er beibehalten, seit er vor einem knappen Monat aus dem nordsyrischen Kurdengebiet zurückgekehrt ist, von einem halben Jahr Kampf gegen den sogenannten Islamischen Staat - oder gegen den "islamistischen Faschismus" wie Kuhley es ausdrückt. Einem Kampf auf Seiten der kurdischen Volksverteidigungseinheiten, der YPG.
Und geblieben ist vor allem Kuhleys Leidenschaft, seine Begeisterung für den kurdischen Kampf, für das Projekt "Rojava" in Nordsyrien: Ein Völker und Religionen übergreifendes, quasi-staatliches Gebilde, das gegenwärtig unter dem Beschuss türkischer Kampfflugzeuge und Panzer und unter dem Ansturm von türkisch unterstützten, zum Teil dschihadistischen Milizen in seinem westlichen Teil Afrin zerstört wird. Und das der türkische Präsident Erdogan auch in seinen östlichen Teilen erobern und von den "Terroristen", wie er die YPG-Milizionäre nennt, säubern will.
Unterstützung einer Terrorgruppe?
Der Terrorismus-Vorwurf könnte Kuhley auch in Deutschland einholen. Die Verbindungen zwischen der türkisch-kurdischen PKK, zwischen deren inhaftiertem Anführer Abdullah Öcalan und der YPG sind eng. Und die PKK gilt in Deutschland als terroristische Organisation. Aber gegen YPG-Unterstützer wird in Deutschland nicht grundsätzlich ermittelt.
Aus Kreisen der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ist zu hören, dass von Einzelfall zu Einzelfall entschieden werde, ob ein sogenanntes "Staatschutzinteresse" vorliege. Es habe bislang Ermittlungsverfahren im "niedrigen zweistelligen Bereich" gegeben. Anklage ist bislang aber in noch keinem Fall erhoben worden. Zur Zeit häufen sich in Deutschland Angriffe auf türkische Einrichtungen - Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass kurdische Gruppen gemeinsam mit Linksextremisten hinter diesen Anschlägen stecken könnten.
Kuhley ist sich der Gefahr möglicher Strafverfolgung bewusst. Immerhin gab es gegen andere internationale Freiwillige schon "gewisse Repressionen", wie er weiß. "Aber den Pass wegnehmen für ein Jahr ist ein Preis, den ich zu zahlen bereit wäre. Das ist kein großes Opfer im Vergleich zu dem, was die Menschen vor Ort eingehen", erklärt der 23-Jährige. Und selbst wenn er wegen Terror-Unterstützung verurteilt würde, wäre "auch das ein Dienst an der Bewegung, weil das leicht zu skandalisieren wäre". Mehr Sorgen bereiten Kuhley da schon Erdogan-Anhänger in Deutschland. Auch deshalb beschäftigt sich der Student jetzt mit Kampfsport.
Linker Sehnsuchtsort Rojava
Es ist ein langer Weg von der hessischen Universitätsstadt, in der Jan-Lukas Kuhley studiert und sich in der Hochschulpolitik engagiert, nach Nordsyrien. "Aber wenn man sich im linken Spektrum bewegt", erzählt Kuhley, "dann ist Rojava, also Nordsyrien, schon immer ein präsentes Thema gewesen". Denn Linke in Deutschland verzweifelten oft daran, dass ihre Gedanken so wenig Praxisbezug haben.
In Nordsyrien sei das anders, erklärt der Soziologiestudent: "Da waren die staatlichen Strukturen komplett zerstört. Und die Menschen waren gezwungen, sich selbst zu organisieren, sich selbst zu verteidigen, für ihr Essen zu sorgen. Die Krankenhäuser müssen immer noch funktionieren, auch wenn es keinen Staat mehr gibt, das ganze Leben muss weiter funktionieren. Und das hat eben diese revolutionäre Partei, die PYD, genutzt, um ihren Gesellschaftsentwurf anzubieten. Und das funktioniert seitdem.
Seit Jahren verhungern die Menschen nicht. Sie sind erfolgreich gegen den IS, seit Jahren schon. Es ist der lebenswerteste Ort in Syrien, was man schon daran erkennen kann, dass über die Hälfte der Menschen, die dort leben, aus anderen Teilen Syriens dort hin geflüchtet sind. Es ist vielleicht der einzige Ort auf der Welt, wo ein Gebiet von einer Bewegung kontrolliert wird, die einen revolutionären Anspruch hat."
In den kurdisch kontrollierten Gebieten Nordsyriens war nach 2013 ein für den Nahen Osten höchst ungewöhnliches politisches Modell entstanden: Alle ethnischen und konfessionellen Gruppen sind in die Selbstverwaltung einbezogen. Und obwohl hier sehr traditionelle Gesellschaften leben, wird die Gleichheit von Mann und Frau umgesetzt, bis hin zu kämpfenden weiblichen Milizen.
Anstelle des früheren arabischen Zentralstaats und anstelle eines angeblich "Islamischen Staats" wird unter dem Schutz der YPG eine pluralistische und dezentralisierte Demokratie praktiziert. In der Vergangenheit wurden den kurdischen Kampfgruppen jedoch auch immer wieder Menschenrechtsverstöße vorgeworfen. "Human Rights Watch" sprach in einem Bericht im Jahr 2014 von Kindersoldaten und willkürlichen Verhaftungen in den kurdisch kontrollierten Gebieten Nordsyriens.
Kampfeinheit statt Medienarbeit
Kuhley wollte ursprünglich nach Nordsyrien, um dieses Modell kennen zu lernen. Dazu wollte er sich dem Medienteam der YPG anschließen, Interviews führen, Fotos machen. Am Ende schloss er sich dann aber doch einer kämpfenden Einheit an. Eine einmonatige Grundausbildung war das, die jeder internationale YPG-Unterstützer durchläuft. Dort hatte ihn beeindruckt, welche Opfer seine Lehrer gebracht hatten. Die hatten Angehörige verloren oder auch Arme oder Beine – und machten trotzdem immer weiter: "Dieses Maß an Einsatz war sehr beeindruckend. Da kam ich mir dann komisch vor zu sagen: Ich möchte hier eigentlich nur ein paar Fotos schießen und dann wieder nach Hause."
Kuhley landet schließlich bei einer Einheit, die schwere Geschütze und gepanzerte Fahrzeuge bedient. Es ist eine unterstützende Einheit, die von verschiedenen YPG-Gruppen nach Bedarf angefordert wird und in der Nähe der Front zum IS operiert. Er habe zwar nie auf einen Feind geschossen, sagt Kuhley. Selbst sei er allerdings schon beschossen worden, war in lebensbedrohlichen Situationen. Und er hat Freunde verloren im Kampf. Das hat Kuhley geprägt: "Wirklich zu sehen, dass die Freunde töten und auch dich töten wollen, zieht einen emotional viel mehr hinein und sorgt dafür, dass der Konflikt noch mal eine andere, persönlichere Ebene bekommt."
Auch deutsche Todesopfer
Auch mehrere Deutsche sind bereits in Diensten der YPG umgekommen: Günther Helstein etwa, der 2016 bei Shadadi fiel, oder Kevin Jochim aus Karlsruhe oder Martin Guden. Und erst Mitte März kam bei türkischem Artilleriebeschuss in Afrin die 26-jährige Engländerin Anna Campbell ums Leben. Jan-Lukas Kuhley weiß von einem deutschen Freiwilligen, der ebenfalls in Afrin schwer verletzt wurde und der dort möglicherweise sterben wird. Doch der Kontakt ist abgerissen, Genaueres kann er nicht sagen.
Zwischen 40 und 50 internationale Freiwillige haben nach Kuhleys Schätzung im vergangenen Jahr auf Seiten der YPG gekämpft. Mittlerweile ist ihre Zahl wohl auf 20 bis 30 geschrumpft. Zum einen weil der Kampf gegen den IS sich dem Ende zuneigt. Zum anderen weil die Einreise über den Nordirak schwieriger geworden ist.
Zu einem Drittel, sagt Kuhley, seien die Freiwilligen linke Idealisten wie er selbst. Ein weiteres Drittel seien Menschen, die ein "militärisches Leben haben, die Söldner waren oder bei der Fremdenlegion oder anderen Armeen und die einfach weiter kämpfen wollen". Ein letztens Drittel begreift sich als Feinde des "islamischen Faschismus" – also des IS. "Es sind da auch sehr schräge Menschen dabei, ein paar einzigartige Lebensläufe", ergänzt Ex-Kämpfer Kuhley.
Auch wenn Kuhley derzeit seine Aufgabe darin sieht, die Sache der YPG von Deutschland aus zu unterstützen: Nach Syrien würde er schon gerne einmal zurück – "als Tourist in ein friedliches, demokratisches Syrien. Das wäre sehr, sehr wunderbar."