Obst, Gemüse, Getreide - rettet die alten Sorten!
Im letzten Jahrhundert gingen laut Welternährungsorganisation drei Viertel aller Nutzpflanzensorten verloren - schlecht für die Ernährungssicherheit. Denn alte Sorten punkten in Sachen Nährstoffe und Standort-Anpassung.
Gestatten, Gravensteiner - bekannt seit 1669
Gerade einmal sechs Sorten Äpfel findet man üblicherweise in deutschen Supermärkten - alle lange haltbar. Dabei gibt es allein in Deutschland rund 2000 regionale Apfelsorten. Alte Sorten werden von Allergikern meist besser vertragen - vermutlich weil sie viel sekundären Pflanzenstoff Polyphenol enthalten. Der ist in Supermarktäpfeln unerwünscht, denn er verursacht braune Stellen beim Anschneiden.
Tomaten in allen Formen und Farben
Ob rot, gelb, schwarz oder und grün - die Sortenvielfalt von Tomaten ist enorm. Moderne Züchtungen sind zwar lange haltbar und robust, aber ihr Geschmack ist oft fade. Eine Untersuchung zeigte, dass alte oder wilde Sorten deutlich mehr geschmacksrelavante Eigenschaften haben als neue Sorten. Vermutlich blieb der Geschmack bei der Züchtung immer größerer Früchte auf der Strecke.
Kartoffeln sind immer gelb? Mitnichten!
Das Bamberger Hörnchen ist länglich, die Rote Emmalie rot und Mayan Twilight hat eine gefleckte Schale. Doch die moderne Kartoffelzucht setzt auf nur wenige Sorten, die große Erträge versprechen und industriell gut verwertbar sind. Die meisten der rund 200 zugelassenen Kartoffelsorten in Deutschland sind relativ jung. In Frankreich dagegen ist die über 130 Jahre alte "La Ratte" noch immer beliebt.
Viele Nährstoffe in historischen Maissorten
Mais, Weizen, Reis - rund die Hälfte der weltweiten Tageskalorien stammt aus nur drei Nutzpflanzen. Für hohe Erträge wird meist kommerzielles Saatgut verwendet. Doch der Zuwachs an Masse geht nicht mit dem an Mineralien einher. Studien zeigen eine geringere Mineralienkonzentration in Hochleistungssorten. So haben alte Maissorten oft mehr Magnesium, Kalium und Lutein, das für das Sehen wichtig ist.
Goldener Weizen - starkes Gluten
Eine hohe Konzentration bestimmter Komponenten kann auch unerwünschte Auswirkungen haben - beim Weizen etwa die Glutenunverträglichkeit. Gluten gibt dem Brot Elastizität. Zwar enthalten alte Sorten mehr Gluten. Doch an der Universität von Bologna fand man heraus: Die Stärke des Glutens in modernem Weizen ist bis zu siebenmal höher. Daher könnte es uns schwerer fallen, modernen Weizen zu verdauen.
"Urgetreide": Emmer, Einkorn und Kamut
Auch die Vorgänger der modernen Weizensorten enthalten das Kleber-Eiweiß Gluten. Wer an Zölliakie leidet, sollte auch "Urgetreide" wie Emmer, Einkorn und Kamut meiden. Von gluten-sensiblen Menschen werden sie jedoch oft besser vertragen. Einkorn punktet mit viel Vitamin A, Kamut dazu mit Magnesium. In allen "Urgetreiden" ist der Eiweißgehalt höher als bei Weizen. Ihre Erträge aber sind geringer.
Verlorene Reisvielfalt in Indien
In den Siebzigerjahren zählte der Pionier der Reisforschung R. H. Richharia in der Region um die indische Stadt Raipur 19.000 verschiedene Reissorten. Heute wachsen geschätzt nur noch 6000 Sorten im ganzen Land. In der umstrittenen "Grünen Revolution" setzte Indien auf wenige Hochleistungssorten. Dabei hatten manche alten Reissorten mehr Mineralien und Vitamine oder waren lokal besser angepasst.
Die Saatgutrebellen
Wie hier in Indien gründen sich in vielen Staaten Saatgut-Kooperativen, um regionales Saatgut zu bewahren. Bauern bekommen es günstig oder kostenlos für die Aussaat und verpflichten sich, nach der Ernte das Doppelte an Saatgut zurückzugeben. Die Kooperativen sind ein Gegengewicht zum globalen Saatgutmarkt. Der wird von nur vier Großkonzernen beherrscht, von Bayer, Corteva, ChemChina und Limagrain.
Wenn Katastrophen Hunger bringen
Durch die Zyklone Idai und Kenneth kamen 2019 in Mosambik, Malawi und Simbabwe hunderte Menschen ums Leben. Infrastruktur, Felder und Ernte wurden vielerorts zerstört. Mit dem Klimawandel nehmen Naturkatastrophen zu. Durch sie, aber auch durch Kriege, werden immer wieder Saatgutvorräte vernichtet. Geschieht dies in großem Stil, gerät die regionale Ernährungssicherheit in Gefahr.
Lokales Saatgut als Katastrophenhilfe
Nach den Wirbelstürmen Idai und Kenneth half der Benefit-Sharing Fund (BSF) der Welternährungsorganisation (FAO) beim Wiederaufbau lokaler Saatgutbanken in den betroffenen Ländern. So können etwa in Malawi wieder verlorengegangene Sorten von Finger- und Perlhirse angebaut werden, die ideal an die lokalen Bedingungen angepasst sind.
Resilienz gegen den Klimawandel
Auch in anderen Staaten setzt der BSF auf regionales Saatgut. In der Hoima Community Seed Bank lagert Saatgut von mehr als 50 Nahrungspflanzensorten, die an die vorherrschenden lokalen Klima- und Umweltbedingungen angepasst sind. Ebenfalls wichtig in Zeiten des Klimawandels ist die Vielfalt auf den Feldern. Bringt eine Sorte in einem Jahr keinen Ernteertrag, sichern andere das Überleben.
Saatgut-Tresor im - hoffentlich - ewigen Eis
Die größte Saatgutsammlung beherbergt der internationale Saatgut-Tresor Global Seed Vault in Spitzbergen in Norwegen. Seit 2008 wurden Samen von gut 5000 Pflanzenarten eingelagert: Nutzpflanzensorten, bäuerliche Landrassen, Zuchtmaterial und Wildpflanzen. Alle sind Duplikate aus nationalen, regionalen und internationalen Genbanken und lagern gut 100 Meter im Inneren eines Berges bei minus 18°C.
Wein: alte Sorten, sehr beliebt
Erfolgsgeschichte in Sachen alte Sorten haben übrigens einige Rebsorten geschrieben. So wird etwa der Riesling das erste Mal bereits 1435 in Deutschland erwähnt. Der Verwalter der Burg zu Rüsselsheim vermerkte damals, wie viel Geld für Riesling-Setzreben ausgegeben worden war. Noch älter ist die Rebsorte Muskateller. Diesen Wein sollen schon Römer, Griechen und Phönizier genossen haben.