Alternative für Deutschland?
14. April 2013Bernd Lucke ist ein Trickser. Nachdem er die Gemüter der 1300 Gäste im Saal mit seiner aufwühlenden Rede so richtig erhitzt hatte, machte er mit ihnen einen Deal: Erst der Beschluss, dann die Diskussion des Parteiprogramms - Diskussionen über "Kleinigkeiten" bitte am Ende. Man müsse schließlich ein Signal an die Öffentlichkeit senden, dass nämlich die "Alternative für Deutschland" (AfD) einig und geschlossen auftrete. Der Saal folgte dem Vorschlag fast einstimmig. "Jetzt geht's los", riefen manche freudig erregt.
Vielleicht hatte einige der Mitglieder der AfD den Programmentwurf schon vorher im Internet gelesen, dennoch folgte die Basis damit faktisch blind dem Vorstandsvorschlag für ein Gründungsprogramm. Und weil die Stimmung gerade so gut war, schob Lucke noch einige "Bitten" hinterher. Bei programmatischen Ergänzungen sei es doch sicherlich im Sinne der Geschlossenheit von Vorteil, wenn nur Änderungsanträge aufgenommen würden, die eine Mehrheit von 75 Prozent haben. Positionen mit "wackligen Mehrheiten" könne man doch ganz pragmatisch unter den Tisch fallen lassen. Wieder folgte der Saal dem Vorschlag. Übersetzt heißt das: Minderheiten-Meinungen interessieren nicht. Ach so, und dass eine extra Abstimmung (also mit Diskussion) darüber, ob man zur Bundestagswahl antreten wolle, nicht nötig sei, fragte Lucke rhetorisch das Publikum. Einfach Aufstehen reiche doch auch aus. Der Plan ging auf. Sitzen zu bleiben, das trauten sich an dieser Stelle wohl nur noch die zahlreich anwesenden Journalisten.
Mehr Demokratie, mehr Volksabstimmungen und Transparenz hatte Lucke zuvor in seiner Rede gefordert und die etablierten Parteien im Bundestag heftig beschimpft. Schon beim Gründungsparteitag aber missachtete die "Alternative für Deutschland" diese Prinzipien. Sie wurden hinten angestellt, weil andere Ziele - das Bild nach außen und der schnelle Erfolg - als wichtiger erachtet werden.
Neugründung am rechten Rand
Anfang Februar dieses Jahres gründete sich die "Alternative für Deutschland". Ihr programmtischer Kern ist die Kritik an der Euro-Rettungspolitik von Angela Merkel und den "Bürokraten in Brüssel". Bereits mehrere tausend Bürger sind der Partei in den vergangenen Wochen beigetreten. Beim Parteitag in Berlin in einem schicken Hotel sieht man Bürger jeden Alters eher konservativen Zuschnitts. In ihren Redebeiträgen outen sich viele als ehemalige Mitglieder von CDU und FDP, die gemeinsam mit der CSU die Bundesregierung bilden. Auch der 51-jährige Lucke, von Beruf Volkswirt, war 33 Jahre lang CDU-Mitglied. Frauen machen geschätzte fünf Prozent der Anwesenden aus. Mit Joachim Starbatty und Hans-Olaf Henkel hat die Partei zwei prominente Unterstützer, die mit ihrer Euro-Kritik durch Bücher und Talkshow-Auftritte gutes Geld verdienen. Auch ultrakonservative Publizisten sind dabei.
Seit der Euro-Krise gab es in Deutschland mehrere Anläufe, aus der Unsicherheit der Bevölkerung über die Euro-Rettungspolitik politisches Kapital für eine Partei-Neugründung zu ziehen. Nun scheint dieser Punkt erreicht. Demoskopen bescheinigen der AfD ein Potential von bis zu 24 Prozent. Doch das muss nichts heißen. Auch die Piratenpartei erzielte auf dem Höhepunkt ihrer Popularität zweistellige Werte und liegt jetzt, nachdem die personellen und programmatischen Lücken nicht gefüllt wurden, weit unterhalb der Fünfprozenthürde, die über den Einzug in ein Parlament entscheidet.
Doch im Unterschied zu den Piraten hat die AfD einen charismatischen Mann an dieser Spitze, der strategisch auf Erfolg ausgerichtet ist und die Parteimitglieder begeistern kann.
Populistisches Vollprogramm
Die Partei sei weder rechts noch links, so Lucke, sondern folge dem "gesunden Menschenverstand". Man wolle enttäuschte Wähler aller Parteien an sich ziehen und die "Zwangsjacke der verbrauchten Altparteien sprengen". Zorn und Ärger über die "heillose Euro-Rettungspolitik" seien immens. Die Zivilgesellschaft begehre gegenüber der Regierung auf - so wie einst in der bürgerlichen Revolution von 1848, zog Lucke eine historische Parallele. Die AfD wolle Schaden von Europa und Deutschland abwenden. Die Einführung des Euro sei ein historischer Fehler gewesen. Deutschland müsse da wieder raus. Die derzeitige Politik gefährde den Frieden in Europa und sei fern rechtsstaatlicher und ökonomischer Vernunft. Der ESM sei ein "institutioneller Rechtsbruch".
Deutschland erlebe eine Degeneration des Parlamentarismus. Die Abgeordneten seien zu überforderten und meinungslosen Erfüllungsgehilfen der Regierung geworden. Die politischen Sitten seien verkommen. Und gerettet würden nicht die leidenden Südvölker in Europa, sondern Hedgefonds und Großaktionäre. Nach der Wiederwahl Merkels käme der Zahltag für die Bürger, prophezeite Lucke.
Rundumschlag in Deutschland
Wer im Publikum nach dieser Tirade noch nicht voller Angst vor der Zukunft war, der bekam gleich noch einen Nachschlag serviert. Lucke sagte, die AfD sei natürlich keine Ein-Themen-Partei. Denn dafür sei einfach zu viel im Argen in Deutschland. Das Steuerrecht sei zu kompliziert und sozial ungerecht. Die einfache Kassiererin im Supermarkt finanziere diese "jungen aalglatten Spekulanten, die mit 30 schon Millionär sind". Die Strompreise seien zu hoch, weil die Subventionen für erneuerbare Energien vom Kunden gezahlt würden und nicht vom Steuerzahler. Das demografische Problem würde nicht erkannt, es müsse einfach mehr Kinder geben.
Zum Thema "Einwanderungsland Deutschland" präsentierte Lucke schließlich einen perfiden Gedankengang. Es sei zum Wohle der einfachen und wenig gebildeten Menschen aus anderen Ländern, wenn man sie erst gar nicht hier aufnehmen würde. Denn die Anforderungen im hochmodernen Deutschland würden sie doch sowieso überfordern, es gäbe keine Aussicht auf einen Arbeitsplatz.
Angriff an der Euro-Flanke
Dennoch müssten diese Programmpunkte erst einmal zurückstehen. Denn beim Thema "Euro und Europa" hätten die anderen Parteien ihre Schwachstellen, die man im Wahlkampf angreifen wolle. Auch hier also verordnete Lucke ein Zurückstehen gegenüber einem strategischem Ziel, also dem Einzug in den Bundestag. Doch beim selbsternannten Kernthema der AfD, der Euro-Rettungspolitik, ist man sich noch nicht einig darüber, ob man eine Wiedereinführung der D-Mark oder eine kleinere Währungsgemeinschaft anstrebt. Die viel beschworenen Volksabstimmungen jedenfalls würden diese Probleme sicherlich auch nicht lösen.
Das Schüren von Ängsten, das Bedienen von diffusen Unbehagen und Unwissen, der Appell an den gesunden Menschenverstand, der Aufruf zur Macht des Volkes und des kleinen Mannes sowie das Versammeln um Feindbilder gehören zu den Grundbausteinen des politischen Populismus. Jetzt nach dem Gründungsparteitag der AfD hat auch Deutschland so eine Partei.